Mit der Eröffnung der Spiele von Singapur sei ein neues Kapitel in der Geschichte der olympischen Bewegung geschrieben, erklärte IOC-Präsident Jacques Rogge am Sonnabend bei der Show in einem in der Marina Bay schwimmenden Freilufttheater.
Jens Weinreich – Der Jugend nah – und doch so fern. Dick Pound macht Urlaub – Singapore 2010 Youth Olympic Games
SINGAPUR. Ach, Dick. Ich weiß schon, warum ich Dick Pound so schätze. Gerade läuft hier im Lobby-Café des “Ritz-Carlton Millenia” John Fahey vorbei, sein Nachfolger in der WADA, nun ja. Pound ist mal einer mit Statur, Kreuz, Meinung, Ecken und Kanten. Eine Ausnahme im Ringe-Business. Ich hoffe, die Tage noch ein Interview folgen zu lassen. Dick ist schwer zu erreichen momentan, weit weg im Urlaub, mit beschränkten Kommunikationsmöglichkeiten, wie er sagt.
Weit weg auf jeden Fall von Singapur. Man könnte sagen, er boykottiert diese Olympischen Jugendspiele. Man kann auch sagen, er bleibt ihnen einfach nur fern. Schade und doch konsequent. Denn Richard Pound ist der einzige IOC-Kritiker dieser Jugendspiele, der seine Meinung nicht nur sagt, sondern der auch dazu steht.
Mit der Eröffnung der Spiele von Singapur sei ein neues Kapitel in der Geschichte der olympischen Bewegung geschrieben, erklärte IOC-Präsident Jacques Rogge am Sonnabend bei der Show in einem in der Marina Bay schwimmenden Freilufttheater. Doch einer, der schon viele Kapitel Olympias geschrieben hat und das IOC einst in größter Krise vor dem Untergang bewahrte, bleibt dieser Veranstaltung fern. Der Kanadier Richard Pound verzichtete auf die Reise nach Singapur, wo sich dieser Tage fast alle der zurzeit 113 IOC-Mitglieder treffen.
(Ich muss die Zahlen mal wieder überprüfen. Angeblich sind 106 Mitglieder angekündigt, die meisten heute zum Gedenk-Akt für Juan Antonio Samaranch. Kann auch sein, dass es noch immer 115 Mitglieder sind. Hängt davon ab, ob gerade einer im Knast sitzt, wie gerade jemand neben mir witzelt. Obwohl: Ein richtiger Witz ist das eigentlich nicht.)
Es wäre heuchlerisch, “es wäre verlogen, bei einer Veranstaltung zu erscheinen, die ich so vehement kritisiert habe und von der ich noch immer nicht überzeugt bin”, teilt Pound aus dem Urlaub mit.
“Ich werde nicht noch mehr Geld des IOC für eine teure Reise zu etwas ausgeben, an das ich nicht glaube!”
Pounds Fernbleiben ist eine Ohrfeige für den IOC-Präsidenten Rogge, der sich in Singapur als Renovator der Olympischen Spiele darstellt hat und erstmals ganz klar öffentlich verkündete, dass einige der neuen Events und Disziplinen der Jugendspiele zügig auch bei den echten Olympischen Spielen übernommen werden sollten. Das war immer sein Ziel geblieben, auch wenn er bei der Programmreform mehrfach desaströs am Widerstand von Fachverbänden und IOC-Mitgliedern gescheitert war.
Vergangenes Jahr erst hatte Dick Ebersol, Sportchef von NBC Universal, der als wichtigster IOC-Geschäftspartner schon sieben Milliarden Dollar für olympische Fernsehrechte gezahlt hat, das IOC kritisiert: Das Sportprogramm werde zu zaghaft modernisiert und die Jugendspiele zu zögerlich als Olympia-Test geplant. Nun darf man davon ausgehen, dass Rogge diese Programmänderungen noch auf seiner letzten Session als IOC-Präsident durchziehen wird – 2013 in Buenos Aires.
Während Rogge unentwegt davon redet, mit den Jugendspielen ein weltweites Bildungs- und Erziehungsprogramm anzubieten, stellt Pound das Konzept grundsätzlich in Frage. Er bleibt bei seiner Haltung, die er auf der IOC-Session 2007 in Guatemala vorgebracht hatte. Damals wurden die Jugendspiele beschlossen, und Pound argumentierte als einziges IOC-Mitglied dagegen. Er ging auf die Dopinggefahr im Kindesalter ein und stellte grundsätzlich die Zielgruppe in Frage: Das IOC erreiche mit den Jugendspielen vielleicht zwei Prozent der Kinder und Jugendlichen, jene zwei Prozent, die ohnehin schon Sport treiben.
Als Prätorianer des IOC-Präsidenten betätigte sich damals übrigens Alex Gilady aus Israel, einst NBC-Lobbyist und an der Aushandlung milliardenschwerer Fernsehverträge beteiligt (mit Pound) und stets in der Schleimspur der IOC-Herrscher (ob sie nun Samaranch oder Rogge heißen). Er hatte eigentlich nichts sagen wollen, erklärte Gilady in Guatemala, aber wenn Dick Pound schon so vehement argumentiere, wolle er doch etwas anfügen. “Es ist einfach, mit dem Mikroskop Probleme zu suchen”, behauptete Gilady. Man solle besser versuchen, die Probleme zu überwinden.
“Mit ihren Visionen und ihrer Führungsstärke, Mr. President, werden wir das schaffen!”
Der Sportwissenschaftler Eike Emrich (Saarbrücken), langjähriger Vizepräsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, hat größten Respekt vor Pounds Entscheidung, nicht nach Singapur zu kommen. Und er weiß, dass alle anderen hohen Sportfunktionäre anders denken.
„Man trifft sich und feiert sich gegenseitig. Man entkoppelt Denken, Reden und Handeln, und man garniert es damit, dass es bei den Jugendspielen angeblich um die olympische Idee geht.“
IOC-Ehrenmitglied Walther Tröger dagegen meint, Pound hätte sich die Jugendspiele ansehen sollen, um fundierter zu kritisieren.
”Das akzeptiere ich auch. Ich bin mit Dick Pound befreundet, seit vielen Jahren, seit den Spielen in Montreal haben wir eine enge Beziehung. Ich habe häufig mit ihm diskutiert, war oft auf seiner Linie, nicht immer, muss ich sagen. Aber ich habe für eine solche Haltung durchaus Verständnis. Nun muss man auch sehen: Ihm sind auch nicht alle Früchte gereift, die er gerne geerntet hätte. Das spielt vielleicht eine Rolle. Aber er ist sehr sachkundig. Er diskutiert zur Sache und er entscheidet zur Sache. Und wenn er der Meinung ist, nein zu sagen und dabei zu bleiben, dann akzeptiere ich das.”
Helmut Digel, der zu jenen gehört, die kritisieren, aber dann doch stets live dabei sind (hier gehört er der Observer-Gruppe an und hat zuvor in der IOC-Vorbereitungskommission mitgearbeitet), hat Verständnis für Pound, der im Grunde ja ein Bruder im Geiste ist:
“Ich kann ihn verstehen. Ich respektiere auch seine Haltung. Er war für mich in allem ein engagierter und konstruktiver Kritiker. Wenn es um die Gefährdung des Hochleistungssports geht, hat er immer die Probleme beim Namen genannt. Pound ist nicht beliebt in der olympischen Familie. Er hat mehr Gegner als Freunde. Aber die meisten wissen auch, dass ohne Pound heute die Situation des IOC weit gefährlicher wäre. Denn er hat immerhin für die WADA Beispielhaftes geleistet. Und er hat den Antidopingkampf salonfähig gemacht, auch gegenüber der Politik. Ich denke, damit muss auch Jacques Rogge leben, dass er solche Kritiker hat.“
Richard Pound (68) gehört zu den verdienstvollsten IOC-Mitgliedern. Doch in Rogges Reich wurde er aufs Abstellgleis geschoben. Pound ist zu unbequem, er hatte 2001 vergeblich gegen Rogge für die IOC-Präsidentschaft kandidiert, und er hat es nie verwunden, dass er nicht nur Rogge, sondern sogar dem korrupten damaligen südkoreanischen IOC-Mitglied Kim Un Yong unterlegen war.
Der Jurist Pound, der als Schwimmer 1964 einst sein Studium einer zweiten Olympiateilnahme vorzog, ist Olympier durch und durch. Dennoch hat er stets Rückgrat bewiesen. Ob einst als Chef der hausinternen IOC-Detektivkommission, die den olympischen Bestechungsskandal um Salt Lake City aufklären sollte, als eigentlicher IOC-Präsident in jenem fulminanten Krisenwinter 1998/99, oder als Gründungsvater der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA, die er bis 2007 führte.
Die Jugendspiele sind eine unausgegorene Veranstaltung, sagt Pound. Er leistet sich den Luxus einer eigenen Meinung und spricht unbequeme Wahrheiten aus. Damit gehört er zu einer ganz seltenen Spezies im IOC, dieser Vollversammlung von Opportunisten und Karrieristen.
(Schreckliche Überschrift übrigens. Sehe ich jetzt erst. Hat jemand einen bessern Vorschlag? Sollte nicht schwer fallen.)
Jens Weinreich