Blog
18
08
2008

„Wir sind den Amerikanern weit voraus“, sagt Herb Elliot. Er ist Mannschaftsarzt und Anti-Doping-Beauftragter seines Verbandes in einer Person.

Jamaika – Die Insel der Sprinter – Michael Reinsch, Peking, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

18. August 2008 Wenn ein Großteil der schnellsten Läuferinnen und Läufer der Welt aus Schleswig-Holstein käme; wenn drei Schleswig-Holsteiner im Sprintfinale liefen, darunter der Olympiasieger, und weitere drei Schleswig-Holsteinerinnen Gold und gleich zweimal Silber gewinnen – wie wäre das zu erklären? 2,7 Millionen Einwohner hat Jamaika, ebenso viele wie Schleswig-Hostein.

Und am Sonntag haben Shelly-Ann Fraser als Olympiasiegerin in 10,78 Sekunden sowie Sherone Simpson und Kerron Stewart – beide nach Fotofinish zeitgleich in 10,98 Sekunden – den Ruf der Karibikinsel, die besten Sprinter der Welt hervorzubringen, nachhaltig untermauert.

Trainer und Athleten führen als Begründung die Kultur ihres Laufens und ihr hervorragendes Training an. Dies sorge für ständigen Zustrom an Talenten. Arthur Wint war der erste Olympiasieger der früheren britischen Kolonie; er siegte 1948 in London über 400 Meter. Von ihm über Merlene Ottey bis Asafa Powell und Usain Bolt lebt die Tradition. Die Aussicht auf ein Stipendium an amerikanischen Hochschulen beflügelt den Ehrgeiz; die auf Jamaika geborenen Ben Johnson, Linford Christie und Donovan Bailey starteten später für Großbritannien und Kanada und wurden Olympiasieger (und Johnson wegen Dopings auch wieder disqualifiziert).

„Genetische Veranlagung stammt aus Afrika“

Ihr Trainer Clyde Hart glaube, das Talent habe historische Gründe, sagt die aus Jamaika stammende 400-Meter-Favoritin Sanya Richards, die in Texas lebt. „Die genetische Veranlagung und das Tempo stammen aus Afrika“, sagt sie. „Dazu kommt, dass wir für Siebenjährige, Achtjährige Meisterschaften veranstalten.“ Die Schulmeisterschaften sind nicht nur Talentsichtungen, sondern richtíge Feste.

Trainiert wird unter einfachen Bedingungen. Wo es an Kalk zum Weißen der Linien fehlt, werden diese mit Diesel gezogen; man zündet ihn an und hat eine schwarz markierte Spur im Gras. Ein bemerkenswerter Kontrast zu den Haltungs- und Biomechanikanalysen, die Coach Mills an Usain Bolt vorgenommen haben will.
Zur Bildergalerie

Seit den sechziger Jahren bietet die University of Technology, UTech, Studienplätze, um Sportler im Land zu halten. Derzeit werden rund 280 Athleten gefördert. Trainer Stephen Francis hat vor acht Jahren das professionelle Team MVP, Maximising Velocity and Power, gegründet. Francis entdeckte Powell, seiner Gruppe gehören Hürdensprinterin Brigitte Foster-Hylton, Silbermedaillengewinnerin Sherone Simpson und die Sprinter Michael Frater und Nesta Carter an. Das Team steht in Konkurrenz zu Glen Mills, der Usain Bolt betreut, und zum jamaikanischen Verband. Als das jamaikanische Team vor den Spielen ins Trainingslager zog, war Francis nicht willkommen.
Zum Thema

„Wir sind den Amerikanern weit voraus“

„Hoch verdächtig“ nannte Dopingmitteldealer Victor Conte, der im Zuge des Balco-Skandals eine Gefängnisstrafe absaß, die Konzentration so vieler starker Sprinter. Er traf sich mit dem Vorsitzenden der Welt-Anti-Doping-Agentur, Richard Pound, um ihn auf Einzelheiten aufmerksam zu machen. Auf Jamaika werde zügellos gedopt, sagte er. Seit dem Eintreffen in China ist das jamaikanische Team mehr als dreißigmal getestet worden, Bolt allein sechsmal – ohne Resultat. Die Proben werden für acht Jahre eingefroren.

„Wir sind den Amerikanern weit voraus“, sagt Herb Elliot. Er ist Mannschaftsarzt und Anti-Doping-Beauftragter seines Verbandes in einer Person. Jamaika hat keine unabhängige Anti-Doping-Agentur, ist nicht Mitglied der Anti-Doping-Kommission der Karibik. Noch dieses Jahr soll es ein Anti-Doping-Gesetz geben. Elliot legt den Schwerpunkt vor den Doping-Kontrollen auf das soziale Korrektiv. Sport sei ein so bedeutender Teil der Kultur, dass die Schande eines Vergehens jeden Jamaikaner abschrecke. Bei den Ausscheidungen fiel der Sprinter Julien Dunkley auf. Er wurde aus dem Olympiaaufgebot gestrichen. Der Leichtathletik-Weltverband verlässt sich nicht auf Erklärungen.

Er testet das Team von Jamaika so intensiv wie die aus Russland, Kenia, den Vereinigten Staaten und Griechenland.

Michael Reinsch, Peking, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

author: GRR

Comment
0

Leave a reply