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11
04
2008

Irina Mikitenko: London als guter Test für Peking

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Mit einem begeisternden Debüt ist die frühere 5.000 m-Olympiafünfte Irina Mikitenko beim real,- Berlin Marathon 2007 mit ihrem zweiten Platz in 2:24:51 Stunden auf Anhieb auf Platz 12 in die erweiterte Weltklasse gelaufen und sich nachdrücklich für eine Nominierung in die deutsche Olympiamannschaft für Peking empfohlen. Nach einer 4wöchtigen Trainingsphase in Kasachstan ist die 36jährige Wattenscheiderin nicht minder beeindruckend beim Paderborner Osterlauf mit einem Start-Ziel-Sieg über die Halbmarathondistanz in Streckenrekordzeit von 1:08:51 Stunden in die Olympiasaison gestartet und steht nun am 13. April beim London-Marathon am Start.

Wenn man Ihre Leistungen beim Paderborner Osterlauf betrachtet, lässt dies auf ein glänzend verlaufenes Training in ihrer Heimat schließen. Was hat sie bewogen, nach Kasachstan zu gehen?

Irina Mikitenko: Ich war bis 1996 bereits drei- oder viermal am Issik-Kyl-See und habe dort stets hervorragende Trainingsbedingungen vorgefunden. Über meinen Schwiegervater, der einen Hotelbesitzer aus dem gemeinsamen Olympiastart 1968 her kennt, haben wir dort eine hervorragende Unterkunft mit Vollpension bekommen. Bei sehr angenehmen Temperaturen um 16° waren die Voraussetzungen auf knapp 1.700 Metern ideal. Ich habe gute Strecken vorgefunden, zumeist völlig flach. Mit der Sprache war es ehedem kein Problem, weil dort auch jeder russisch versteht. Nur die Anreise war etwas beschwerlich, denn wegen der Sperrung eines Passes mussten wir einen Umweg von 560 Kilometern in kauf nehmen. Die eigentliche Strecke vom Flughafen wäre gerade 70 km lang gewesen. Dann bin ich zu allem Unglück noch in der ersten Woche krank gewesen. Es fing also keineswegs gut an.

Wie ordnen Sie die in Paderborn erzielten 1:08:51 Stunden ein, mit der Sie nun in der aktuellen Weltrangliste auf Rang drei geführt werden?

Irina Mikitenko: Nach dem doch sehr harten Training am Issik-Kyl-See, der langen Rückreise und der fünfstündigen Zeitumstellung war ich eigentlich schon sehr müde. Hinzu kam dann noch der Wintereinbruch in Deutschland, so dass ich von meinem Vorhaben, in Paderborn Bestzeit laufen zu wollen, eigentlich schon abgekommen war. Ich habe mir gesagt, du weißt nicht, wie die Witterungsbedingungen auf das Rennen Einfluss nehmen und wie stark die Konkurrenz ist, deshalb machst Du einfach ein gutes Training daraus! Das Rennen lief dann für mich so gut, dass ich nun doch weiß, in welcher Form ich bin. Aber dennoch ist Marathon etwas völlig anderes!

Die Paderborner Zeit lässt auf eine Marathonzeit von 2:21 bis 2:22 Stunden schließen. Sehen Sie dieses genauso?

Irina Mikitenko: Ich möchte nicht spekulieren. Schließlich habe ich erst einen Marathonlauf absolviert. In London werde ich dabei auf mich alleine gestellt sein. Meinen Mann werde ich vielleicht am Start und dann erst wieder im Ziel sehen. Ich muss also für mich in der jeweiligen Situation entscheiden, wie ich mich zu verhalten habe. Das ist so ähnlich wie bei einer großen Meisterschaft. Da gibt es auch kaum keine Chance, während des Rennens direkt mit dem Trainer in Kontakt zu treten. Es ist vielleicht ein guter Test… Wenn du gut laufen willst, dann musst du dieses auch alleine können!

Was sind die Gründe, die für einen Marathonstart in London gesprochen haben?

Irina Mikitenko: Der London-Marathon ist schon etwas spezielles. Hier läuft Frau gegen Frau. Es gibt keine Tempomacher, keine Männer im direkten Umfeld. Das ist wie bei den Olympischen Spielen! Ich muss wahrscheinlich in London Bestzeit laufen, um mit der Spitze mitlaufen zu können. Aber ich habe den großen Vorteil, ich kann mich in die Spitzengruppe hineinhängen und muss nicht wie in Paderborn selbst agieren! Ich schaue erst einmal bis 30 Kilometer, dann werden wir weiter sehen!

Mit der in Berlin erzielten Zeit von 2:24:51 Stunden sind Sie praktisch für die Olympischen Spiele qualifiziert. Es wären für Sie nach 1996, 2000 und 2004 bereits die vierte Teilnahme bei Olympia.

Irina Mikitenko: Ja, das ist für mich natürlich etwas ganz besonderes. Bisher bin ich immer über 5.000 m gestartet. Und nun kommt der Sprung direkt auf die Marathonstrecke. Aber erst muss ich einmal sehen, wie es in London überhaupt für mich läuft. Schließlich ist dies erst mein zweiter Marathonlauf überhaupt. Noch weiß ich nicht, ob dieses wirklich die richtige Strecke für mich ist. Es ist eine alte Weisheit, dass jeder Marathon etwas anderes ist, jede Vorbereitung ist anders. Und in London muss ich weiter Erfahrungen sammeln. In Berlin hat mich mein Mann unterwegs immer gebremst, jetzt bin ich alleine unterwegs.

Haile Gebrselassie wird aller Voraussicht nach wegen der vorherrschenden Bedingungen wohl auf einen Marathonstart verzichten. Sie hingegen möchten sich diesen ungewohnten Bedingungen aussetzen. Kann man sich auf diese Bedingungen speziell vorbereiten?

Irina Mikitenko: Natürlich habe ich auch große Bedenken. Aber, es ist ein Trost: Die Bedingungen sind für alle gleich. Es ist etwas anderes als wenn du 5000 m läufst. Das Risiko ist auf jeden Fall deutlich größer. Ich habe keine Angst, aber großen Respekt. Ich werde versuchen, in der Vorbereitung anders als bisher auch bei Wärme zu laufen und nicht nur morgens oder abends, wenn es kühler ist.

Sie haben es bereits angesprochen: Die besonderen Bedingungen in Peking werden ausschlaggebend sein. Wie wird Ihre Anpassung aussehen?

Irina Mikitenko: Ich denke, dass 2 Wochen schon notwendig sind. Ich möchte mich eigentlich nicht wie die DLV-Mannschaft in Japan vorbereiten, sondern gerne in Peking vor Ort. Aber wir haben dieses noch nicht entschieden, aber ich denke, dass dieses noch bis nach London Zeit hat. Denn dieses ist für mich erst einmal ein wichtiger Schritt!

Bei Ihrem Marathon-Debüt in Berlin sind Sie 2:24:51 Stunden gelaufen und rangieren damit in der Weltrangliste 2007 auf Position zwölf. Wie sehen Sie Ihre Chancen, ganz besonders im Hinblick auf die derzeitige Situation im Frauen-Marathonlauf?

Irina Mikitenko: Das ist natürlich für mich eine sehr gute Zeit. Aber in London bin ich damit gerade noch im ersten Block des Elitefeldes. Da bin ich schon erschrocken und es zeigt, was diese Zeit derzeit wert ist. Es hat mir allerdings aber auch einen Schub gegeben, denn mir ist klar, dass ich noch besser werden muss, wenn ich eine Chance haben will. Ich glaube, dass ich einmal 2:21 bis 2:22 Stunden laufen kann. Und damit kannst du immer vorne sein. Was mich allerdings am Marathonlaufen stört, das ist die Tatsache, dass man nur zwei bis drei Marathonläufe im Jahr bestreiten kann. Ich bin eigentlich ein Wettkampftyp, der öfters die Herausforderungen im Wettkampf braucht. Denn nur durch Wettkämpfe wirst du selbstbewusster.

Natürlich haben sich durch Ihren Wechsel auf die Marathonstrecke die Trainingsinhalte geändert. Wie sieht Ihr Marathontraining aus?

Irina Mikitenko: Ich habe die Umfänge etwas gesteigert. Vor Berlin bin ich bis zu 180 Wochen-Kilometer gelaufen, jetzt habe ich ein paar Mal 200 bis 210 Kilometer in der Woche geschafft. Wichtig ist für mich, dass die Tempohärte bleibt. Deshalb laufe ich auch gerne zum Beispiel 15 x 1.000 Meter, wobei das Tempo so hoch sein muss wie bei meinem 5.000 m-Training. Das Gelände habe ich dabei nicht gewechselt. Mein Tempotraining absolviere ich nach wie vor auf der Bahn. Es ist für die Gelenke schonender als ein Training auf der Straße. Du musst allerdings auch wegen der vielen Runden eine starke Physis haben. Ich habe auf der Bahn allerdings auch eine bessere Tempokontrolle, weil mein Mann nicht immer dabei sein kann, da er im Dreischichtbetrieb arbeitet. Und wenn er nicht arbeitet, muss er sich auch um die beiden Kinder kümmern, wenn ich beim Training bin.

Sie starten für den TV 01 Wattenscheid, leben aber mit Ihrer Familie in Freigericht bei Hanau. Unter welchen Bedingungen trainieren sie zu Hause?

Irina Mikitenko: Die Kunststoffbahn der Schulsportanlage in Freigericht ist 300 m von unserem Haus entfernt. Ich habe einen Schlüssel und bin praktisch der Chef. Ich kann entscheiden, wann ich auf der Bahn trainieren möchte. Das Waldgelände ist natürlich profiliert und bringt die nötige Abwechslung.

Mit 23 Jahren standen Sie 1996 in Los Angeles erstmals bei Olympischen Spielen am Start, mit 35 Jahren wird Peking Ihre vierte Olympiade sein. Ein Großteil Ihres Lebens haben Sie als Läuferin bestritten. Wann haben Sie mit dem Laufen angefangen?

Irina Mikitenko: Seit meinem 13. Lebensjahr laufe ich, mit 17 war ich bei den Cross-Weltmeisterschaften erstmals international eingesetzt. Eigentlich wollte ich Eiskunstläuferin werden und Professional werden. Als ich mit elf Jahren auf eine Sportschule nach St. Petersburg geschickt werden sollte, um als Paarläuferin ausgebildet zu werden, da haben meine Eltern nein gesagt. Sie wollten nicht, dass ich Tausende von Kilometer entfernt von Zuhause leben würde. Dann habe ich mit dem Laufen begonnen, zumal mein Vater Olympiateilnehmer 1968 über 10.000 m war und dies natürlich gefördert hat.

Laufen Sie heute noch gelegentlich Eiskunstlauf?

Irina Mikitenko: Wenn ich Pause habe, dann fahre ich schon einmal gerne wieder. Natürlich habe ich vieles verlernt, aber so manche Sprünge habe ich schon noch drauf. Aber ich darf dabei nichts riskieren, die Verletzungsgefahr ist schon da.

Doch wieder zurück zum Langstreckenlaufen. Sie sind offensichtlich ein Wettkampftyp, weil Sie oftmals auch das Renngeschehen in die Hand nehmen. Wie würden Sie Ihre Einstellung zum Wettkampf beschreiben?

Irina Mikitenko: Mein Sohn Alexander sagt, ich sei eine Streberin! Da ist schon etwas dran. Wenn ich ein Wettkampf bestreite, dann bereite ich mich sehr intensiv darauf vor – und möchte gewinnen!

Ihr Sohn Alexander ist 14, die Tochter Vanessa ist 2 ½. Wie ist es um die sportlichen Ambitionen der beiden bestellt?

Irina Mikitenko: Alexander ist ähnlich strebsam wie ich. Er spielt Fußball, im Mittelfeld und hat es sogar schon bis in die Kreisauswahl geschafft. Sein großes Vorbild ist Rafael van der Vaart vom Hamburger Sportverein. Ein Teil unseres Lebens spielt sich natürlich auf dem Sportplatz ab. Wenn Alexander ein Spiel hat, dann gehen wir gerne hin zum Zuschauen. Vanessa ist oft im Stadion dabei, wenn ich dort trainiere und das Wetter ok ist. Dann spielt sie in der Sandgrube. Meine Mutter ist hier allerdings auch eine große Hilfe, da sie auch in Freigericht wohnt und oft die Betreuung übernimmt, wenn ich trainiere. Dennoch versuchen mein Mann und ich, so oft wie möglich mit den Kindern etwas zu machen. Wenn es die Schulferien ermöglichen, dann nehmen wir auch beide mit ins Trainingslager. Alexander freut sich immer darauf, denn es ist ein Teil unseres Lebens. Ins Trainingslager nach Kasachstan konnten wir nur Vanessa mitnehmen, denn Alexander musste ja zur Schule.

Ihr Mann Alexander ist auch Ihr Trainer. Dreht sich nicht dadurch im Familienleben fast alles um den Sport? Vor allem um Ihren Sport?

Irina Mikitenko: Mein Mann läuft seit 2001 die Trainingseinheiten nicht mehr mit mir, sondern begleitet mich auf dem Fahrrad, wenn er nicht arbeitet oder auf die Kinder aufpassen muss. Klar, meckere ich ihn auch im Training einmal an, aber das ist fünf Minuten später wieder vergessen. Er bringt eine großartige Geduld auf, ohne ihn hätte ich es so weit auf keinen Fall geschafft. Zum Glück gibt es zu Hause andere Probleme, mit der Schule, mit dem Haushalt. Das lenkt vom Leben einer Leistungssportlerin ab und zeigt, dass es noch andere Dinge im Leben gibt. Trotz aller sportlicher Ambitionen möchten wir auch genügend Zeit mit unseren Kindern verbringen. Denn die Kindheit ist schneller herum als man denkt…

Das Interview führte Wilfried Raatz.

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