London 2012 kann sich nur im Kontrast dazu profilieren: Basisnähe statt Bombast, Diskussion statt Diktat, Kiez und Community statt Volk und Staat.
IOC – Rogge redet um Probleme herum – Kein konkretes Wort zu Menschenrechten, nur ein Satz zum Doping. Die Grundsatzrede von Jacques Rogge in London zeigt die Probleme des IOC auf – Markus Hesselmann, London, im Tagesspiegel und der Kommentar: Olympia is coming home
Das Thema des Vortrags war vielversprechend, Anlass und Widmung waren es ebenfalls: Während einer mehrtägigen internen Nachbesprechung und Auswertung der Olympischen Spiele von Peking hielt Jacques Rogge die jährlich stattfindende „De Coubertin lecture“ am Montagabend in London. „Die Spiele voranbringen: das IOC, London 2012 und die Zukunft der Olympischen Bewegung de Coubertins“ – darüber wollte der Chef des Internationalen Olympischen Komitees reden.
Rogge nutzte seinen Vortrag, um noch einmal die Organisatoren von Peking 2008 zu loben und ihren Londoner Nachfolgern in Zeiten der Wirtschaftskrise Mut zu machen. Der IOC-Chef, der im kommenden Jahr noch einmal für vier weitere Jahre kandidiert, sprach vom „unglaublichen Erfolg“ der Spiele von Peking und der „fantastischen und aufregenden Möglichkeit Londons“, darauf aufzubauen. Bevor es dem britischen Organisationschef Sebastian Coe nun angesichts des erlebten chinesischen Bombasts und der eigenen Budgetprobleme bange werden konnte, beruhigte ihn Rogge: London müsse Peking nicht überbieten, sondern solle sich auf seine eigenen Stärken besinnen. „London muss nur London sein“, sagte Rogge. Nicht die Summe des ausgegebenen Geldes sei letztlich entscheidend für den Erfolg Olympischer Spiele.
Doch wie so oft bei IOC-Reden war das, was nicht gesagt wurde, interessanter als das, was gesagt wurde: kein konkretes Wort zu den politischen Problemen der Pekinger Spiele, zu Diktatur, Menschenrechtsverletzungen, Manipulation der öffentlichen Meinung. Der IOC- Chef blieb schwammig: „Ich glaube, dass sich China mit der Zeit in der Lage sieht, offener und freier zu werden, zum Teil als Ergebnis der Ausrichtung der Olympischen Spiele.“ Maßnahmen, die während der Spiele die Pressefreiheit verbessert hätten, seien verlängert worden, sagte Rogge, oder besser: Er sagte es lieber nicht, denn der Satz stand zwar im vorab verteilten Rede-Manuskript, kam aber in der vorgetragenen Rede nicht vor.
Das Wort Doping kam in Rogges Rede genau einmal vor. Doch seine Beschäftigung mit dem wohl wichtigsten Thema für die Zukunft des Sports ging nicht über einen gut gemeinten Appell hinaus. „Respekt steht für Fairplay und für den Kampf gegen Doping“, sagte Rogge. „Respekt für sich selbst und seinen Körper, Respekt für andere, für die Regeln, für den Sport und für die Umwelt.“ Dass die Zukunft der olympischen Bewegung de Coubertins sehr wohl von den genauen Maßnahmen des IOC im Kampf gegen Doping abhängt, scheint Rogge oder seinen Redenschreibern entgangen zu sein.
Genaugenommen gab es noch eine weitere Anspielung auf Doping in Rogges Rede. In einem historischen Rückblick erwähnte Rogge, dass Athleten bei den Spielen 1904 in St. Louis Strychnin zur Leistungsförderung nahmen. Und dass ein Marathonläufer bei denselben Spielen Vierter wurde, obwohl er eine Meile vom Kurs abgekommen war, weil ihn aggressive Hunde gehetzt hatten.
So waren diese Anekdoten nur rhetorisches Mittel, um ein weiteres Loblied auf Peking vorzubereiten: „Tatsächlich können wir uns stark mit der Tatsache trösten“, sagte der IOC-Chef, „dass die Pekinger Spiele 2008 viel, viel besser organisiert waren.“
Kommentar – Olympia is coming home – Rogges Rede Was er nicht sagt
IOC-Chef Jacques Rogge verpasst eine weitere Chance, Probleme des Sports klar anzusprechen. Doch Markus Hesselmann hofft trotzdem auf basisnahe Spiele in London 2012.
Wieder eine Chance verpasst. Jacques Rogge, der Chef des Internationalen Olympischen Komitees scheut sich, die Probleme der Olympischen Bewegung in wichtigen Reden offen und öffentlich anzusprechen. Das war schon in Peking so und das war jetzt in London, bei seiner programmatischen „De Coubertin Lecture“, wiederum der Fall. Nur Schwammiges gab es zu Themen wie Sport und Doping oder Sport und Diktatur.
Jacques Rogge lobte London als Stadt, die bereits zweimal Olympische Spiele ausgerichtet hat – und die Briten als Erfinder des modernen Sports und Vorbilder für Pierre de Coubertin, den Begründer der Spiele der Neuzeit. Der IOC-Chef hat mit dieser Würdigung Recht, doch er hätte auch auf eine andere britische Tradition verweisen können: die der Demokratie, der Debatte, der Offenheit, der Lust an der Kritik. Denn genau aus dieser Tradition könnte das IOC heute lernen.
Die Spiele von London 2012 bieten die einmalige Chance, Olympia zu verschlanken und zu erneuern. Weg mit dem totalitären Überwältigungspomp, der sich vor allem in der Eröffnungs- und der Schlussfeier von Peking offenbarte. London 2012 kann sich nur im Kontrast dazu profilieren: Basisnähe statt Bombast, Diskussion statt Diktat, Kiez und Community statt Volk und Staat.
Im Falle Londons dürften sich finanzielle Zwänge ausnahmsweise heilsam auswirken. Dass die Spiele in vier Jahren gleich mehrere Nummern kleiner ausfallen dürften, könnte eine der wenigen positiven Auswirkungen der Wirtschaftskrise sein.
Markus Hesselmann im Tagesspiegel, Mittwoch, dem 26. November 2008