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23
03
2023

Symbolphoto Paris 2024 Graphik: Veranstalter

IOC-Pläne: Gewalt im Olympischen Dorf? Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Kiewer Abgeordnete bitten Sportausschuss um Unterstützung und warnen vor Spannungen bei Olympia, sollten russische Sportler teilnehmen dürfen.

Das ukrainische Parlament, die Werchowna Rada, warnt vor gewalttätigen Auseinandersetzungen für den Fall, dass Sportlerinnen und Sportler aus der Ukraine auf solche aus Russland und Belarus treffen.

„Eine gemeinsame Teilnahme an internationalen Sportwettkämpfen von ukrainischen Sportlern, von denen viele Angehörige und Freunde im Krieg verloren haben, sowie von russischen und belarussischen Sportlern, deren Angehörige Ukrainer töten, wird zu zahlreichen Konflikten auf Sportplätzen führen, die Verletzungen und sogar Todesfälle unter Sportlern zur Folge haben können“, heißt es in einem Appell, den am Mittwoch die Mitglieder des Sportausschusses des Deutschen Bundestages vom Auswärtigen Amt erhalten haben – just am Tag ihrer öffentlichen Sitzung zu „Integrität und Good Governance im Sport“.

Am vergangenen Wochenende hatte der Welt-Fechtverband FIE beschlossen, Athleten aus Russland und Belarus wieder zuzulassen; der deutsche Verband distanziert sich nicht von dem Beschluss und teilte nicht mit, wie seine Präsidentin Claudia Bokel votiert hat.

Im Brief der ukrainischen Abgeordneten heißt es weiter: „Besonders gefährlich sind dabei Zweikämpfe auf Fechtbahnen und Ringermatten, aber auch im Bereich der Schusswaffen und des Bogenschießens. Auch in den Olympischen Dörfern wird es zu Spannungen, möglichen Streitigkeiten und Schlägereien zwischen Sportlern und den Organisatoren der Wettkämpfe kommen.“

Kiew will „neutrale Athleten“ verhindern

Die Abgeordneten aus Kiew wenden sich in dem Appell an die Bundesregierung und bitten darum, die Teilnahme von Athleten aus Russland und Belarus an internationalen Wettkämpfen zu verhindern, wie sie jüngst die Weltverbände für Boxen und Fechten erlaubt haben, indem sie deren Ausschluss wegen des Angriffskriegs der russischen Armee gegen die Ukraine aufgehoben haben. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) strebt die Teilnahme von Athleten aus Russland und Belarus als sogenannte neutrale Athleten bei den Sommerspielen im nächsten Jahr in Paris an.

Bereits im Januar, nach Aufforderung des IOC an die Spitzenverbände des Sports, russischen wie belarussischen Athleten die Teilnahme an Olympiaqualifikationen zu ermöglichen, hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser diese Pläne deutlich kritisiert. Den russischen Sportlerinnen und Sportlern wieder die Tür zu öffnen sei der völlig falsche Weg, sagte sie der F.A.Z.: „Der Sport sollte in seiner Verurteilung des brutalen Krieges, den Putin gegen die ukrainische Zivilbevölkerung führt, klar sein.“

In dem Brief aus Kiew, der am 3. März im Auswärtigen Amt einging mit der Bitte, ihn an das Parlament und an den Deutschen Olympischen Sportbund weiterzuleiten, heißt es weiter, es sei unvorstellbar, dass ukrainische Sportler neben russischen und belarussischen Athleten auf einem Siegertreppchen stehen, dass Vertreter der Russischen Föderation oder von Belarus Wettkämpfe bewerten, an denen ukrainische Sportler teilnehmen.

Mehr als 220 im Krieg getötete ukrainische Sportler

Die Werchowna Rada vertritt die Auffassung, dass die Zulassung russischer und belarussischer Sportler zu einer Zeit, in der der Krieg der Russischen Föderation zur Vernichtung des ukrainischen Volkes und des ukrainischen Staates andauere, eine unverhohlene Unterstützung des Krieges und den Versuch der Beschwichtigung des Aggressors darstelle. In dem Brief heißt es: „Die Vorschläge sind eine Beleidigung des Gedenkens an die Hunderttausenden ukrainischen Bürger, darunter mehr als 220 ukrainische Sportler, die ihre Heimat selbstlos verteidigt und im Kampf für ihre Zukunft als demokratischer europäischer Staat ihr Leben gelassen haben.“

Laut ukrainischem Parlament hat die russische Aggression zu einer massiven Zerstörung der Sportinfrastruktur der Ukraine geführt. Mehr als 320 Sporteinrichtungen seien beschädigt, 87 ganz oder teilweise zerstört worden. Der Schaden beläuft sich demnach auf mehr als 230 Millionen Euro.

„Mit dem Beginn der groß angelegten russischen Invasion am 24. Februar 2022 hat der Slogan ‚Sport außerhalb der Politik‘ seine Existenzberechtigung verloren“, schreiben die ukrainischen Abgeordneten: „Russische und belarussische Sportler, darunter Olympiasieger und Medaillengewinner Olympischer Spiele, billigen den Krieg gegen die Ukraine – die Gewalt, den Mord und den Genozid am ukrainischen Volk –, indem sie offen an Z-Paraden teilnehmen oder stillschweigend diesen heftigsten Krieg unterstützen, ohne Zivilcourage zu haben oder eine bewusste eigene Position zu vertreten, was eine Verurteilung dieses Krieges betrifft.“

Russland und Belarus setzten Sportlerinnen und Sportler als ideologische Waffe ein, „um ihre schändliche Propaganda umzusetzen und den Kampfgeist der russischen Armee und des zombifizierten russischen Volkes zu stärken und um die Entscheidungen anderer Staaten zu beeinflussen, was die Unterstützung der Ukraine im Kampf für ihre Freiheit und Unabhängigkeit sowie ihre Entscheidung für Europa angeht“.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am Mittwoch, dem 15.3.2023

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

 

author: GRR