Wir werden in der Leichtathletik großartige Olympische Spiele sehen. Die Spiele beginnen erst richtig, wenn die Leichtathletik beginnt, denn unsere Sportart ist das Herz der Olympischen Spiele. Das werden wir in Peking wieder sehen.“
Interview mit Lamine Diack, dem Präsidenten der IAAF – Jörg Wenig in leichtathletik
Lamine Diack ist seit 1999 der Präsident des internationalen Leichtathletik-Verbandes (IAAF). In einer Telefonkonferenz mit internationalen Journalisten äußerte sich der 75-jährige Senegalese zur aktuellen Situation und zur Zukunft der Leichtathletik.
In knapp zwei Monaten beginnen die Olympischen Spiele …
Lamine Diack: „Ja, und ich bin sicher: Wir werden in der Leichtathletik großartige Olympische Spiele sehen. Die Spiele beginnen erst richtig, wenn die Leichtathletik beginnt, denn unsere Sportart ist das Herz der Olympischen Spiele. Das werden wir in Peking wieder sehen.“
Zurzeit ist aber in den Medien nicht viel von Leichtathletik die Rede – Schwimmen bekommt international mehr Schlagzeilen.
Lamine Diack: „Ja, im Schwimmen fallen viele Rekorde und deswegen gibt es jetzt dort mehr Aufmerksamkeit. Aber das ist egal – ab 15. August wird die Leichtathletik den Spielen ihren Stempel aufdrücken. Und die Athleten in unserer Sportart kommen aus der ganzen Welt, nicht nur aus ein paar Kontinenten. Jeden Tag werden 90.000 Zuschauer die Leichtathletik-Wettbewerbe verfolgen.
Wir haben tolle Athleten wie zum Beispiel die Amerikaner Allyson Felix und Jeremy Wariner oder den Chinesen Xiang Liu. In meinen kühnsten Träumen hätte ich mir früher nicht vorstellen können, dass wir eines Tages Olympische Spiele in Peking erleben werden und der Star dieser Spiele ein 110-m-Hürdenläufer sein könnte – kein Langstreckenläufer oder Springer sonder ein Hürdensprinter. Das wird ein spezielles Ereignis.“
Was sagen Sie zur Situation im Fall von Oscar Pistorius?
Lamine Diack: “Ich glaube, das ist ein sehr spezieller Fall. Der internationale Sportgerichtshof CAS hat entschieden, dass es nicht genug Beweise dafür gibt, dass er mit seinen Prothesen einen Vorteil haben könnte. Deswegen hat das CAS entschieden, dass er in Peking starten dürfte. Uns sind die Gesamt-Situation und die enorme Leistung von Oscar sehr bewusst, aber, und da sind wir uns mit ihm einig, wir müssen uns um die Zukunft unseres Sportes kümmern und ihn gegebenenfalls schützen. Deswegen werden wir diesen Fall weiter sehr genau beobachten. Ich wäre aber mehr als glücklich, wenn sich Oscar für Olympia qualifizieren würde und wir ihn in Peking am Start hätten.“
Im vergangenen Jahr haben Sie über Strukturänderungen bei der World Athletics Tour gesprochen. Können Sie dazu schon näheres sagen?
Lamine Diack: “Wir arbeiten an einem Konzept, das im Jahr 2010 umgesetzt werden soll. Zurzeit umfasst die World Athletics Tour 42 Meetings: Golden League, Super Grand Prix, Grand Prix und Kontinental-Meetings. In allen geht es um Punkte für das World Athletics Finale. Wir haben aber größere Ambitionen in der Zukunft. Vor allem wollen wir mit der World Athletics Tour in Ländern präsent sein, in denen wir gute Entwicklungsmöglichkeiten für die Leichtathletik sehen – zum Beispiel in den USA, China, Japan aber auch in Schweden. Genaueres zum neuen Konzept werden wir voraussichtlich Ende des Jahres bekannt geben.“
Können Sie sagen, ob es bei den sechs Golden League-Meetings in dieser Form bleiben wird?
Lamine Diack: „Ich glaube nicht, dass wir es bei der Golden League bei sechs Meetings in Europa belassen werden. Wir werden sie erweitern und auch in anderen Teilen der Welt Golden-League-Meetings veranstalten. Unabhängig von der Golden League müssen wir die Präsentation unserer Sportart insgesamt verändern – das betrifft sowohl die Meetings als auch die Weltmeisterschaften. Ich erwarte, dass wir 2010 bei der Hallen-WM erste Änderungen umsetzen können und ein Jahr später dies auch bei den Weltmeisterschaften der Fall sein wird.“
Denken Sie vielleicht daran, die Anzahl der Versuche in den technischen Wettbewerben zu reduzieren oder sogar daran, das Gehen aufzugeben?
Lamine Diack: „Ich war Weitspringer – also weniger Versuche wird es nicht geben! Ebenso wenig werden wir die Geh-Wettbewerbe abschaffen. Bei den Weltmeisterschaften geht es darum, für die Vorkämpfe eine andere Form zu finden. Vielleicht machen wir Qualifikationswettkämpfe mit all denen Athleten, die keine Norm haben, um dann anschließend ein kompaktes fünftägiges WM-Programm anbieten zu können.“
Antonio Pettigrew hat zugegeben, Dopingmittel genommen zu haben. Werden Sie alle Ergebnisse für die entsprechende Zeit annullieren und die Medaillen zurückfordern?
Lamine Diack: „Antonio Pettigrew hat zugegeben, seit 1997 gedopt zu haben. Das ist elf Jahre her. Unsere Regeln erlauben es uns zurzeit nur, acht Jahre rückwirkend zu handeln. Für die Zeit ab 2000 wissen wir, was wir zu tun haben. Wir haben eine Null-Toleranz-Politik im Kampf gegen Doping. Was frühere Vergehen angeht, so werden wir uns rechtlich beraten lassen, wie wir das zukünftig machen können und ob wir die Regel so ändern können, dass auch ältere Resultate annulliert werden können.“
Die New York Times hatte berichtet, dass Maurice Greene 10.000 Dollar an den Doping-Dealer Angel Heredia bezahlt hat. Wie verhalten Sie sich in diesem Fall, gibt es eine Erklärung von Maurice Greene?
Lamine Diack: „Bei Trevor Graham und auch Maurice Greene müssen wir das Ende der jeweiligen Fälle abwarten. Dann erst wissen wir genau, was passiert ist und können entsprechend reagieren. Noch bleibt Maurice Greene deswegen IAAF Ambassador. Uns gegenüber hat er bestritten, etwas unrechtmäßiges getan zu haben.”
Im Fall Justin Gatlin hat der internationale Sportgerichtshof CAS die Linie der IAAF bestätigt. Gatlin bleibt vier Jahre gesperrt und darf bei Olympia nicht laufen.
Lamine Diack: „Diese Entscheidung bestätigt den Willen der IAAF, Doping aus der Leichtathletik zu entfernen. Es gibt in unserem Sport keinen Platz für gedopte Athleten.“
Welche Ziele haben Sie noch in den nächsten drei Jahren Ihrer Amtszeit?
Lamine Diack: „Es ist mein Traum und meine Ambition, die Leichtathletik wieder zur Sportart Nummer eins in den Schulen zu machen.“
Interview: Jörg Wenig – publiziert in leichtathletik Nr. 24 vom 11. Juni 2008