Blog
08
04
2010

Zweimal wurde Waldemar Cierpinski Marathon-Olympiasieger. 1976 siegte der Hallenser in Montreal, vier Jahre später in Moskau. Mit seinem Sohn Falk, Tobias Sauter und Martin Beckmann trainert er die drei schnellsten deutschen Marathonläufer. Im Interview spricht der 59-Jährige über seine Trainingsphilosophie und den Marathon-Weltrekord.

Interview – „Bald unter zwei Stunden“ – Beitrag aus dem GRR Sonderheft 2010 in Kooperation mit \“aktiv laufen\“

By admin 0

Herr Cierpinski, Sie waren zuletzt mit Martin Beckmann, Ihrem Sohn Falk und Tobias Sauter für einige Tage im Trainingslager in Spanien. Welcher Trainingsaspekt stand da im Vordergrund?
In diesem Jahr steht generell die Steigerung des Leistungsniveaus auf den Unterdistanzen im Mittelpunkt. In Spanien haben wir zwar mit Wochenleistungen von deutlich mehr als 200 Kilometern sehr viel Wert auf den Umfang gelegt, aber sind wir dabei trotzdem relativ hohe Intensitäten gelaufen.

Es gibt Läufer, wie beispielsweise Duncan Kibet – mit 2:04:27 Stunden der zweitschnellste Marathonläufer der Welt – von denen weiß man, dass sie nicht mehr als 130 Kilometer in der Woche laufen. Andere kommen auf 250 Kilometer und mehr. Was ist denn die richtige Kilometerleistung für einen Marathonläufer?
Es kommt immer darauf an, was man mit dem Training erreichen will. Es gibt sicherlich nur wenige Athleten, die mit so geringen Umfängen wie Duncan Kibet solche Leistungen vollbringen können. Es ist schon möglich, aber für die meisten Athleten dieser Welt ist ein umfangreiches Training notwendig. Die Ausdauerleistung wird einfach durch die Anpassung der Organe an das Training verbessert. Die afrikanischen Ausdauerathleten bringen hier vielleicht Vorteile mit, unsere Athleten in Europa müssen sich dies durch hohe Kilometerleistungen im Training erarbeiten.

Erst seit dem vergangenen Jahr trainieren mit Martin Beckmann, Ihrem Sohn Falk und Tobias Sauter drei der besten deutschen Marathonläufer in regelmäßigen Abständen zusammen. Wie wichtig ist das Gruppentraining mit leistungsstarken Läufern?
Es ist sehr wichtig. Das Gruppentraining hat mehrere Vorteile. Man kann sich in seinem seinem täglichen Anspruch, was das Training betrifft, immer wieder an anderen messen. Zweitens ist das Gruppentraining insbesondere für harte Trainingseinheiten wichtig. Wenn man lange Schwellenläufe macht, kämpft man an seiner persönlichen Grenze. Man muss mehrere Male während des Laufes seinen inneren Schweinehund besiegen und da hilft es dann schon, wenn ein zweiter oder dritter Läufer dabei ist, der einen unterstützt. Durch das gemeinsame Training von Martin, Falk und Tobias wollen wir ganz einfach mehr Qualität in unser Training hineinbringen. In Spanien haben wir viele Trainingseinheiten zusammen mit den Österreichern und Hindernisläufer Steffen Uliczka gemacht – so hat jeder deutlich mehr geschafft, als er allein hinbekommen hätte.

Jeder Trainer hat seine eigene Trainingsphilosophie. Wie sieht Ihre aus? Es gibt eigentlich nur eine Trainingsphilosophie. Die ist vorgegeben und richtet sich nach dem Stand der Leistungsfähigkeit und der Entwicklung des Athleten. Man kann nicht an einem Tag alles trainieren. Das würde nichts bringen, weil es keine Anpassung geben würde. Ich kann nicht am selben Tag Schnelligkeit und Marathontraining machen. Das ist völliger Quatsch. Man legt über viele Wochen einen bestimmten Trainingsschwerpunkt fest. Nachdem dann dieser Zyklus zu Ende ist, kann am nächsten Schwerpunkt gearbeitet werden. Das ganze erfordert viel Fingerspitzengefühl, vor allem auch von Seiten des Trainers, und beruht ganz einfach auf Erfahrungswerten.

Welche Eigenschaften muss ein perfekter Marathonläufer, sofern es ihn gibt, mitbringen? Er müsste in erster Linie Beharrlichkeit und Aufopferungsfähigkeit im Kopf mitbringen. Er muss bereit sein zu außergewöhnlichen Leistungen und er muss in der Lage sein, diese Parameter in jedem Training und jedem Wettkampf abzurufen. Jeder Athlet hat in der Regel in der Kurzzeitausdauer ganz gute Voraussetzungen. Die Beharrlichkeit und das Ertragen von hartem Training – das ist die Kunst. Das geht aber nicht von heute auf morgen, sondern muss über Jahre aufgebaut werden. Im Prinzip kann dies aber jeder erreichen.

Mit André Pollmächer lag der beste deutsche Marathonläufer Ende 2009 in der Weltjahresbestenliste auf Rang 286. Sehen Sie einen Deutschen, der in den nächsten fünf Jahren den Sprung unter die besten 100 der Welt schaffen könnte? Wir haben zwei Felder, die den Marathon bestimmen. Da sind einmal die Stadtmarathons in der ganzen Welt, wo es um Geld geht und wo vor allem die afrikanischen Läufer dominieren. Das andere ist die Welt-Leichtathletik an sich, wo es um internationale Meisterschaften geht, so wie im letzten Jahr die WM in Berlin und in diesem Jahr die EM in Barcelona. Für mich wird der wichtigere Teil der Leichtathletik in diesem letzten Bereich abgerechnet. Hier hat es mit André Pollmächer, wohlgemerkt in dem bestbesetzten Lauf der Marathon-Geschichte, ein deutscher Läufer geschafft, unter die ersten 20 zu laufen. Dann war da noch Tobias Sauter, der nur drei Wochen nach einem Muskelabriss im rechten Beuger mit Schmerzen auf Platz 66 gelaufen ist und Falk Cierpinski, der mit einer Zerrung in der Atemmuskulatur und Seitenstichen auf Rang 53 gelaufen ist. Wenn ich mir das anschaue, dann muss ich sagen, dass es mannschaftlich in der deutschen Marathonszene einen Ruck gegeben hat. Mit etwas weniger Pech in der Vorbereitung wäre noch mehr drin gewesen. Da kann man sich jetzt natürlich darüber ärgern, aber so ist eben der Sport.

Das heißt, dass die Weltjahresbestenliste für Sie keine Aussagekraft hat? Mir geht es darum, dass die deutschen Marathonläufer bei internationalen Meisterschaften möglichst weit vorn dabei sind. Dann ist es mir egal, ob da in der Weltjahresbestenliste hundert Afrikaner schneller sind und der erste Deutsche auf Rang 200 oder 300 liegt. Unser Hauptziel sind die Olympischen Spiele. Darauf ist das Training ausgelegt. Ich differenziere da also zwischen den Afrikanern, die aus der sozialen Sicht gesehen um ihr Leben rennen und dadurch eine extrem hohe Motivation mitbringen und den internationalen Meisterschaften, wo es nicht um Geld, sondern um Titel geht.

Wie sehen Sie den aktuellen Leistungsstand der deutschen Marathonläufer? Bezogen auf meine Athleten kann ich sagen, dass wir gerade erst gestartet sind und noch zwei, drei Jahre brauchen, bis wir da sind, wo wir unsere Läufer gerne sehen möchten.

Im Sommer steht die Europameisterschaft an, wo die Afrikaner fehlen. Wie lautet dort die Zielsetzung für die deutschen Marathonläufer? Wir haben einen Mehrjahresaufbau. Im letzten Jahr standen hohe Umfänge im Mittelpunkt, die durch drei Höhentrainingslager unterstütz wurden. Dabei ging es darum, erst einmal die Grundlagen für hohe Trainingsbelastungen zu legen. In diesem Jahr sind wir dabei von unten her aufzubauen, das heißt, dass die Jungs einfach schneller laufen können. Das muss man dann in den nächsten zwei Jahren zusammenketten. In diesem Jahr ist unser Ziel im europäischen Bereich vorne mit dabei zu sein, obwohl das jetzt auch immer schwieriger wird.

Wie muss man das verstehen? Man braucht sich nur Frankreich anzuschauen. Da laufen mittlerweile fast ausschließlich Afrikaner. Deswegen wollen wir bei der EM in erster Linie ein geschlossenes Mannschaftsergebnis erreichen. Wie weit das dann im Einzelbereich mit einer vorderen Platzierung schon funktionieren wird, muss man abwarten, vor allem weil wir auch sehr schwierige Bedingungen erwarten. Es ist der 1. August. Die Temperaturen werden wahrscheinlich an die 30 Grad herangehen und die Strecke ist zudem gegen Ende mit dem Anstieg zum Stadion ziemlich schwer. Wie auch immer, wir wollen in Barcelona geschlossen auftreten und das ist auch das, wofür unsere Athleten sehr hart trainieren.

Wie sieht der EM-Fahrplan für Ihre Athleten aus? Wir wollen im Frühjahr einen guten Halbmarathon laufen, um zu sehen, wie das Training angeschlagen hat, bevor es dann ab Mai in die direkte EM-Vorbereitung geht. Ob die Jungs einen Marathon im Frühjahr laufen, steht noch nicht fest. Das hängt vom Training ab. Es ist möglich, dass der ein oder andere auf einen Start verzichtet und stattdessen weitertrainiert. Wenn die Jungs einen Marathon im Frühjahr laufen, geht es dabei allerdings nicht um eine Bestzeit, sondern primär darum, Erfahrungen zu sammeln.

Der Marathon-Weltrekord von Haile Gebrselassie steht bei 2:03:59 Stunden. Welche Zeit ist in der Zukunft möglich? Ich denke man wird eines Tages den Marathon unter zwei Stunden laufen. Wir wissen aber, dass wir bei den Männern bei einer Zeit angekommen sind, die sich nur langsam hier und dort verbessern wird. Eine Minute wird sicherlich noch relativ schnell gehen, dann wird es allerdings ein Weilchen dauern, bis es noch schneller geht, weil dafür einfach die Dichte auf den 5.000 und 10.000 Metern fehlt, um weitere Fortschritte im Marathon zu erzielen. Für die nächsten zwei, drei Jahre denke ich, dass man bei einer Verbesserung von etwa einer Minute stehen bleiben wird.

Entnommen dem GRR Sonderheft 2010 in Kooperation mit "aktiv laufen".

author: admin

Comment
0

Leave a reply