Hund Rufus während der Dialyse: Ohne rasche Behandlung wäre seine Medikamentenvergiftung tödlich verlaufen. - Foto: Universität Zürich - UZH
Internationaler Welthundetag – Vergiftet – was nun? – Universität Zürich – UZH – Santina Russo
Sei es Schokolade, Cannabis, Aspirin, Süssstoff oder der Saft einer Lilie: Viele für uns Menschen ungefährliche Substanzen sind für Hunde und Katzen toxisch – teilweise sogar lebensgefährlich.
«Hey Rufus, Rufus!» Der Angesprochene, ein knuddeliger Labrador-Pudel-Mischling, der sich eben noch in seinem Käfig ausgeruht hat, springt auf, hält den Kopf schräg und schaut aufgeweckt zu Alessio Vigani hoch. «Ja, es geht ihm wieder gut», sagt der Leiter der Abteilung Notfall- und Intensivmedizin am Universitären Tierspital Zürich. Doch noch vor einigen Stunden war der acht Monate alte Rüde in Lebensgefahr. Er hatte zuhause sein Epilepsie-Medikament aufgestöbert und ratzeputz aufgefressen. Die ganze Packung – das 30-Fache der Tagesdosis. «Ohne rasche Behandlung ist das innerhalb weniger Stunden tödlich», sagt Alessio Vigani.
Rufus ist leider kein Einzelfall. Vergiftungen sind bei Hunden und Katzen häufig und vielfältig. Etwa jeden zweiten Tag behandeln Alessio Vigani und sein Team der Notfall- und Intensivmedizin ein vergiftetes Tier im Tierspital – rund 150 Patienten pro Jahr. 80 Prozent dieser Patienten sind Hunde, 20 Prozent Katzen. Am häufigsten bei Hunden sind Vergiftungen mit Schokolade, dicht gefolgt von solchen mit Rauschmitteln wie Tabak, Cannabis oder Kokain (siehe Box). «Schokolade finden sie häufig in der Wohnung, Rauschmittel dagegen vielfach draussen beim Spazieren», sagt Alessio Vigani. «Gerade in der Region Zürich ist das ein grosses Problem.»
Ebenfalls häufig sind Vergiftungen mit Medikamenten für Menschen, darunter vor allem Schmerzmittel wie Diclofenac, Ponstan, Aspirin oder Ibuprofen. Denn für Katzen und Hunde sind die Mittel bereits in Dosen hochgiftig, die für uns Menschen komplett ungefährlich sind, weil der Stoffwechsel der Tiere die Wirkstoffmoleküle anders verarbeitet. Beispiel Ibuprofen: Eine 400 Milligramm-Tablette, die bei uns gegen Kopfschmerzen hilft, stellt für kleine Hunde wie Chihuahuas oder Yorkshire Terrier eine tödliche Dosis dar. «Auch für mittelgrosse Hunde ist diese Dosis toxisch», sagt der Notfallmediziner, «nur wirklich grosse Hunde bleiben womöglich unbeschadet.»
Wichtig ist, dass die Besitzerinnen und Besitzer der Tiere schnell und proaktiv handeln.
Das Gift aus dem Blut holen
Sein Team kann vergifteten Hunden und Katzen mit sogenannten extrakorporalen Blutreinigungsverfahren helfen, also Verfahren, bei denen der Blutkreislauf ausserhalb des Körpers gereinigt wird. Diese Methoden werden schweizweit nur an den Universitären Tierspitälern Bern und Zürich angeboten. Eine davon ist die Hämodialyse. «Viele dürften die Dialyse aus der Humanmedizin kennen, wo sie bei Nierenversagen die Funktion des Organs ersetzt», sagt Alessio Vigani. Dabei wird das Blut der Patientinnen und Patienten durch ein Gerät geleitet, das dieses mithilfe einer porösen Membran filtert und reinigt. Die Methode ist darauf ausgerichtet, vergleichsweise kleine Moleküle zu entfernen, etwa Harnstoff und Kreatinin, die sich im Blut ansammeln, wenn die Nieren versagen. «Weil medizinische Wirkstoffe meist aus ähnlich kleinen Molekülen bestehen, funktioniert die Dialyse auch, um manche toxische Überdosierungen zu behandeln», erklärt er. So wie Rufus’ Vergiftung mit seinem Epilepsie-Medikament.
Als der Hund mitten in der letzten Nacht am Tierspital ankam, konnte er sich schon längst nicht mehr bewegen. Er wurde auf einer Bahre getragen. «Rufus reagierte auch nicht mehr, wenn man ihn rief oder berührte», erzählt Alessio Vigani. Ganz komatös war er noch nicht, aber in einem kritischen Zustand. Da in seinem Fall klar war, welche Substanz die Vergiftung ausgelöst hatte, wurde der Hund sofort an die Dialyse angeschlossen und die Behandlung gestartet.
Organschäden durch die Vergiftung
Das Perfide an den vielen Vergiftungen ist allerdings, dass sie sich vielfach erst spät bemerkbar machen. Häufig sieht man Hunden und Katzen zunächst nichts an, allenfalls haben sie Durchfall, übergeben sich ein paar Mal oder wirken müde. Erst mit der Zeit werden die Effekte offensichtlicher, weil die Tiere lethargisch werden. Dies aufgrund der Organschäden durch die Vergiftung – in den Nieren, der Leber, dem Darm. Nach 24 bis 40 Stunden lassen sich diese Schäden in den Laborwerten der Organe erkennen. Je länger die Tiere unbehandelt bleiben, desto schlimmer und kritischer wird es.
«Wichtig ist, dass die Besitzerinnen und Besitzer der Tiere schnell und proaktiv handeln, wenn sie mitbekommen oder schon nur den Verdacht haben, dass ihr Schützling etwas potenziell Toxisches gefressen hat», sagt darum Notfallmediziner Alessio Vigani. Sie sollten das Tier sofort zum Tierarzt oder in eine Notfallklinik bringen, auch mitten in der Nacht oder an einem Sonntag. Oder zumindest bei den Veterinären anrufen, damit diese das Risiko einschätzen können.
Ist erst wenig Zeit vergangen, können Tierärzt:innen ein Medikament verabreichen, das die Tiere zum Erbrechen bringt. Damit wird die toxische Substanz aus dem Magen entfernt, bevor sie absorbiert wird und ins Blut gelangt. Je nach Substanz hat man dafür 30 bis 90 Minuten Zeit. Danach aber bringt diese Massnahme nichts mehr. Tierarztpraxen haben dann noch die Möglichkeit, Kohletabletten zu geben oder eine Infusion mit einer Lipidemulsion aus Sojabohnen-Öl zu legen, um die im Darm und im Blut zirkulierenden Toxine zu binden – oder zumindest einen Teil davon.
Neue Behandlungsmöglichkeiten
Ansonsten sind die Blutreinigungsverfahren an den Universitären Tierspitälern die einzige Möglichkeit, dem Körper zu helfen, mit der Vergiftung klarzukommen. Kürzlich hat Alessio Viganis Team eine Möglichkeit entwickelt, um eine Vergiftung mit Schneckenkörner durch Dialyse zu behandeln. Die Körner schmecken süss – auch für Hunde. Schon geringe Konzentrationen des darin enthaltenen Metaldehyds sind gefährlich. Bisher litten vergiftete Tiere typischerweise eine Woche lang unter Krampfanfällen. Neu kann die Substanz mit eigens entwickelten Filtern aus dem Blut entfernt werden. Innert drei Stunden geht es dem Tier wieder gut.
Neben der Dialyse nutzen die Tierärzt:innen die sogenannte Plasmapherese, etwa für Überdosen mit Medikamenten wie Ibuprofen. Denn diese werden im Blutkreislauf an körpereigene Proteine gebunden und bilden damit Partikel, die zu gross sind, um sie mittels Dialysemembran zu entfernen. In der Plasmapherese dagegen wird das Blutplasma der Patienten mit Plasma von einem Spendertier ausgetauscht – und so die Blutbahn gereinigt.
Eine dritte Methode, die Hämoperfusion, nutzt eine Art Schwamm, um Giftstoffe zu binden.
Hätte Rufus die Blutreinigungstherapie nicht erhalten, wäre er vermutlich eine Woche lang in einem annähernd komatösen Zustand gewesen, bis sein Körper die Überdosis abgebaut hätte.
Ein Leben gerettet
Diese Blutreinigungsverfahren schlagen rasch an. Auch Rufus war schon nach einer halben Stunde am Dialysegerät wacher und nach einer Stunde komplett wach und aufmerksam, wie Alessio Vigani erzählt. Während der restlichen zwei Stunden am Gerät reagierte Rufus auf Streicheleinheiten und Spiele. Der Leiter der Notfall- und Intensivmedizin zeigt einige Handyfotos, auf denen das Betreuerteam den Hund herzt und mit ihm spielt, um ihn zu zerstreuen. Nach rund drei Stunden Therapie, um vier Uhr morgens, ging es ihm wieder so gut, dass er sich mit Appetit über sein Frühstück hermachte.
«Hätte Rufus die Blutreinigungstherapie nicht erhalten, wäre er vermutlich eine Woche lang in einem annähernd komatösen Zustand gewesen, bis sein Körper die Überdosis abgebaut hätte», sagt Alessio Vigani. Die Therapie hatte nur eine Chance auf Erfolg, weil Rufus’ Besitzer ihn rasch in eine Tierklinik gebracht haben, in der als erstes sein Magen geleert wurde, bevor er dann zur weiteren Behandlung ans Tierspital kam. «Sonst wäre Rufus jetzt womöglich nicht mehr am Leben.»
Nicht nur für Hunde, sondern auch für Katzen sind manche alltäglichen Dinge hochtoxisch. Beispielsweise Lilien: Schon das Herumkauen an Blütenblättern oder das Schlucken von etwas Liliensaft kann für eine Katze tödlich enden. «Darum sollten Katzenbesitzer:innen die Blumen unter keinen Umständen zuhause haben und auch all ihren Freunden sagen, dass sie keine Lilien geschenkt bekommen möchten», sagt Alessio Vigani. Haben die Tiere Saft geschluckt, kann einzig das rechtzeitige Leeren des Magens helfen – eine andere Behandlungsmethode gibt es nicht.
Achtung Rattengift
Meistens passieren Vergiftungen aus Versehen oder Zufall. Und doch: Jedes 20. Tier, das in der Notfall- und Intensivmedizin am Universitären Tierspital Zürich deswegen behandelt wird, wurde mutwillig vergiftet. Meist mit einem Fleischköder, der mit Rattengift versetzt war. Bei einem solchen Verdacht können Alessio Vigani und sein Team eine Blutprobe forensisch analysieren lassen. Im Notfall ist das Ergebnis innert vier Stunden da und gibt Hinweise über die Art und Menge des Gifts und über die richtige Behandlung. Vielfach hat Rattengift zur Folge, dass das Blut der Tiere nicht mehr gerinnt. So kann bereits eine winzige äussere oder innere Verletzung schwere Blutungen verursachen. «Wird die Vergiftung rasch entdeckt, ist die Prognose aber gut», sagt Alessio Vigani. Ein Vitamin-K-Präparat kann die Blutgerinnung wieder ankurbeln, und im Notfall lassen sich über eine Transfusion mit Blutplasma Gerinnungsfaktoren übertragen.
Auch bei Rufus ist inzwischen wieder alles gut. Einzig der mit einer weissen Bandage fixierte Venenzugang an seiner linken Vorderpfote erinnert noch an die Gefahr, in der er bis vor Kurzem schwebte. «Seine Prognose ist sehr gut», sagt der Notfallmediziner. Rufus muss noch einige Stunden zur Beobachtung am Tierspital bleiben, doch schon am Nachmittag darf er wieder nach Hause.