Damit ist einer Entwicklung Rechnung getragen, die sich seit einigen Jahren, genauer gesagt: spätestens seit Mitte der 1990er Jahre, in der internationalen sport- und trainingswissenschaftlichen Literatur abzuzeichnen begann und in der Praxis des Leistungssports zunehmend Beachtung gefunden hat.
Installation und Einweihung der Kältekammer im Bundesleistungszentrum Kienbaum – Univ.-Prof. Dr. Winfried Joch und Priv. Dozentin Dr. Sandra Ückert
Kienbaum 14. Juli 2009 – Sie sind heute Zeuge eines erstmaligen Ereignisses im deutschen Sport – und ich hoffe, dass es auf Dauer nicht zu einem einmaligen Ereignis verkümmert: Dass nämlich eine Kältekammer ausschließlich zur Nutzung für den Sport gebaut wurde und für die Sportler, die hier trainieren, im Zukunft frei zur Verfügung steht.
Damit ist einer Entwicklung Rechnung getragen, die sich seit einigen Jahren, genauer gesagt: spätestens seit Mitte der 1990er Jahre, in der internationalen sport- und trainingswissenschaftlichen Literatur abzuzeichnen begann und in der Praxis des Leistungssports zunehmend Beachtung gefunden hat. Mitte dieser 1990er Jahre haben die Australier in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Atlanta und dann 2000 in Sydney begonnen, Kälteapplikationen im Trainingsprozess anzuwenden und für die Leistungsoptimierung nutzbar zu machen.
Und sie haben diesen Prozess auch wissenschaftlich begleitet, was sich bis heute nahezu über alle Länder dieser Erde, die leistungssportliche Ambitionen haben, verbreitet hat.
Die Arbeitsgruppe JOCH & ÜCKERT hat diese Thematik seit Ende der 1990er Jahre aufgegriffen und bislang etwa 30 wissenschaftliche Studien dazu durchgeführt und – zum Teil auch in internationalen Publikationsorganen – veröffentlicht. Daneben und darüber hinaus haben wir in einer ganzen Reihe von Vorträgen, Trainerfortbildungen und Verbandsinformationen diese Thematik publik zu machen versucht. Wir freuen uns deshalb, dass heute als vorläufige Krönung dieser Entwicklung sozusagen, im Bundesleistungszentrum Kienbaum den Sportlern erstmals eine Anlage zur Verfügung steht, die diese Kälteapplikation systematisch und in der Variante „Kältekammer“ für die Optimierung des Trainingsprozesses ermöglicht. Zu dieser Optimierung des Trainingsprozesses gehören Leistungsverbesserung, Regeneration und Physiotherapie.
Lassen Sie mich in der gebotenen Kürze zwei Aspekte benennen, die die Wirkungsweise von Kälteapplikation mittels einer Kältekammer im Kontext des sportlichen Trainings verdeutlicht:
1. Im Sport ist alles auf Wärme fixiert. Das fängt beim „Aufwärmen“ an und hört bei Trainingslagern in südlichen Sonnen-Ländern nicht auf. Nun wissen wir natürlich auch – und haben es vielleicht schon am eigenen Leib erfahren –, dass zuviel Wärme auch leistungsmindernd sein kann. Die Olympischen Spiele in Athen und Peking haben das wieder ins Bewusstsein gebracht und die Leichtathleten haben es bei den letzten Weltmeisterschaften in Osaka deutlich zu spüren bekommen. Die Fixierung auf die Wärme ist also eine durchaus zweischneidige Angelegenheit.
Es kommt nämlich primär gar nicht auf die Wärme an, sondern auf die Temperatur und die Temperaturregulation, also auf die Herstellung eines optimalen und leistungsförderlichen Verhältnisses zwischen Wärme und Kälte. Wärme und Kälte sind die beiden Pole, zwischen denen sich die Temperaturregulation abspielt. Wenn wir von Kälteapplikation sprechen, bezeichnen wir damit also eigentlich den Vorgang der Temperaturregulation, mit dessen Hilfe ein optimales Verhältnis zwischen körpereigener Wärme, die durch Muskelarbeit immer erzeugt und weiter gesteigert wird, und den erforderlichen Kühlungsme-chanismen hergestellt wird, damit leistungsförderliche Temperaturbedingungen wirksam werden können.
Wenn es zu keinem Abbau dieser körpereigenen Wärmeproduktion kommen würde, führte dies mehr oder weniger schnell in einen Temperaturbereich, der als „kritische Temperaturgrenze“ bezeichnet wird und leistungsnegativ wirkt. Zur Vermeidung dieser kritischen Temperaturgrenze ist in vielen Fällen eine dosierte Kälteapplikation erforderlich.
Der Mensch ist als „gleichwarmes Lebewesen“ auf einen Temperaturwert von 37° C als Sollwert eingestellt. Verlässt er diesen Temperaturbereich, was durch Muskelarbeit – ohne Wärmeabgabe – zwangsläufig geschieht, muss er leistungsmindernde Effekte in Kauf nehmen. Kälteapplikation unterstützt also die natürlichen Wärmeabgabemechanismen und fördert damit die Leistungsfähigkeit des Organismus.
2. Die Kältekammer ist wegen der Ganzkörperwirkung die wahrscheinlich wirksamste Variante dieser Kälteapplikation, auch wenn sie in ihrem Einsatzbereich wegen der Immobilität nicht überall eingesetzt werden kann. Aber im Rahmen eines stationären Leistungszentrums stellt sie sicher die Optimallösung dar. Lassen Sie mich die Wirkung dieser Kammer, die bis auf 110- bis 120° Celsius herunter gekühlt werden kann, verdeutlichen.
Wer die Vorstellung hat, bei dieser Ganzkörperkälteapplikation in einer Kältekammer bei minus 110° C handele es sich um einen Ausflug nach Sibirien oder in die kalten Schmuddeltage, die in Deutschland gelegentlich im November oder Dezember herrschen, verbunden mit Erkältung, Schnupfen und klammen Fingern, der irrt. Hier in der Kältekammer geht es um eine kurzfristige, hoch dosierte Ganzkörperkälteapplikation, die sich vor allem auf die Körperperipherie bezieht. Der Körperkern und die Muskulatur bleiben davon weitgehend unbetroffen.
Die Konzentration auf die Körperperipherie beiwirkt, dass die Blutmenge, die sich unter Wärmebedingungen in der Haut und an der Körperschale konzentriert – dann zu Lasten des Körperkerns – nun vor allem dem zentralen Blutkreislauf zugeführt werden kann und damit einerseits für eine Ökonomisierung des Herz-Kreislauf-Systems sorgt durch Erhöhung des Herzschlagvolumens und Reduzierung der Herzschlagfrequenz und andererseits eine vermehrte Muskeldurchblutung sicher stellt, die zu einer generell verbesserten Versorgung der Muskulatur führt. Und das ist es, was wir im Sport haben wollen.
Die im Sinne der sportlichen Betätigung optimierte Blutmengenverteilung ist eine wesentliche Folge und das zentrale Anliegen der Ganzkörperkälteapplikation. Sie ist nur erreichbar in dieser hoch dosierten und kurzfristig applizierten Form. Es kommt hinzu, dass durch die Absenkung der Hauttemperatur in der Kältekammer der Wärmeaustausch vom Körperzentrum an die Umgebung in Folge des Temperaturgefälles besser und schneller funktioniert. Dies trägt zur Temperaturregulation im Sinne eines optimierten Verhältnisses zwischen Wärme und Kälte bei. Insofern haben wir es mit einer doppelten Wirkungsweise im Rahmen der Ganzkörperkälteapplikation zu tun:
a) Die Blutmengenumverteilung in Richtung Körperzentrum als Folge der peripheren Vasokonstriktion bewirkt eine Ökonomisierung der Herzkreislauftätigkeit und eine verbesserte Muskeldurchblutung;
b) die Absenkung der Hauttemperatur führt zu einer verbesserten Wärmeabgabe, die einen Anstieg der Körperkerntemperatur als Folge muskulärer Arbeit verzögert oder verhindert, und damit das Erreichen einer leistungsnegativen kritischen Temperaturgrenze vermeidet.
3. Zum Schluss gestatten Sie mir noch eine kurze ergänzende Anmerkung:
Eine solche innovative Einrichtung, wie sie heute im Bundesleistungszentrum Kienbaum mit dieser Kältekammer eröffnet wird, hat viele Väter. Zu denen, die mit uns seit 10 Jahren zusammen gearbeitet haben, gehört Prof. Fricke, der als Internist und Rheumatologe die Kältekammern in Deutschland Mitte der 1980 Jahre eingeführt hat, und der lange zur unserer Arbeitsgruppe dazu gehörte. Von ihm haben wir viel gelernt und ohne ihn wäre manches nicht so umgesetzt worden, wie es nun geschehen ist.
Zu den Vätern gehören aber auch diejenigen, die letztlich durchgesetzt haben, dass diese Kältekammer hier in Kienbaum eingerichtet wurde. Ohne das Placet und ohne die Durchsetzungsfähigkeit des DOSB, wäre dies – auch gegen mancherlei Widerstände, die es gab und sicher immer noch gibt – nicht möglich gewesen. Mein Dank geht also auch in diese Richtung und insbesondere an Herrn Kreutzer, der auch hier bei der Einweihung dabei ist, für seine unterstützende Aktivität und seine fordernde Tatkraft bei diesem Vorhaben.
Bei denjenigen, die sonst noch dazu gehören, insbesondere bei Frau Priv. Dozentin Dr. Ückert, die wie ich und mit mir zusammen seit 10 Jahren diese Thematik der Kälteapplikation erforscht hat und die sich mit diesem Thema an der Technischen Universität Dortmund habilitiert hat, habe ich mich schon persönlich bedankt und wiederhole diesen Dank hiermit auch öffentlich.
Univ.-Prof. Dr. Winfried Joch und Priv.Dozentin Dr. Sandra Ückert