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22
07
2008

Verbänden muss es erlaubt sein, Sportler nicht nur nach absoluten Leistungsmerkmalen auszuwählen. Im Grunde muss man es von ihnen sogar verlangen. Die deutsche Olympia-Nominierung zum Beispiel in der Disziplin Radsport wirkt doch etwas milde nach allem, was man über die Velo-Branche weiß.

Im Labyrinth – Von Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung – Gerichtsurteil gegen früheren Doper -Olympia ohne Chambers

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Diese Niederlage hat sich der Anwalt des Sprinters Dwain Chambers verdient. War Jonathan Crystal noch bei Trost, als er im Prozess gegen die Olympiasperre seines Mandanten die besseren Medaillenchancen Großbritanniens als Argument anführte? Als er also den nackten Erfolg in Peking über die Moral stellte?

Darauf konnte der Richter nicht eingehen und urteilte klar: Seit 16 Jahren hat das Britische Olympische Komitee BOA die Regel, dass wegen Dopings gesperrte Briten ihr Recht auf einen Olympia-Start für immer verwirkt haben. Für Chambers, 2003 mit dem Designer-Steroid THG erwischt, wird sie nicht außer Kraft gesetzt. Trotz erfüllter Qualifikationskriterien darf er nicht laufen in Peking.

Ein Argument für einen Chambers-Start hätte es doch gegeben: Dass er einen Beitrag geleistet hat zum Antidoping-Kampf, indem er vor dem britischen Sportbund Auskünfte über seine Dopingroutine als Kunde des US-Labors Balco gab. Zwar hatte sich Chambers lange Zeit gelassen, bis er die Einblicke gewährte. Zwar brauchte er dazu einen Brief des früheren Balco-Chefs Victor Conte, weil er selbst offenbar gar nicht sagen kann, was genau er damals nahm (neben THG Insulin, HGH, Epo und Modafinil). Trotzdem war die Aussage interessant, vor allem weil sie zeigte, wie Doper die Missed-Test-Regel missbrauchen.

Gereicht hat das nicht, was das Urteil gegen Chambers nicht weniger ehrenwert macht. Aber es wirft auch grundsätzliche Fragen auf zu Strafen im Sport, Rehabilitationsmöglichkeiten und Moral als Nominierungskriterium. Strafen müssen hoch sein, insofern verdient die BOA-Regel Sympathie. Aber Strafen müssen auch flexibel sein, damit Doper einen Anreiz haben, mit Informationen den Antidopingkampf zu unterstützen. Hilfreiche Kronzeugen wie der deutsche Radprofi Jörg Jaksche haben einen Strafnachlass verdient. Dass Verbände und Teams diesen nicht wirklich akzeptieren – Jaksche fand keinen Rennstall –, erweckt den Eindruck, dass sie gar keine tiefen Enthüllungen wollen.

Verbänden muss es erlaubt sein, Sportler nicht nur nach absoluten Leistungsmerkmalen auszuwählen. Im Grunde muss man es von ihnen sogar verlangen. Die deutsche Olympia-Nominierung zum Beispiel in der Disziplin Radsport wirkt doch etwas milde nach allem, was man über die Velo-Branche weiß. Im Sinne eines geschärften Antidoping-Bewusstseins wäre gewesen, die Mannschaft frei zu halten von erfahrenen Mitradlern des verseuchten Pelotons wie Stefan Schumacher und Jens Voigt, deren Karrieren Zweifel aufwerfen. Auch wenn die Zahlen sagen, dass sie schnell genug sind für die Spiele, und keine positiven Dopingtests vorliegen. Der Sport ringt doch noch sehr um Orientierung in seinem Labyrinth der Doppelmoral.

Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung, Sonnabend/Sonntag, dem 19./20. Juli 2008 

Gerichtsurteil gegen früheren Doper – Olympia ohne Chambers

London/München – Es waren wieder viele Fotografen und Fernsehteams da, als der Sprinter Dwain Chambers den Kampf um seinen Olympia-Start endgültig verloren hatte. Chambers wühlte sich durchs Gedränge, wehrte alle Fragen ab und verschwand. Tags zuvor hatte er noch zuversichtlich gewirkt vor dem High Court in London, für die Medien posiert und selbst berichtet, dass Richter Colin Mackay das Urteil über seine, Chambers’, Olympiasperre wegen des positiven Tests auf das Designer-Steroid THG 2003, um einen Tag auf Freitag verlegt hatte. „Zwei enge Rennen in einer Woche” habe er auszutragen, sagte Chambers und meinte damit seinen Einsatz vom Wochenende bei den britischen Meisterschaften, als er sich über 100 Meter in 10,00 Sekunden formal für Olympia qualifiziert hatte. Und diesen Prozess, der sich länger hinzog als gedacht.

Chambers hatte eine Einstweilige Verfügung erwirken wollen gegen die Regel des Britischen Olympischen Komitees (BOA), wonach Sportler auch nach abgesessenen Dopingsperren nicht mehr bei Olympia starten dürfen. Viele Juristen hatten ihm gute Chancen eingeräumt, obwohl er als früherer Kunde des US-Labors Balco im größeren Stil gedopt hatte. Das Plädoyer des Chambers-Anwalts Jonathan Crystal lief darauf hinaus, dass die BOA-Regel eine unrechtmäßige Einschränkung seiner geschäftlichen Interessen bedeute, außerdem sei Chambers „unsere beste Chance auf einen Podiumsplatz über 100 Meter in Peking”. Richter Mackay war nicht beeindruckt: „Nach meinem Urteil gäbe es viel bessere Fälle als jenen, den der Kläger vorgetragen hat, um mich davon zu überzeugen, dass der Status Quo verworfen und der Olympia-Start angeordnet werden muss.”

BOA-Vorstand Colin Moynihan sah in dem Urteil „eine starke und wichtige Botschaft”. Er nannte es „bedauerlich”, dass Chambers wegen seiner Dopingvergangenheit sein „unzweifelhaftes Talent” nicht bei den Spielen zeigen könne. Aber die Erleichterung war ihm deutlich anzumerken. Die Debatten um Chambers hätten viel Unruhe ins britische Olympia-Team für Peking gebracht, nun sind sie vom Tisch. Chambers wird keine Berufung einlegen.

Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung, Sonnabend/Sonntag, dem 19./20. Juli 2008

 

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