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12
01
2015

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Im Gespräch: Wolfgang Maennig „Keine öffentlichen Gelder für Olympia!“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Der mögliche deutsche Bewerber um die Olympischen Spiele 2024 muss mit Boston in Konkurrenz treten. Umso wichtiger sind die Anregungen von Wolfgang Maennig. Der Ruder-Olympiasieger plädiert im F.A.Z.-Interview für eine Bewerbung ohne Belastung der Steuerzahler.

Die Vereinigten Staaten haben sich für Boston als Kandidaten für die Olympischen Spiele 2024 entschieden. Damit steht einer der Hauptkonkurrenten einer möglichen deutschen bewerbung fest. Nach Bürgerbefragungen im Frühjahr in Hamburg und Berlin soll diskutiert werden, ob sich eine der beiden deutschen Städte bewirbt.

Wolfgang Maennig, Ruder-Olympiasieger von 1988 und heute Professor für Wirtschafstwissenschaften, plädierte in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vor Weihnachten 2014 dafür, die Bewerbung ohne Belastung der Steuerzahler zu finanzieren, um die zuletzt geringe Akzeptanz eines Olympiaprojekts zu erhöhen.

Die Deutschen sind sportbegeistert. Warum lassen sie sich für die Spiele nicht erwärmen?

Wenn ich die gescheiterten Bewerbungen Revue passieren lasse und die jetzigen Bemühungen betrachte, sehe ich zwei Problembereiche: Führungspersonal und Finanzen. Wir haben die allgemeine Wahrnehmung knapper öffentlicher Finanzen. Wenn an Schulen, Springbrunnen und Bibliotheken gespart werden muss, ist schwer zu vermitteln, dass wir bis zu 50 Millionen Euro für die Olympiabewerbung brauchen, und eventuell müssen wir sie in vier Jahren für eine zweite Bewerbung (2028) wiederholen. Wenn die Spiele kommen, werden angeblich bis zu sechs Milliarden fällig. Richtige Kostenschätzungen gibt es ja noch nicht. Viele Bürger akzeptieren das nicht.

Sie sollen zu knickerig sein für große Events?

Nein, aber sie wollen nicht, dass die Olympischen Spiele den Steuerzahler so viel Geld kosten. Niemand hat etwas dagegen, wenn die Champions League in Berlin stattfindet oder die Rolling Stones im Olympiastadion spielen – privat finanziert. Am Ende wollen sogar mehr dabei sein, als ins Stadion können.

Sie fordern, Olympische Spiele in Deutschland privat zu finanzieren?

Ja, damit würde die Zustimmung schlagartig steigen. Die Organisationskosten betragen zweieinhalb bis drei Milliarden Euro. Diese sogenannten OCOG-Ausgaben sind in den letzten Dekaden immer durch Olympia-Einnahmen finanziert gewesen. Das IOC gibt einen Beitrag aus den Sponsoren- und Fernseheinnahmen. Es bemisst den Betrag so, dass jeder, der vernünftig wirtschaftet, Olympische Spiele ohne Defizit organisieren kann. Seit der Agenda 2020 könnten Berlin und Hamburg mindestens eine Milliarde Euro erwarten.

Das reicht nicht.

Das IOC insistiert auf einem Budget des jeweiligen Organisationskomitees (OCOG) von mindestens zweieinhalb Milliarden Dollar, weil es nicht mehr will, dass in den Bewerberstädten Illusionen herrschen. Zu den Einnahmen aus dem IOC-Beitrag kommen aber die Ticket-Erlöse, das nationale Sponsoring, Einnahmen womöglich aus Lotterie und Münzen, Briefmarken und anderem Merchandising.

Peking 2008 und Sotschi 2014 haben sich die Spiele über die Organisation hinaus insgesamt gut fünfzig Milliarden Euro kosten lassen, auf Kosten der Bürger ihrer Länder.

Genau diese Wahrnehmung ist das Problem. Alle dauerhaften Bauten, die für die Spiele entstehen, werden dem sogenannten Non-OCOG-Budget zugerechnet, von Sportstätten bis Verkehrsinfrastruktur. Allein das 2008 eröffnete Terminal 3 des Flughafens Peking soll 1,8 Milliarden Euro gekostet haben. Sotschi hat einen Hafen, Straßen, Tunnel und Kraftwerken gebaut. Alles dies gilt verallgemeinernd als Olympiakosten – und schreckt die Menschen in Deutschland ab.

Aber dies ist letztlich der Grund dafür, dass Politik und Sport Olympische Spiele wollen: Sie wollen einen Investitionsschub auslösen, Städte neu gestalten, Stadtviertel bauen und Sportanlagen schaffen. Zuletzt haben wir das im Osten von London erlebt.

Ich nenne dies das Barcelona-Syndrom. Die Stadt war unter (Diktator, d. Red.) Franco vernachlässigt worden und hat aus Anlass der Spiele 1992 öffentliche Gelder in Höhe von vielen Milliarden Euro vom spanischen Staat erhalten. Die konnte sie in die Stadtentwicklung stecken. Barcelona gehört heute zu den Top Fünf der europäischen Tourismusziele. Das Problem: Seit Barcelona 1992 bewerben sich die Städte in aller Welt nicht etwa, weil sie die besten Sportler beherbergen wollen, sondern weil sie mit Mega-Events ihre Regierungen um Milliardenbeträge erpressen können. Sie missbrauchen Olympia als Stadtentwicklungsprogramm.

Hamburg plant Olympia als Teil seines Sprungs über die Elbe mit Stadion und Olympischem Dorf auf der Halbinsel Kleiner Grasbook. Berlin will das Flughafengelände Tegel entwickeln, vielleicht noch dazu Tempelhof und das Olympiagelände von 1936. Sind Stadtentwicklung, Wohnungsbau und die Schaffung von Sportstätten falsch?

Stadtentwicklung ist wichtig, aber wir laufen Gefahr, Olympia finanziell und inhaltlich zu überfordern. Wie soll Olympia in sieben Jahren den Sprung leisten, den Hamburg in Jahrzehnten nicht geschafft hat? Bei den deutschen Planungsanforderungen und rechtlichen Widerspruchsmöglichkeiten? Der öffentliche Widerstand ist abzusehen, und er wird auf das unschuldige Olympia projiziert. Man kann die Politik nicht durch Olympia aus der Verantwortung für sinnvolle Stadtentwicklung entlassen. Ich möchte den Zusammenhang zwischen Olympia und Stadtentwicklung grundsätzlich in Frage stellen. Olympia muss man wegen der Spiele an sich wollen, nicht wegen etwas anderem.

Sind Kosten von 3,5 Milliarden Euro für Berlin und sechs Milliarden für Hamburg realistisch?

Diese Frage ist so ähnlich wie die Frage, was ein Auto kostet. Man kann einen gebrauchten Dacia für 2000 Euro kaufen oder einen neuen Bugatti für eine Million. Wenn man Olympia für Stadtentwicklung im genannten Umfang nutzen will: ja, vielleicht reichen die genannten Milliardenbeträge – vielleicht auch nicht. Die Frage ist anders zu stellen, nämlich vom Ergebnis her: Wie viel Geld der öffentlichen Hand dürfen Olympische Spiele kosten, damit die Bevölkerung sie unterstützt?

Die Antwort kann nicht in irgendeiner Milliardenzahl liegen, die glaubt die Bevölkerung in Berlin und Hamburg aus leidvollen Erfahrungen ohnehin nicht. Es gibt wohl nur eine einzige, vielleicht radikal erscheinende Lösung: keine öffentlichen Berliner oder Hamburger Gelder für die Olympischen Spiele. Das heißt keine öffentlichen Gelder für das Olympische Dorf. Das muss durch private Investoren gebaut werden. Und keine Sportstätten, die nicht aus den Olympiaeinnahmen finanziert werden können.

Könnten Sie das garantieren?

Ich würde es so machen wie Atlanta 1996 und Los Angeles 1984. Die Landesparlamente beschließen: Olympia ja, aber ohne Geld aus den Stadthaushalten. Wenn der Gesetzgeber das festschreibt, sollte es glaubwürdig sein. Und anfangen sollten wir mit den Kosten der Bewerbung. Keine öffentliche Finanzierung. Die Bewerbung muss vom zivilbürgerlichen Engagement getragen werden. Weitgehend ehrenamtlich, ansonsten ausschließlich über Spenden.

Wie wollen Sie Sicherheit privatisieren?

Zu Athen 2004 stellte die Nato Awacs-Flüge zur Überwachung des Luftraums bereit, und die 6. Flotte der US-Navy kreuzte im Ionischen Meer. Dennoch: die Zahlen, welche wir für die Olympiabewerbungen von München 2018 und Leipzig 2012 von der Bundeswehr, Bundespolizei und vom Zoll erhielten, waren lediglich kleine Millionenbeträge – mehr oder weniger olympiabedingte Sonderausstattung und Überstunden der Beamten.

Die geringen Ansätze machen Sinn: Die 6. Flotte musste ohnehin irgendwo üben, es entstanden also kaum echte zusätzliche monetäre Belastungen. Einerlei, wo man in dieser unter Terror leidenden Welt eine Großveranstaltung hat, wird man immer Sicherheitsmaßnahmen brauchen. Das ist kein spezifisches Problem von Berlin oder Hamburg und auch keines der Olympischen Spiele. Es handelt sich um Sicherheits- und Terrorismus-Kosten, nicht um Olympia-Kosten.

Erwarten nicht die Mitglieder des IOC, dass ihre Spiele einen großartigen Rahmen bekommen und sie der Stadt ein Erbe hinterlassen?

Die olympische Familie fand es bis vor kurzem tatsächlich gut, dass ihre Spiele Anlass waren, Milliarden zu investieren. Das hat ihre Spiele und sie selbst aufgewertet. Das IOC hat oft gesagt, dass es Spuren hinterlassen wolle, dass es in Ländern und Regionen, in denen die olympischen Sportarten nicht so stark waren, diese verbreiten wollte. Aber der Rückgang der Bewerberzahlen vor allem aus demokratischen Ländern hat dem IOC gezeigt, dass es überzogen hat. Die Olympiakandidaten der Vereinigten Staaten wollen übrigens verfahren wie Atlanta 1996 – ohne Steuergeld. Wenn wir Deutschen mit einem ähnlichen Konzept kommen, haben wir zumindest gegenüber unseren schärfsten Wettbewerbern keinen Nachteil.

Deutschland hat in den vergangenen drei Dekaden bei den Versuchen, Olympische Spiele zu bekommen, extrem wenig Stimmen vom IOC bekommen. München 2022 ist am Widerstand der bayerischen Bevölkerung gescheitert. Ist das deutsche Olympia-Personal nicht gut genug?

Ich komme bitte wieder vom Ergebnis her. Ich habe versucht, zusammenzuzählen, wie viele Geschäftsführer es in den Olympiabewerbungen von Berlin, Leipzig und München gab. Ich bin auf 14 gekommen – wahrscheinlich habe ich einige vergessen. Die politischen Entscheidungsträger selbst haben regelmäßig nach relativ kurzer Zeit feststellen müssen, dass sie die Falschen ausgewählt hatten. Ja, es waren auch gute Führungspersönlichkeiten dabei, aber das waren Ausnahmen. Es war die Regel, dass wir die falschen Leute in der Führung der Olympiakampagnen hatten. Jedes Mal gab es Verdruss und schwindende Unterstützung in der Bevölkerung. Wir sollten analysieren, ob es systemische Fehler bei der Wahl der Olympiageschäftsführer in Deutschland gibt.

Wie meinen Sie das: systemisch?

Bei dem üblichen Gehalt, welches sich maximal an demjenigen von Messe-Geschäftsführern orientiert, bekommen wir offensichtlich nicht hinreichend viele gute Bewerbungen auf die als Schleudersitz wahrgenommene Geschäftsführerposition, für die sie dann nach aller Erfahrung auch noch in der Öffentlichkeit permanent kritisiert werden.

Eine bessere Bezahlung müssten Sie auch privat finanzieren.

Wenn wir für dieses Gehalt keine Weltklasse-Persönlichkeiten bekommen, sollten wir gar nichts bezahlen. Ehrenamtlich ist ein Top-Manager vermutlich eher bereit, den Job zu übernehmen, als für ein in seinen Augen mickriges Gehalt. Das klingt paradox, könnte aber eine Lösung sein: kein Lohn – bessere Bewerber. Dazu kommt: Vielleicht müssen wir die Illusion von einer einzigen Persönlichkeit die alles kann, aufgeben. Wie wäre es mit einem, sagen wir: Vierer ohne Steuermann? Einem Team, in dem alle geforderten Talente zusammenkommen. Wenn eine der Persönlichkeiten ausfällt, ist dies weniger von Belang. 

Macht das die Politik mit?

Ein schwieriger Punkt. Politiker werden von uns demokratisch legitimiert und fühlen sich erst mal zu Recht für alles von Bedeutung verantwortlich. Sie können nur bedingt Interesse an unabhängigen Olympia-Geschäftsführern haben. Deshalb fällt es vielen meiner politischen Gesprächspartner zu Olympia schwer, meinem Gedanken nahezutreten:

Kein öffentliches Geld – kein Einfluss bei Olympia. Die Politik sollte ihre eigene Verantwortung aber hinterfragen, im positiven Sinne: Muss sie sich wirklich um Olympia kümmern, bis in jedes Detail? Ich bin überzeugt: Auch hier wäre ein öffentlicher Partizipationsprozess angemessen.

Das Gespräch führte Michael Reinsch – Frankfurter Allgemein Zeitung, Freitag, dem 9. Januar 2015 

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author: GRR

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