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18
10
2024

Die Frage, ob eine Person an einem Hirntumor erkrankt ist, möchte der Neurologe Tobias Weiss künftig kostengünstig und weniger invasiv beantworten. - Foto: Diana Ulrich - Universität Zürich - UZH

Im Blut lesen – Universität Zürich – UZH – Adrian Ritter

By GRR 0

Hirntumoren sind schwierig zu diagnostizieren und zu behandeln. Der Neurologe Tobias Weiss forscht an einer neuen Methode, mit der in Blutproben Hinweise auf einen Hirntumor gefunden werden können. Er nutzt dazu Zellpartikel, die sich als vielversprechende Biomarker erwiesen haben: die extrazellulären Vesikel.

Tobias Weiss macht halbe-halbe. Die Hälfte seiner Arbeitszeit verbringt der Oberarzt der Neurologie am Universitätsspital Zürich (USZ) mit Patientinnen und Patienten – insbesondere solchen mit Hirntumoren. In der anderen Hälfte seiner Arbeitszeit ist er Forschungsgruppenleiter am Zentrum für Neurowissenschaften der Universität Zürich.

Hier ist sein Ziel, neue Therapien für Patient:innen mit Hirntumoren zu entwickeln. Die Motivation für die Zweiteilung seiner Arbeit ist klar: «Ich bin täglich damit konfrontiert, dass Hirntumoren immer noch zu den Krebsformen gehören, die am schwierigsten zu behandeln sind.»

Rund 2000 Menschen erkranken in der Schweiz jährlich neu an einem Hirntumor – etwa ein Drittel davon an der häufigsten und aggressivsten Form, dem bösartigen Glioblastom. Zu den Patientinnen und Patienten in der Neurologie am USZ gehören zudem von Hirnmetastasen Betroffene. Um ihnen in Zukunft bessere Perspektiven bieten zu können, forscht das Team um Weiss auf mehreren Ebenen: Einerseits entwickeln und erproben sie in klinischen Studien neue Immuntherapien. Andererseits suchen sie nach neuen, besseren Methoden der Diagnostik – um Hirntumoren und Hirnmetastasen möglichst frühzeitig und präzise erkennen und auch die Wirksamkeit der Therapie gut überwachen zu können.

Ein alter Traum der Medizin

Damit ein Hirntumor verlässlich diagnostiziert und seine molekulare Struktur bestimmt werden kann, war bisher eine Operation nötig, bei der eine Gewebeprobe entnommen wird. Und um die Wirkung einer Behandlung zu prüfen, setzt man derzeit auf Bildgebung – insbesondere Magnetresonanztomografie. Beides hat seine Tücken: Eine Operation kann riskant sein und lässt sich nicht oft wiederholen, etwa um in den Gewebeproben Mutationen der Tumorzellen zu erkennen. Auch die Bildgebung hat ihre Grenzen: Erscheint der Tumor auf dem Bild plötzlich grösser, lässt sich manchmal nur schwer unterscheiden, ob er tatsächlich wächst oder ob eine entzündliche, erwünschte Immunreaktion gegen den Tumor stattfindet.

Viel einfacher wäre es, Tumoren über Blutproben erkennen und überwachen zu können. Solche sogenannten Flüssigbiopsien sind ein alter Traum der Medizin. Derzeit rückt seine Verwirklichung in greifbare Nähe – wobei verschiedene Biomarker im Blut verwendet werden (siehe Kasten).

Verräterische Kommunikation

Tobias Weiss und sein Team nutzen sogenannte extrazelluläre Vesikel. Diese winzigen Partikel sind vor etwa 25 Jahren in den Fokus der Forschung gelangt. Damals entdeckte man, dass jede Zelle des menschlichen Körpers täglich rund 10000 solcher Partikel in die Blutbahn und in andere Gewebe abgibt. Es wimmelt somit in unserem Blut davon. Die Vesikel sind eine Art Kopien der Zellen, aus denen sie stammen; sie bestehen unter anderem aus DNA, RNA und Proteinen und sind von einer Membranhülle umgeben. Zellen nutzen die Vesikel insbesondere, um untereinander Informationen auszutauschen. Denn die Partikel sind so winzig, dass sie problemlos in Zellen eindringen und dort ihre Inhalte weiterreichen können.

Dass die Vesikel auch für die Onkologie interessant sind, hat damit zu tun, dass auch Tumorzellen sie absondern. Die Krebszellen kommunizieren damit ebenfalls untereinander. Sie beeinflussen so beispielsweise Immunzellen, damit diese sie nicht angreifen. Zum Nachteil könnte den Tumorzellen jedoch gereichen, dass sie sich über die Vesikel auch zu erkennen geben – etwa im Blut. Denn auch Hirntumoren geben spezifische Vesikel ins Blut ab. Dies machen sich die Forschenden am USZ nun zunutze. Die Gruppe um Tobias Weiss untersucht, ob sich anhand der Vesikel die folgenden Fragen beantworten lassen: Hat jemand einen Hirntumor? Wie gross ist er? Welche molekularen Veränderungen finden sich in ihm?

Vesikel aus dem Blut fischen

Die Forschungsgruppe hat bereits Blutproben von Hunderten von Patientinnen und Patienten am USZ untersucht, insbesondere von solchen mit Hirntumoren. Dabei zeigte sich, dass es anhand der extrazellulären Vesikel mit einer Genauigkeit von mehr als 90 Prozent möglich ist, nicht krebskranke von krebskranken Personen zu unterscheiden. Je nach Krebsart liegt die Trefferquote gar bei 98 Prozent. «Das übertrifft viele bisherige Methoden, muss aber in Studien in weiteren Krankenhäusern noch bestätigt werden», sagt Weiss.

So widmet sich sein Team jetzt der aufwendigen Validierung der Methode.

Dazu müssen die Forschenden überprüfen: Stimmen die Analysen der Vesikel mit dem überein, was wir in der Bildgebung und in den Gewebeproben sehen? Wie lassen sich die Auswirkungen von Therapien wie Bestrahlung, Chemotherapie und Immuntherapie an den Vesikeln ablesen? Unterstützt werden die verschiedenen Projekte unter anderem vom Fonds zur Förderung des akademischen Nachwuchses der Universität Zürich (siehe Kasten) sowie vom Schweizerischen Nationalfonds und von Innosuisse, der Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung. «Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Universität, ETH und Universitätsspital Zürich ist ideal, um die entsprechende Forschung voranzubringen», sagt Weiss. Die ETH entwickelt unter anderem die nötige Technologie, um Vesikel aus dem Blut zu filtern; an der UZH arbeiten Forschende an den Analysen der molekularen Signatur, und das USZ ermöglicht den Zugang zu Patientenproben.

Ziel der interdisziplinären Kooperation ist es auch, ein mobiles Gerät zu entwickeln, um die Vesikel einfach aus dem Blut zu isolieren. Ein entsprechendes Patent ist in Vorbereitung. Zudem arbeitet die Forschungsgruppe mit nationalen und internationalen Partnern zusammen. In diesem Rahmen werden derzeit an verschiedenen Spitälern noch mehr Blutproben gesammelt. Geklärt werden soll etwa, ab welchem Zeitpunkt einer Tumorbildung die Vesikel nachgewiesen werden können. Und ob sie auch bei anderen Krebsarten als Hirntumoren sinnvoll eingesetzt werden können.

«In drei bis fünf Jahren sollten wir wissen, welches Potenzial die Vesikel haben», sagt Weiss. Im besten Fall werden sie bei der Behandlung von Patient:innen mit Hirntumoren gleich mehrere Vorteile haben: Ein Bluttest ist für die Betroffenen weniger invasiv, lässt sich einfacher wiederholen, verursacht deutlich weniger Kosten als etwa eine Bildgebung, und der Krankheitsverlauf lässt sich damit besser überwachen. Kennt man zudem aufgrund einer Blutprobe die – sich ständig ändernde – molekulare Struktur der Tumorzellen, lassen sich zielgerichtete, auf die einzelnen Patientinnen und Patienten zugeschnittene Therapien entwickeln und anpassen.

Die Wissenschaft steht erst am Anfang, die Funktionen der extrazellulären Vesikel zu verstehen. Klar ist: Sie spielen für die Kommunikation unserer Zellen eine wichtige Rolle. In Zukunft könnten sie auch in der Medizin wichtig werden – und nicht nur in der Onkologie. So versuchen Forschungsteams weltweit, Vesikel als Biomarker beispielsweise für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer nutzbar zu machen.

Weiterführende Informationen

Kontakt

PD Dr. Tobias Weiss, tobias.weiss2@uzh.ch

Quelle: Universität Zürich -UZH – Adrian Ritter

author: GRR