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29
03
2008

Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise

Höhentraining – Sinn, Effekte, Hintergründe (Teil 1) – Martin Grüning von RUNNERS WORLD im Interview mit Prof. Dr. Andreas Nieß

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Prof. Dr. Andreas Nieß ist der ärztliche Direktor der Abteilung Sportmedizin des Universitätsklinikums Tübingen. Nieß war selbst ein ambitionierter Läufer (Marathon-Bestzeit: 2:23) und forscht seit Jahren zum Thema »Höhentraining«. Wir stellten ihm dazu einige Fragen.

Wie wirkt Höhentraining auf Ausdauersportler?

Das mit einem Aufenthalt in der Höhe einhergehende verringerte Sauerangebot in der Umgebungsluft (Hypoxie) kann im Organismus bei ausreichender Höhe und Aufenthaltsdauer zu einer Reihe von Anpassungsprozessen führen. Dazu zählt typischerweise eine Sensibilisierung der Atemtätigkeit, also der Ventilation bei Belastung. Hinzu kommt die Ausschüttung des körpereigenen Hormons Erythropoietin (Epo). Epo stimuliert im Knochenmark die Neubildung roter Blutzellen, wobei gleichzeitig auch mehr Hämoglobin gebildet wird.

Steigt die Gesamthämoglobinmasse im Körper an, so hat dies günstige Auswirkungen auf die Ausdauerleistungsfähigkeit, da sich die Sauerstofftransportkapazität erhöht. Zum anderen gibt es Hinweise dafür, dass Belastungen in Hypoxie zu zusätzlichen Veränderungen auf muskulärer Ebene wie einer Aktivitätserhöhung von Enzymen des Energiestoffwechsels oder einer Zunahme des muskulären Sauerstoffspeichers, dem Myoglobin führen kann.
Diese Anpassungsvorgänge unterscheiden sich nicht wesentlich in Abhängigkeit davon, ob man als Läufer, Radfahrer, Skilangläufer oder auch Triathlet in der Höhe trainiert. Sie sind teilweise jedoch von einer sehr starken individuellen Variabilität gekennzeichnet.

Gibt es wissenschaftlichen Ergebnisse dazu?

Als gesichert gilt, dass ein Höhentraining die Leistung bei einem anschliessenden Wettkampf in der Höhe günstig beeinflusst. Hierfür können zumindest teilweise die zuvor genannten Anpassungsmechanismen verantwortlich gemacht werden. Auf der anderen Seite existiert jedoch bis heute kein eindeutiger wissenschaftlicher Beleg dafür, dass Höhentraining im Vergleich zu einem identischen Training unter Normalbedingungen tatsächlich zu einer stärkeren Zunahme der Ausdauerleistung in einem anschliessenden Wettkampf im Flachland führt.

Als Erklärungsansatz mag dafür dienen, dass den in der Höhe möglichen günstigen Anpassungseffekten der negative Einfluss höhen(hypoxie)-bedingter Stresseinflüsse entgegen wirkt. Dies dürfte vor allem auch dann eine Rolle spielen, wenn in der Höhe mit einer unangepassten, also zu hohen Belastungsintensität trainiert wird. Andererseits kann vermutet werden, dass sich die in der Höhe notwendige Verringerung der Trainingsintensität ungünstig auf die Entwicklung der wett-kampfspezifischen Ausdauer auswirkt.

Darüberhinaus lassen neuere Arbeiten den Schluss zu, dass eine grössere individuelle Streubreite im Ansprechen auf Höhentraining besteht. Da in wissenschaftlichen Studien das Augenmerk v. a. auf die Gruppeneffekte gelegt wird, erschwert diese individuelle Variabilität des Ansprechens möglicherweise den Nachweis signifikanter Veränderungen. Dabei wird der individuelle Aspekt der Eignung oder Nichteignung für ein Höhentraining auch durch anekdotische Berichte von Ausdauerathleten gestützt. Allerdings ist es bisher nicht gelungen, durch entsprechende Voruntersuchungen die Athleten zu identifizieren, die in besondere Weise von einem Höhentraining profitieren oder umgekehrt, dafür ungeeignet sind. Die Frage Höhentraining »ja oder nein« wird von mir in Anbetracht der derzeitigen Erkenntnisse so beantwortet, dass es für einen Ausdauersportler zumindest einen Versuch wert sein sollte.

Wie sinnvoll ist Höhentraining für Freizeitsportler? Gibt es einen Leistungsbereich, ab dem ein Höhentraining sinnvoll ist?
Im Leistungssport vertritt man die Ansicht, dass man als Ausdauersportler erst dann die Methode des Höhentrainings nutzen sollte, wenn man bereits einige Jahre in seiner Sportart »verbracht« hat. Sicher wichtig ist, dass man vor Durchführung eines Höhentraining seine Ausdauerleistungsfähigkeit schon gut entwickelt haben sollte, gesund sein sollte, aktuell sich in einer guten Form befindet sowie eine gewisse Erfahrung mit der Gestaltung und Steuerung seines Trainings und dessen Intensitäten besitzt.

Für einen Freizeitläufer empfehlenswert ist meiner Ansicht nach ein Höhentraining dann auch nicht in erster Linie unter dem Aspekt einer zusätzlichen Leistungssteigerung. Eine dafür anzunehmende Mindestaufenthaltsdauer von drei bis vier Wochen ist für viele sowieso nur schwer realisierbar. Vielmehr bieten viele Orte in moderater Höhe wie z. B. im Engadin allein schon wegen der dortigen Landschaft gute Trainingsbedingungen. Um dabei allerdings nicht gegenteilige Effekte auszulösen, sollte beim ersten Höhentraining sowohl mit den Umfang als auch der Intensität sehr vorsichtig umgegangen werden.

»Sleep high, train low«, was ist davon zu halten?

Erste Arbeiten in Finnland berichteten in der 90er-Jahren über günstige Effekte des »sleep high – train low« auf die Neubildung roter Blutzellen und die maximale Sauerstoffaufnahme. Diese Ergebnisse konnten allerdings in mehreren neueren Studien nicht bestätigt werden. Zusammengefasst kann aus diesen Arbeiten gefolgert werden, dass täglich zumindest 14 bis 16 Stunden auf einer Höhe oberhalb 2400 m oder einem vergleichbaren Ausmaß an Hypoxie über einen Zeitraum von drei bis vier Wochen verbracht werden müssen, um eine messbare Zunahme der Neubildung roter Blutzellen und damit der Hämoglobinmasse erwarten zu können. In einem Hypoxiezelt scheinen mir solche Effekte infolge der notwendigen täglichen Verweildauer nur schwer realisierbar.

Allerdings kann durch ein sleep high – train low eine gewisse Anpassung der Atemregulation ausgelöst werden. Diese so genannte ventilatorische Anpassung an Hypoxie führt bei Belastung unter Höhenbedingungen zu einer besseren Sauerstoffversorgung des Organismus. Denkbar ist, dass im Vorfeld eines klassischen Höhentrainings ein derartiges Verfahren zu einer schnelleren Höhenakklimatisation und damit einer etwas früheren höheren Belastbarkeit im anschliessenden Training in der Höhe führt.

Sind die Afrikaner wegen der Höhenlagen, in denen sie aufwachsen, so gut?

Hier gibt es unterschiedliche Ansätze und ebenfalls noch keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Ich denke aber, dass bei den in der Höhe aufgewachsenen Läufern mehreres zusammen kommt. Dazu zählt möglicherweise auch, dass sich das umfangreiche Training in der Höhe bei der längerfristigen Entwicklung ihres Ausdauerniveaus günstig bemerkbar macht. Dafür spräche auch, dass sie in der Regel auch dann gut bleiben, wenn sie nicht mehr dauernd in den ostafrikanischen Höhenlagen leben. Auch liegt die Vermutung nahe, dass das wiederholte harte Training unter dem zusätzlichen Stressfaktor Hypoxie die Läufer herausselektiert, die besonders talentiert und/oder gegenüber hartem Training widerstandsfähig sind und die dadurch dann später auch in der Lage sind, den Spitzenbereich zu erreichen.

Wie effektiv ist die Simulation des Höhentrainings in entsprechenden Druckkammern, -Zelten?

Das Training in Hypoxie, sei es in einer Druckkammer oder auch in entsprechenden Zelten führt in der Tat zu einer etwas anderen Belastungsreaktion. In Teilen ist diese Belastungsreaktion in Hypoxie ähnlich zu der, die man auslöst, wenn man unter Normalbedingungen einfach etwas intensiver trainiert. Gleichwohl gibt es durchaus Hinweise dafür, dass zusätzlich dazu beim Hypoxietraining auch hypoxiespezifische Anpassungsmechanismen in Gang gesetzt werden.

Ob diese sich anschliessend jedoch in leistungsrelevanter Weise bei einem anschliessenden Wettkampf unter Normalbedingungen bemerkbar machen, ist derzeit noch unklar.

Das Interview wurde per E-Mail geführt. Die Fragen stellte Martin Grüning von RUNNERS WORLD

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