Hochspringerin Friedrich - Zum Weinen in die mährische Provinz ©Victah Sailer
Hochspringerin Friedrich – Zum Weinen in die mährische Provinz – Michael Reinsch, Hustopece, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Der Rahmen stimmte für die heimliche Rückkehr. 800 Besucher drängelten sich auf der Galerie und am Spielfeldrand der Halle, die offenbar dem Vereinssport gehört, wenn nicht wie am Samstag die „Mährische Hochsprung-Tour" hier einen ihrer beiden Stopps macht.
Der Bürgermeister hielt eine Rede, neben sich ein Schild, auf dem „hustopece-city.cz" stand, Kinder tanzten in Glitzerkleidchen, und die Athleten schlenderten zu Fuß durch den kleinen Ort zum Wettkampf. Sechstausend Menschen leben in dieser Stadt in der tschechischen Provinz, die einmal Auspitz hieß.
Fern der Heimat und vor allem unbeachtet von Kameras und Reportern wollte Ariane Friedrich in Südmähren zurückkehren zum Hochsprung, näher bei Wien als bei Prag. Die Anreise durchs Weinviertel entpuppte sich für die Frankfurterin als schlechter Anlauf: Nach dem Wettkampf hatte sie allen Grund zum Heulen.
Als der Fernsehreporter vom Hessischen Rundfunk, der sich selbstverständlich nicht hatte abschütteln lassen, fragte, wie sie sich nach dreizehn Monaten Verletzungspause fühle, gab es kein Halten mehr. Ariane Friedrich brach vor laufender Kamera in Tränen aus. Als sie später gefragt wurde, wie es nun weitergehe, erwiderte sie selbstironisch: „Mit ein bisschen Heulen."
Ärger und Enttäuschung saßen tief. „Das Comeback ist richtig in die Hose gegangen", fand die seit drei Wochen 28 Jahre alte Athletin. Vor drei Jahren wurde sie in Turin noch Hallen-Europameisterin, im Sommer darauf steigerte sie den deutschen Rekord auf 2,06 Meter und wurde seitdem Dritte bei Welt- und Europameisterschaft. „1,84 Meter sind indiskutabel", urteilte sie. „Das Einspringen war grandios und der Wettkampf ein Flop."
Sie hoffe, dass sie kommende Woche in Eberstadt ihre Ruhe habe und zeigen könne, was sie drauf hat.
Ein Gesamtkunstwerk
Doch es war nicht alles schlecht. Ihre Reaktion zeigt, dass Ariane Friedrich immer noch vor Ehrgeiz glüht. Ihr Äußeres signalisiert, dass sie sich nicht im Kleinstädtischen einrichten, sondern sehr wohl wieder alle Blicke auf sich ziehen will: Von Kopf bis Fuß, von der Haarfarbe bis zu den Schuhen, von den Ohrringen bis zu den Fingernägeln leuchtete sie pink.
Ärgerlich halt, dass so ein Gesamtkunstwerk die Fallhöhe größer macht als die 1,84 Meter, die sie im zweiten Versuch übersprang. Da zeigte sie, wie sie sich freute, zurück zu sein. Sie brüllte wie früher die Latte an, die sie überwunden hatte. Sie klatschte erleichtert ihrem Trainer in die Hand.
Es folgten drei Fehlversuche über 1,87 Meter, jeder ein Experiment für sich. Erst hieb sie mit dem Arm gegen die Latte, dann warf sie ihren Oberkörper hinein. Und schließlich flog sie hoch drüber hinweg und streifte die Latte mit einer leichten Berührung der Ferse aus der Halterung. „Das tröstet sie nicht, aber für mich ist's gut", sagte Eisinger, der jeden Sprung filmte. „Der letzte Versuch hat bewiesen, dass sie es noch kann. Das war der Einsneunziger, den wir uns vorgenommen hatten."
Zu früh gefreut
Die Achillessehne des Sprungfußes, des linken, ist vergessen. Wehwehchen vom Fuß übers Knie bis zum Rücken sind auskuriert. Ihre Ausbildung bei der hessischen Polizei und die Renovierung von Haus und Garten haben sie vom Stress der Wettkämpfe kuriert, den sie einmal als Reihe kleiner Burn-outs beschrieb. So kam Ariane Friedrich, berstend vor Ehrgeiz, unter einem Paar riesiger Kopfhörer in die Halle, nahm ein paar Anläufe und machte schließlich einen Probesprung über 1,85 Meter, der nichts anderes als perfekt war.
Bei welcher Höhe sie einsteigen solle, fragte sie den Trainer. „Mach, was du willst", antwortete dieser und freute sich, als sie 1,84 Meter wählte: „Sie greift wieder an." Zu früh gefreut: Ihr bester und höchster Versuch blieb der vom Einspringen.
Fünf Sprünge machte sie im Wettkampf. Jedes Mal schalteten die Veranstalter die dröhnende Musik aus, und die Zuschauer zischten sich gegenseitig zu, bis absolute Stille herrschte in der Halle. Und dann gelang nur ein einziger Sprung. Nach einer Viertelstunde war das Comeback vorüber, den Wettbewerb gewann die Russin Swetlana Schkolina mit 1,95 Metern – einer Höhe, die Ariane Friedrich mühelos bewältigen kann.
Aus dem Ärger spricht Zuversicht
Sie muss nur ihre Routine zurückgewinnen. „Wir haben die Zeit voll ausgenutzt", sagt Eisinger. „Jetzt ist im Hinblick auf London die Zeit, einzusteigen." Bei den Olympischen Spielen im August soll und will Ariane Friedrich zu den Medaillenkandidatinnen gehören. Dafür lässt sie in diesem Winter die Hallen-Weltmeisterschaft sausen.
Der Weg war weit in die tschechische Provinz und der Ertrag mager. Doch aus dem Ärger von Ariane Friedrich spricht auch Zuversicht. „Ich will nicht sagen, dass ich in Topform bin, sondern ich will es beweisen", sagte sie.
„Denn das bin ich."
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 30. Februar 2012