Knapp zwei Stunden nach München wird der 8. Lauf der Deutschen Tourenwagen Masters übertragen, fast zwei Stunden lang, und um 18 Uhr kommt dann noch die Sportschau, vermutlich wieder eine „Fußballschau“.
Hier sitzen Sie immer in der ersten Reihe! Anmerkungen zum Fernsehprogramm von ARD und ZDF am 20. September 2009 und zur Berichterstattung der öffentlich rechtlichen Medien vom Berlin-Marathon 2009. Helmut Winter berichtet
Falls Sie sich für die „Sendung mit der Maus“ interessieren, sollten Sie am kommenden Sonntag ihr Fernsehgerät früher einschalten, denn dann kommt diese Sendung für junge und jung gebliebene TV-Zuschauer bereits zur ungewohnten Zeit um 9:30.
Und was fast kaum ein Anlass zur Verlegung dieses Sendeplatzes erreicht, das schafft eine Begebenheit im Herzen der bayerischen Metropole: Der „Trachten- und Schützenumzug“ zum Münchner Oktoberfest. Ab 10 Uhr geht die ARD am Sonntag im Rahmen einer Live-Übertragung zwei volle Stunden auf Sendung, und damit der Zuschauer noch umfassender über dieses Großereignis informiert wird, kann er ab 11 Uhr auch noch zum ZDF hinüberschalten, wo der „Sommergarten“ gleichfalls vom Oktoberfest berichtet.
Alle Freunde von pittoresken Trachten, volkstümlichen Brauchtum, Gamsbartträgern, wackeren Schützen und von strammen Hengsten gezogenen Brauerei-Gespannen werden sicher voll auf ihre Kosten kommen. Den öffentlich rechtlichen Anstalten sei Dank.
Sollten Sie sich allerdings nicht für Fanfarenbläser, Fahnenschwinger oder aufwendig geschmückte Festwagen sondern für Spitzensport auf absolutem Weltklasseniveau interessieren, dann werden Sie an diesem Tag bei ARD und ZDF nicht unbedingt in der ersten Reihe sitzen. Sie brauchen sich auch beim ZDF kein Auge zuhalten (Sie würden dann ohnehin schlechter sehen). Denn um 10 Uhr sind beim Berliner-Marathon 2009 über 40000 Läuferinnen und Läufer bereits eine Stunde unterwegs, und einer der größten Läufer aller Zeiten, der Äthiopier Haile Gebrselassie, hofft eine Stunde und gut drei Minuten später seinen phantastischen Weltrekord – im letzten Jahr in Berlin erzielt – weiter zu verbessern.
Etliche 100000 Zuschauer aus vielen Teilen der Welt werden wieder am Rande der Stecke stehen und so lautstark alle Läufer anfeuern, dass man das fast bis München hören sollte. Erst kürzlich wurde der Berlin-Marathon als ein einmaliges internationales Erfolgsmodell ausgezeichnet, und von den nackten Zahlen des Leitungssports steht Berlin sowohl mit Weltrekorden bei Frauen und Männern als auch beim Kriterium der schnellsten Stecke der Welt (Mittel der zehn schnellsten Zeiten: 2:05:33.6) weltweit ganz vorne.
Doch auf Kosten des Vorbeimarschs von etwa 8000 Mitwirkenden in München muss die große Anhängerschaft des Laufsports bei ARD und ZDF „in die Röhre“ (nicht: Bildröhre) schauen. Dabei vollbringen 167 Gruppen, 2436 Musiker, 939 Sportschützen sowie 312 Gebirgsschützen beim Umzug in München ebenfalls Hochleistungen und erfreuen das Auge. Wenn es Kleingruppen aufrichtiger Wiesn-Besucher in völlig überfüllten und schwül warmen Festzelten dort mehr als 12 Stunden aushalten, was sind da schon 2:04 Stunden (oder sogar nur 2:03) eines Läufers aus dem Hochland Äthiopiens oder Kenias auf den Straßen Berlins.
Ganz zu schweigen von dem Umsatz an Flüssigkeitsmengen der Festbesucher, der locker den gesamten Verbrauch der Läufer der Spitzengruppe in Berlin übertreffen dürfte. Und auch das Marschieren in über die Jahre ausgetretenen Hartlederstiefeln bereitet ungleich höhere Mühsal als die Fortbewegung mit noch nicht einmal 200 Pond (Gramm) schweren Laufschuhen und das auch noch ohne Rüstung, Helm, Kuhglocke, Gebirgsjägermuskete oder weis der Teufel was für ein Gerät. Somit ist ein sachliches Abwägen der Relevanz der beiden Großveranstaltungen nicht einfach, beide Events bedienen eine Klientel von Gebührenzahlern und verdienen nachhaltig die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit und der Medien!
Während aber der Umzug zum Oktoberfest umfassend in einer Live-Übertragung bundesweit ausgestrahlt wird, wird zwar der Berlin-Marathon gleichfalls direkt im TV zu sehen sein, allerdings nur im Regionalprogramm des rbb. Dabei verzichten ARD und ZDF an diesem Tag aber keinesfalls auf den Sport. Knapp zwei Stunden nach München wird der 8. Lauf der Deutschen Tourenwagen Masters übertragen, fast zwei Stunden lang, und um 18 Uhr kommt dann noch die Sportschau, vermutlich wieder eine „Fußballschau“.
Das ZDF überträgt ab 16 Uhr von der Tischtennis-EM und um 17 Uhr 10 gibt es die „Sportreportage“: Fußball-Bundesliga, Fußball-Story, Beach-Volleyball, Reitsport und vielleicht (?) auch ein paar Bilder aus Berlin.
Damit mag sich der öffentlich rechtliche TV-Zuschauer und Gebührenzahler an diesem Tag bestens versorgt fühlen und auf einen ereignisreichen Sonntag hoffen. Doch kann man damit wirklich zufrieden sein?
Um die weitere Diskussion zu versachlichen, sei daran erinnert, dass die „öffentlich rechtlichen Medien“ insb. auch den Auftrag haben, alle Bereiche der Gesellschaft adäquat und repräsentativ abzubilden. Im Hörfunk demonstriert das der Deutschlandfunk mit einem erfreulich anspruchsvollen Programm seit vielen Jahren. Beim Fernsehen sieht das schon weniger berauschend aus, obgleich hier die „dritten Programme“ das Spektrum tatkräftig bereichern. Damit bleibt aber die Marktmacht von ARD (Das Erste!) und ZDF weitgehend unberührt, die meisten Programmplätze der Regionalsender führen eine (allerdings gesunde) Nischenexistenz. Dabei ist es im aktuellen Fall weniger wichtig, ob man prinzipiell TV-Live-Bilder aus Berlin sehen kann.
Eine bundesweite Präsenz im Fernsehen hat ein ganz anderes Gewicht und erzielt einen Grad an Aufmerksamkeit, den regional orientierte Anstalten niemals erreichen können und auch nicht als primäre Intention sehen. Mit großem Erfolg wird es so möglich, eine Vielzahl von Veranstaltungen mit eher provinziellem Charakter in die Medien zu hieven, die Zuseher danken dies mit akzeptablen Quoten.
Was den Laufsport anbetrifft, wird dieser auch bei den Regionalsendern recht stiefmütterlich behandelt, aber die größeren Marathonläufe Deutschlands sind so weitgehend live zu erleben, wie z.B. Mainz, Hamburg, Frankfurt, Köln … und am Sonntag auch der 36. Berlin Marathon.
Eigentlich sollte dies ausreichen, denn wer die Rekordjagd Hailes durch Berlins Straßen verfolgen will, der kann das mit gewissen Einschränkungen auch außerhalb Berlins miterleben. Was zu sehen sein wird, ist wieder eine mit hohem Aufwand in Szene gesetzte Live-Übertragung mit tollen Aufnahmen von den Spitzensportlern und den Hobbyläufern, aber auch deplatziertem Lokalkolorit und sonstigen Plattitüden.
Und das ist eigentlich schon deshalb nicht zu akzeptieren, weil sich der Berlin-Marathon in den letzten Jahrzehnten in die absolute Weltspitze des Straßenlaufsports vorgearbeitet hat und von den Leistungsparametern sogar den Giganten in London übertrifft. Hailes einmalige Rekordjagden in neue Dimensionen des Marathonlaufs, verbunden mit seiner einzigartigen Persönlichkeit, und ein wirklich Völker verbindendes Fest („Volksfest“) mit über 50000 Teilnehmern und vielen 100000 am Straßerand werden auch in diesem Jahr weltweit kaum zu übertreffen sein.
Und was macht die ARD? Die präsentiert in ihrer „ersten Reihe“ einen Trachtenumzug, bietet danach Rasereien mit Tourenwagen in der 8. Auflage, deren Fahrer außerhalb der Boxen kaum jemand kennt, und kaut danach in der „Sportschau“ nochmals belangreiche Perspektiven des Fußballwochenendes durch. Und wenn das alles überstanden ist, ist auch der Berlin-Marathon „gelaufen“, in der „dritten Reihe“ beim rbb.
Das war einmal anders! Über viele Jahre war die Live-Übertragung des Berlin-Marathons in der ARD eine feste Größe im Fernsehprogramm der Läufergemeinde. Angesichts der aktuellen Situation kann man den mit einigen Defiziten gespickten, aber ansonsten durchaus geglückten Übertragungen der Vorjahre nur wehmütig nachtrauern. Was sich im letzten Jahr andeutete, ist nun traurige Realität: Der Berlin Marathon „läuft“ in der dritten Liga. Gott sei dank aber nur medienpolitisch!
Denn jede objektive Einschätzung kann nur zu der Wertung kommen: DER BERLIN-MARATHON IST WELTKLASSE!
Damit das auch so bleibt, kann man allerdings die Abstinenz der öffentlich rechtlichen Medien kaum ignorieren. Dafür sind der Einfluss und die Bedeutung von ARD und ZDF im öffentlichen Leben viel zu hoch. Und gerade deshalb sollten diese Einrichtungen ihre Entscheidung noch einmal gründlich überdenken, einem derartigen Juwel der Eventkultur den Rücken zu kehren. Denn neben der Verpflichtung dieser Anstalten zu einer ausgewogenen Berichterstattung (s.o.) ist es vor allem die Präsenz in den Medien die über Wohl und Wehe von Großveranstaltungen entscheiden, gerade auch beim Berlin-Marathon. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich ein solch einzigartiges Ereignis nur über die erhebliche Beteiligung und Förderung sehr potenter Sponsoren realisieren lässt.
Wie sensibel die Organisationsabläufe diesbezüglich sind, hat der kurzfristige Verlust eines Hauptsponsors beim Hamburg-Marathon zu Anfang dieses Jahres nur zu deutlich gezeigt.
Die Kernfrage bleibt damit, ob sich die Läufergemeinschaft derartige Eigenwilligkeiten gefallen lassen muss. Wie schon ausführt: Die öffentlichen rechtlichen Anstalten haben den dezidierten Auftrag einer ausgewogenen Berichterstattung, dem sie hier nicht nachkommen. Angesichts der Live-Übertragungen aller Fußball-Länderspiele und vieler anderer, vom sportlichen Wert manchmal fragwürdigen Fußball-Darbietungen kann es doch nicht zuviel verlangt sein, einen (!) Marathon im Jahr live über den Sender laufen zu lassen.
Zumal dieser Lauf sportlich absolutes Weltklasseniveau erreicht. Dies ist ein Gebot der Ausgewogenheit des Programms. Auch wenn die Zuseher-Quoten nicht unbedingt ein Kriterium bei der Problematik sein dürfen, so sei doch angemerkt, das den WM-Marathon der Frauen am Sonntagmittag ca. 2 Millionen im TV angeschaut haben. Registriert man dann die nur 3 Millionen beim ZDF während des groß inszenierten TV-Duells der Kanzlerbewerber zu absoluten Primetime am Sonntagabend, kommt man schon ins Grübeln, wie hier die Argumentationsketten verlaufen.
Jeder Anhänger des Laufsports – und das dürften weit mehr sein als die Anzahl der Starter in Berlin – sollte die weiteren Entwicklungen aufmerksam registrieren, denn diese sind in den Folgen in der Tat gravierend. Beschwerden bei den Funkhäusern und den Landesmedienanstalten scheinen zunächst wenig aussichtsreich. Aber auch hier macht es die Masse. Diesbezüglich sei daran erinnert, dass der Berlin Marathon nur deshalb wieder durch das Brandenburger Tor verläuft, weil sich immer mehr Menschen mit herrschenden Gegebenheiten nicht abfinden wollten. Und wenn es auch platt klingt: „Wir sind die Gebührenzahler!“
Spätestens seit dem Umzug in die Innenstadt im Jahr 1981 hat der Berlin Marathon einen Aufschwung erlebt, vom dem nicht nur Verfasser dieser Zeilen in jenem Jahr zu träumen gewagt hätte. Wohin man in diese Welt auch reist, sobald das Gespräch auf das Laufen kommt, ist der Berlin Marathon als ein einmaliges Markenzeichen sofort präsent und ein positiver Sympathieträger für die Stadt, der gar nicht hoch genug einzuschätzen ist.
Nach den ersten Jahren der Skepsis haben das die Politiker in Stadt und Land mittlerweile in hohem Maße realisiert. Bleibt zu hoffen, dass die ARD nach vielen Jahren der wichtigen Unterstützung zu dieser Einstellung zurückfinden kann.
Alle Beteiligten hätten das uneingeschränkt verdient!
Helmut Winter
Jeder Läufer/Läuferin, die verhindern wollen, daß der Laufsport/Leichtathletik von der ARD noch weiter in den "Keller" verschoben wird, sollten sich bei den Gewaltigen der ARD beschweren. Jede Stimme zählt – auch Läufer sind Gebührenzahler – ansonsten wird nur noch 24 Stunden lang Fussball übertragen!
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