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Hamburgs Sportsenator Neumann „Ohne die Spiele erleben wir eine Monokultur“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Im Rennen um die Olympiabewerbung kommt Berlin gerade aus den Startlöchern und verbreitet so etwas wie Unlust. Die Hamburger dagegen sind laut NDR zu 62 Prozent pro Olympia, und im deutschen Sport scheint es eine Neigung zu Hamburg zu geben.
Bekommen Sie ein Motivationsproblem?
Nein. Die Perspektive, die Olympischen Spiele in Hamburg zu erleben, ist beste Motivation. So verstehe ich auch die Umfragewerte. Entscheidend sind aber nicht Umfragen. Entscheidend ist das Referendum (im Herbst, d. Red.). Natürlich wäre es eine Ehre, Deutschland mit einer Olympiabewerbung vertreten zu dürfen. Wenn wir das tun, wollen wir auch die Spiele; wenn nicht 2024, dann 2028.
Wie gehen Sie und die Hamburger mit der Skepsis gegenüber sportlichen Großereignissen um, die gefördert wird von der Bereitschaft von Funktionären, ihre Großereignisse an Länder wie Qatar, Russland und China zu verscherbeln?
Ich bin froh, dass Thomas Bach an die Spitze des Internationalen Olympischen Komitees (IOC, d. Red.) gelangt ist; ein Mann, der die Zeichen der Zeit mehr als erkannt hat. In einem beharrlichen Prozess hat er dafür gesorgt, dass das IOC sich in die richtige Richtung bewegt.
Auf Hamburg zu?
Anders als der Internationale Fußball-Verband (Fifa, d. Red.) nimmt das IOC Kritik an und nutzt sie für Reformen. Wir versuchen, mit unserem Konzept dem IOC entgegenzukommen. Das heißt: weg von gigantischen, hin zu grandiosen Spielen. Nachhaltigkeit dadurch, dass wir mit der Olympic City einen neuen Stadtteil mitten in der Stadt entwickeln, der nach den Spielen bewohnt und belebt sein wird. Unser Anspruch ist, mit unserer Bewerbung die Olympische Bewegung voranzubringen. Wenn es eine andere Richtung gäbe, wie vielleicht bei der Fifa befürchtet werden kann, müsste man sich Sorgen machen. Spiele, die nur noch in Autokratien und Diktaturen veranstaltet werden, verlieren nicht nur ihre Akzeptanz, sondern auch ihre Werte.
Wie nehmen Sie wahr, dass Sportorganisationen als gesellschaftliche Macht behandelt werden wollen, aber ihren Einfluss nicht nutzen, Frauen, Unterdrückten und Ausgebeuteten zu ihren Rechten zu verhelfen?
Eine Voraussetzung dafür, dass sich Hamburg überhaupt zu einer Bewerbung entschlossen hat, war, dass im IOC Reformbewegungen zu erkennen waren. Die Agenda 2020 hat das bestätigt. Der Sport hat eine ganz wichtige Integrationsfunktion in unserer Gesellschaft. Es gibt kein jüdisches Abseits, kein muslimisches, kein römisch-katholisches. Alle akzeptieren die Regeln des Sports. Er hat eine unglaubliche Kraft. Unrecht, Diskriminierung, mangelnde Gleichstellung sind nicht gottgegeben, sondern von Menschen gemacht. Der Sport hat die Aufgabe, dagegenzuhalten. Aber er kann nicht Probleme lösen, an denen Politik scheitert. Oder für die Politik die Verantwortung trägt.
Ist nicht die in Iran verhaftete Frau, deren Verbrechen darin bestehen soll, dass sie ein Volleyballspiel sehen wollte, sind nicht die Frauen in Saudi-Arabien, denen Sport verboten ist, genuines Anliegen einer olympischen Bewegung?
Man kann nicht verfügen, dass nur noch teilnehmen darf, wer nach unseren Werten und Standards agiert. Dann gäbe es vielleicht nur noch deutsche Meisterschaften. Aber gerade Emanzipation und Teilhabe kann durch Sport gefördert werden. Kicking Girls ...
Da sind Sie Schirmherr…
… ja, in diesem Projekt bringen wir Fußball zu Mädchen mit Migrationshintergrund, zu Mädchen, die Kopftuch tragen. Deren patriarchalische Väter lernen, stolz auf ihre Töchter zu sein. Probleme, die durch das falsche Verständnis von Religion, durch den Missbrauch von Religion entstehen, zaubert Sport nicht weg. Aber er kann Werte vermitteln, wie sie im Kern olympisch sind: im Team zu spielen, füreinander einzustehen, mit Anstand zu verlieren und mit Anstand zu gewinnen, sich Regeln zu unterwerfen und den Entscheidungen des Schiedsrichters.
Haben Sie dafür die „Allympics“ erfunden? Eine hübsche Idee, der zufolge ein paar Stunden vor dem Sprint-Finale auf der Bahn des Olympiastadions die Bundesjugendspiele stattfinden.
Das war überspitzt formuliert. Aber das ist die Grundidee. Wenn man dem Anspruch der olympischen und paralympischen Bewegung gerecht werden will, nur in Städte zu gehen, in denen man gewollt ist, und nicht wie ein Ufo einzuschweben und weiße Elefanten zurückzulassen, muss man über solche Dinge sprechen. Ich fände es faszinierend, wenn Hamburger Schulen am Tag nach den Leichtathletik-Wettbewerben im Olympiastadion ihre Bundesjugendspiele feiern.
Ist Schulkindern Olympia schnuppe?
In Hamburg ist das jedenfalls nicht so. Wir haben unsere Pläne vor ein paar Tagen den Hamburger Schülerzeitungen vorgestellt. Da waren einige übrigens besser informiert als manche ihrer älteren, professionellen Kollegen. Da kam natürlich die Frage: Ist schulfrei während der Spiele? Die Antwort war einfach: Wer heute anfängt zu trainieren, hat die Chance, in zehn oder vierzehn Jahren bei den Spielen in seinem Heimatland Deutschland zu vertreten. Dafür gibt’s garantiert frei. Auch mit dieser Perspektive kann man Kinder für die Spiele einnehmen.
Was glauben Sie, wie viele Hamburger beim Endlauf über 100 Meter oder – vielleicht werden Athleten aus Hamburg mitspielen – beim Hockey-Endspiel überhaupt leibhaftig dabei sein können?
Ein Hockey-Endspiel ohne Hamburger Beteiligung kann ich mir nicht vorstellen. Aber in Wahrheit ist die Frage gar nicht entscheidend. Die Fußball-WM war in Hamburg eine große Party, obwohl die Hamburger Vereine nicht in Jogi Löws Kader vertreten waren. Auch die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 war ja vor allem außerhalb der Stadien ein Sommermärchen. Das Gefühl, Gastgeber der Welt zu sein, hängt nicht davon ab, ob jemand im Stadion ist oder nicht. Und selbst im Stadion Usain Bolt oder, wie in meiner Jugend, Ulrike Meyfarth mit eigenen Augen zu sehen ist richtig schwierig, je nachdem, wo man sitzt. Unter objektiven Gesichtspunkten verfolgt man viele Sportarten am besten im Fernsehen. Das Stadion schafft das Gefühl der Gemeinsamkeit, Teil der 70.000 zu sein, die gerade Mittelpunkt der Welt sind. Wir wollen deshalb neben der Hardware Stadion die Software schaffen, mit der die Zuschauer im Stadion und außerhalb bestimmen können, wen sie sehen, was sie verfolgen.
Verlangt das IOC nicht ein bisschen viel, wenn es Steuerfreiheit vom Gastgeber der Spiele verlangt und dass der Ausrichter das finanzielle Risiko trägt?
Als Kaufleute haben wir Hamburger lange Erfahrungen mit Handelspartnern in der ganzen Welt. Das bekommen wir ordentlich hin. Alles wird nach unserem Transparenzgesetz öffentlich sein.
Das muss die größte Show auf Erden Hamburg und Deutschland wert sein?
Olympische Spiele finden nicht nur statt, damit wir zugucken können. Sie finden in erster Linie statt, damit die besten Sportlerinnen und Sportler sich treffen und messen. Wir haben das Glück, zuschauen zu dürfen. Wir zeigen Freude, Respekt und Dankbarkeit gegenüber den Athleten, indem wir sie mit einem Fest in der ganzen Stadt willkommen heißen.
Sie streben eine Machtverschiebung im Unterhaltungskonzern IOC an hin zum Ensemble?
Ich teile Ihre Bewertung des IOC nicht. Wenn Deutschland die Gelegenheit bekommen sollte, dieses Konzept zu realisieren, werden die Mitglieder des IOC begreifen, welches Potential das hat.
Berlin hat mit reihenweise Sportveranstaltungen überzeugt, von der Leichtathletik-WM 2009 und der Schwimm-EM 2014 – die ursprünglich nach Hamburg vergeben war bis zur Basketball-Europameisterschaft und dem Endspiel der Champions League in diesem Jahr. Hat Hamburg da nicht ein Defizit?
Die Frage, wer der geeignete Bewerber ist, wird der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB, d. Red.) entscheiden. Wir sind Hamburger. Wir reden nicht schlecht über andere. Wir reden über uns: Wir wollen nach den Sternen greifen, bleiben aber mit den Füßen auf dem Boden. Unsere Dekaden-Strategie ist ein breitensportlicher Ansatz. Wenn wir Olympia wollen, braucht das eine solide Basis. Die schaffen wir unabhängig von der Entscheidung des DOSB, ob Berlin oder Hamburg Olympiastadt werden darf. Bis 2018 werden wir mehr als 175 Sporthallen in Schuss bringen und eine Viertelmilliarde Euro investieren. Man kann noch so viele Hochglanzbroschüren produzieren. Wenn Sportlerinnen und Sportler in der Sporthalle frieren oder die Dusche nicht funktioniert, ist jede Begeisterung für Olympia perdu.
Braucht der olympische Sport in Deutschland Hilfe?
Nur durch die Spiele schaffen wir es, dem Sport neben Fußball Luft zum Atmen zu verschaffen. Sonst werden wir eine Monokultur erleben, die für unser Land nicht gut ist, für den Sport nicht und für den Fußball auch nicht.
Wenn Sie Zustimmung erwarten, wecken Sie Erwartungen.
Stimmt. In manchen Stadtvierteln Hamburgs haben mehr als fünfzig Prozent der Kinder und Jugendlichen einen Migrationshintergrund. Aber mein Ruderklub an der Alster hat keinen türkischstämmigen Nachwuchs. Wenn der Deutschland-Achter noch in zwanzig Jahren erfolgreich sein soll, müssen wir dafür sorgen, dass auch ein Mohamed, ein Pierre und ein Sergej mitrudern. Mit dieser Öffnung geben wir unserem Land ein Versprechen: Jedem wird es möglich sein, das Beste aus sich zu machen. Wir fragen nicht, auf welcher Schule du warst, aus welchem Stadtteil du kommst, woher deine Eltern stammen. Aber wir erwarten, dass du dich anstrengst. Was zählt, ist die Leistung, die in dir steckt und die du bereit bist zu geben.
Amerikas Bewerber Boston macht seine Bewerbung nicht von Umfragen abhängig. Aber auf zwei sehr ähnliche Fragen gab es unterschiedliche Antworten: Für Olympische Spiele sind gut sechzig Prozent. Bei der Frage, ob dafür Steuergeld aufgewendet werden soll, fiel die Zustimmung auf dreißig Prozent. Muss man nicht auch hier differenzieren?
Wenn man Olympia und Paralympics als Motor der Entwicklung versteht, muss man auch erwarten, dass demokratisch legitimierte Institutionen Stadtplanung, Stadtentwicklung, Sportentwicklung betreiben. Dafür bedarf es Steuermittel. Der Volkswirt Wolfgang Maennig hat vorgeschlagen, die Spiele privat zu finanzieren …
… auch um Politiker rauszuhalten.
Davon wiederum halte ich viel. Andererseits halte ich die Coca-Cola-Spiele von Atlanta für nicht gelungen. Soziale Bindung bei Wohnungsmieten ist nur möglich, wenn die öffentliche Hand Zuschüsse gibt. Genau das wollen wir bei einem Drittel der sechstausend Wohnungen erreichen, die in Top-Lage am Wasser entstehen. Wir wollen nicht, dass die Silhouette Hamburgs auf Jahrzehnte von dem Logo eines Soft-Drink-Herstellers oder einer Automarke dominiert wird, das rund ums Olympiastadion angebracht ist. Ich möchte, dass Hamburg von den Hamburgerinnen und Hamburgern umgebaut wird und nicht von fremden Mächten.
Wird das fünf Milliarden Euro kosten, wie es immer heißt, oder eher neun oder mehr?
Ich weiß gar nicht, woher diese Zahlen kommen. Wir definieren jetzt, welche Kostenblöcke es gibt und welche davon Olympia zugeordnet werden. Ein Beispiel: Vom Bau des Olympischen Dorfes mit mehreren tausend Wohnungen, in dem die Athleten ja nur ein paar Wochen wohnen, profitiert der Hamburger Wohnungsmarkt noch Jahrzehnte später. Man muss das aushalten, jetzt keine Kosten beziffern zu können. Wir werden erst genau kalkulieren und dann eine verlässliche Zahl nennen. Auch das ist Hamburger Kaufmanns-Tradition.
Das Gespräch führte Michael Reinsch – Frankfurter Allgemeine Zeitung, Mittwoch, dem 18. Februar 2015
Der deutsche Weg zum Olympiakandidaten:
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) will sich mit Hamburg oder Berlin um die Olympischen Sommerspiele 2024 und – im Falle einer Niederlage – um die von 2028 bewerben. Nachdem die Kampagne für Winterspiele in und um München 2022 am Willen der Wahlbürger scheiterte, sollen diesmal erst recht die Bürger zustimmen. Noch in diesem Monat wird das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag des DOSB feststellen, wie groß die Zustimmung – manche sagen: Begeisterung – der Berliner und der Hamburger für eine Bewerbung ist.
Angeblich erwartet das IOC mehr als sechzig Prozent Zustimmung. Auch auf dieser Basis will das Präsidium des DOSB am 16. März zwischen den beiden Städten entscheiden – oder ganz gegen eine Olympiabewerbung. Am Vortag, dem 15. März, sind die Fachverbände zur Diskussion geladen. Die Mitgliederversammlung des DOSB soll der Entscheidung am 21. März in der Frankfurter Paulskirche zustimmen. Im September wird in der ausgewählten Stadt ein Referendum über die Bewerbung stattfinden.
Bei positivem Ausgang meldet Deutschland im gleichen Monat seine Bewerbung beim IOC an. Dieses vergibt die Spiele 2024 im September 2017 in Lima. (re.)
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