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05
07
2009

Welche gesundheitlichen Risiken liegen in Läufern jenseits des Marathonlaufens?

GRENZERFAHRUNGEN – Was passiert im Körper? Ultraläufe aus sportmedizinischer Sicht – Dr. med. Willi Heepe in LAUFZEIT

By GRR 0

Der Laufsport ist über die Jahre erwachsen geworden. Die gesundheitliche Bedeutung des Laufens ist nicht mehr strittig trotz Todesfällen  bei Laufveranstaltungen  und noch immer unreflektierten negativen Kritiken. Beinahe gilt inzwischen ein Mann (Frau) muss einen Baum gepflanzt haben, ein Haus gebaut haben, einen Sohn gezeugt haben, ein Buch geschrieben haben und letztlich auch einen Marathon gelaufen haben.

Galt vor 30 Jahren noch das Synonym laufen gleich "Waldlaufen" so sind heute durch den technischen Fortschritt der gesamten Lauflogistik Straßenläufe sowie Training auf Straßen ein Selbstverständnis geworden. Alte Vorurteile haben sich in Luft aufgelöst. Sportmedizinische Untersuchungen und Analysen beim Marathonläufern/innen gehören heute zum Standard.

Was aber ist mit der kleinen Schar der Ultraläufer weltweit? Welche gesundheitlichen Risiken liegen in Läufern jenseits des Marathonlaufens? Haben die ultralangen Läufe noch ein positives gesundheitliches Potenzial?   Wirklich wissenschaftlich relevante repräsentative Daten dazu gibt es kaum.

Das Phänomen muss von mehreren Seiten beleuchtet werden.

1. Die Typologie des Ultraläufers/in mental und körperlich

2. Die Belastung des Ultraläufers/in orthopädisch, internistisch, psychisch

3. Weitere Aspekte:
    Energiehaushalt und Stoffwechsel
    Elektrolyte und Flüssigkeit
    Wirkung von "Freien Radikalen"
    Trainingsgestaltung

4. Quo vadis Ultra Lauf

Der Laufsport ist aus mentaler Sicht ein ganz besonderer Sport. Er lebt von konsequent durchgeführtem Training. Er lebt davon das sich sehr schnell ein körperliches Wohlbefinden einstellt. Ich nenne dieses Gefühl die körperliche Freiheit. Dabei relativiert man mental die gesamte Welt. Dass sich einstellende Glücksgefühl ist Repräsentant des eigenen Gesundheits-Managements. Hierin liegt auch die Gefahr das Konto zu überziehen und bei allen Widrigkeiten des Lebens mit dem Laufen davon zu fliegen. Als Mediziner oder Therapeut das richtige Maß zu vermitteln setzt Erfahrung, Wissen und Augenmaß voraus. Für jede Leistung gibt es ein richtiges quantitatives und qualitatives Trainings-Maß.

Wo liegt es bei den Ultraläufen? Wie viel Zeit opfere ich dem Berufsleben, dem Familienleben und meinem eigenen Leben oder Erleben. Alle Ultraläufer/innen bedürfen sorgfältiger sportmedizinischer Begleitung und sorgfältiger Trainingssteuerung. Das besondere Augenmerk gilt dabei dem Skelettsystem, den Muskeln und Sehnen, sowie ganz besonders den Gelenken. Wir wissen viel zu wenig über die gesundheitlichen Facetten des Ultralaufens. Wir sind auf Beobachtungen, Einzelmessungen und Schilderungen des/der Ultraläufer/innen angewiesen.

Behutsam darf man sagen, geeignet ist allenfalls der asthenische, hagere, extrem schlanke Typ. Allen athletischen, muskulären und pyknischen Körper-Typen würde ich schon aus Gewichtsgründen  abraten an Ultraläufen teilzunehmen. Man stelle sich nur vor welche physikalische Leistung der Körper absolviert wenn er als Durchschnittsläufer mit 75 kg Gewicht 40.000 bis 50.000 mal während eines Marathonlaufes dieses Gewicht anhebt und bis zu einem Meter vorwärts katapultiert. In jeden einzelnen Schritt eines Läufers geht das Gewicht exponenzial in die Belastung ein.

Unter Berücksichtigung dieser Fakten sollten Ultraläufer/innen ihr Unterfangen mit einem Blick in den Spiegel beginnen. Eine endgültige kritische Bewertung dieses Themas kann man erst nach repräsentativen sorgfältigen Untersuchungen vornehmen. In meiner persönlichen Analyse kommt aus breiter Erfahrung diesem Sport keine positive Wertung zu. Zu viele Überlastungsschäden mit nicht unerheblichen Dauerschäden habe ich gesehen. Ausnahmeläufe sind damit ausgenommen. Ganz nach dem Buch des Nestors der deutschen Laufbewegung Werner Sonntag: "§einmal musst du nach Biel …" 

Nicht ohne kardialen Check-up

Wir wissen, das im "steady state" (Gleichklang aller Kreislaufparameter) die Durchblutung insbesondere im Gehirn deutlich zunimmt und dass man beim Laufen besser denken und hören kann. Aber wie viele Stunden? Wie erträgt man die Monotonie? Wo ist das Ziel?

Wir wissen, dass ein Energieverbrauch durch sportliches Tun jenseits 3000 kcal über dem  Grundumsatz pro Woche keinen gesundheitlichen Gewinn mehr bringt. Das entspricht einem Lauf einem Laufpensum zwischen 40 und 70 km pro Woche. Mit diesem minimalen Training wird man jedoch kein Ultraläufer. Es tun sich Fragen auf.

Heißt Ultralaufen dem Leben davonlaufen? Warum nur noch laufen, war da nicht noch etwas anderes? Oder? Allerdings gilt unverändert, "des Menschen Wille ist sein Himmelreich". Noch immer lautet das Primat im Lauf sport ist jeder für sich selbst verantwortlich. Womit ich Veranstalter mit absolut unsinnigen Veranstaltungen nicht aus der Verantwortung entlassen möchte (zum Beispiel Zugspitzlauf oder "Unter Tage Lauf et cetera).

Die Herzkreislaufbelastung der Ultraläufer ist bei geeignetem Vortraining akzeptabel, jedoch lassen Ultraschalluntersuchungen, Laboranalysen und elektrocardiographische Befunde nach extremen Belastungssituationen auch hier eine deutliches Warnsignal  aufleuchten. Gibt es Spätschäden? Bei welcher Intensität und bei welcher Laufzeit beginnt das Risiko? Wie steuere ich die Trainingsintensität? Eins ist sicher: Ohne eine sorgfältige Leistungsdiagnostik und einen sorgfältigen kardialen Check-up sollte kein Training für Ultraläufe erfolgen.

Was wissen wir über den Stoffwechsel und den Energiehaushalt bei Ultraläufen? Nun ein Ultralauf ist nur mit einem exzellent trainierten Fett-Stoffwechsel zu bewerkstelligen. Dazu sind ein bis zweimal wöchentlich extrem lange Trainingseinheiten erforderlich exakt im im Bereiche des Fett-und Mischstoffwechsesl. Kohlenhydrate müssen während der langen Läufe zugeführt werden. Dieses ist meistens recht unproblematisch; bedarf aber einer guten Logistik.

Der Flüssigkeitshaushalt wird schon problematischer. Durst ist ein schlechter Indikator. Jeder Ultraläufer/in  muss seinen Gewichtsverlust in Abhängigkeit von Temperatur und Belastungsintensität genau kennen, damit er seine Flüssigkeitszufuhr danach richten kann. Was soll man trinken? Wie sieht ein ideales Getränk für lange Leistungen aus? Ausschließlich Wasser führt zu Kochsalzverlust und wird bei langen Läufen kritisch . Ein Getränk mit der Grundlage Wasser und einer niedrigeren Kochsalz und niedrigen Glukosekonzentration kommt dem Ideal am nächsten. Spurenelemente bis hin zum Magnesium sollten regelmäßig in der Vorbereitung genommen werden, da sie im Wettkampf keinesfalls die Zelle erreichen und  keine Verluste ausgleichen. Auch hier gehört viel Erfahrung und Übung im Training dazu.

Mit Spaß und Gelassenheit

Interessanter wird das Thema "Freie Radikale". Diese entstehen in ermüdeten Muskeln bei einem Überangebot von Sauerstoff. Viele versuchen mit so genannten "Radikalenfängern" in Form des Vitamin C oder Vitamin diese zur binden und damit u.a. Muskelschmerzen vorzubeugen. In der Tat gelingt dieses teilweise.

Jedoch belegen jüngere Forschungen, dass die "Freien Radikalen" im Körper quasi eine Schutzimpfung darstellen gegen das spätere Auftreten von Diabetes mellitus, eine der häufigsten Erkrankungen der Gegenwart. Auch in diesem Punkt muss plus und minus abgewogen werden.

Das Trainingsmaß richtet sich einerseits nach dem Körpertyp,andererseits nach dem Muskeltyp und im Wesentlichen nach dem angestrebten Wettkampfziel. Extrem kritisch würde ich das Training mit definiertem Zeitzielen sehen, dabei sind immer Schäden abzusehen, die sich allein aus den Unwägbarkeiten einer solchen Veranstaltung ergeben.

Wer gelegentlich an Ultraveranstaltungen mit Gelassenheit, ohne Zeitvorgabe teilnimmt wird keinen Schaden davontragen und es gelegentlich wieder tun. Dabei sollte er den Zustand des eigenen Ichs, den klimatischen Unwägbarkeiten, die regionale Situation und die Organisation berücksichtigen. Ich habe selbst dreimal erfolgreich am Swiss-Alpin-Marathon teilgenommen und werde es eventuell noch einmal tun.

Vielleicht liegt der Kompromiß bei einmal einem ultralangen Kanten im Jahr. Und dies mit Spaß und Gelassenheit.

Dr. med Willi Heepe in LAUFZEIT – 7 & 8/2009

Kardiologe, Marathonläufer und langjähriger Medical-Direktor des BERLIN-MARATHON

Neue Praxisanschrift:

Lützowplatz 5
10785  Berlin

Telefon:030/23 00 53 80
e-mail: heepe-berlin@t-online.de

Dr. med Willi Heepe

LAUFZEIT

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