Neuer Schwung: Betty Heidler bescherte den deutschen Leichtathleten bei der WM die zweite Goldmedaille.
Gold im Hammerwerfen – Wurf ins Blaue – Betty Heidler kam zufällig zum Hammerwerfen, jetzt ist sie Weltmeisterin. – Friedhard Teuffel im Tagesspiegel – Nur weg damit! – Friedhard Teuffel über die Erfolge der deutschen Werfer in der Leichtathletik
OSAKA – Aus Langeweile kann man einiges machen, wie wäre es zum Beispiel damit, Weltmeisterin zu werden? Davon kann Betty Heidler einiges erzählen. 15 Jahre war sie alt, als eine Freundin von ihr auf einmal beschloss, mit der Leichtathletik anzufangen. „Ich hatte damals nichts zu tun, ich hatte Langeweile, da bin ich einfach mitgegangen“, sagt sie.
Dort traf sie den Trainer Bernd Mädler, der sie fragte, ob sie nicht zum Hammerwerfen kommen wolle. „Ich war damals gar nicht festgelegt, wenn er mich gefragt hätte, ob ich Hürdenläuferin werden will, dann wäre ich heute Hürdenläuferin.“ Ist sie aber nicht, und das wird sie am gestrigen Tag so wenig bedauert haben wie noch nie zuvor, denn seit gestern ist die 23-Jährige Weltmeisterin im Hammerwerfen.
Die Karriere ins Blaue hat einen ersten Höhepunkt in Gold erlebt, wobei Heidler in Osaka auch einen guten Orientierungspunkt hatte, den Titelgewinn von Franka Dietzsch mit dem Diskus am Abend zuvor. „Sie ist schon ein bisschen Vorbild von mir“, sagt Heidler und man hätte meinen können, dass sie sich auch mit der Dramaturgie ihres Wettkampfs an die 16 Jahre ältere Athletin anlehnen wollte. Auch Heidler entschied den Wettbewerb früh, nach einem ungültigen ersten Wurf, schleuderte sie den Hammer auf 74,76 Meter. Das sollte die Siegesweite werden, allerdings hatte auch Heidler wie Dietzsch in der Russin Daria Pischtschalnikowa eine Konkurrentin, die ihr bis zum Ende noch den Sieg nehmen wollte: Die Kubanerin Yipsi Moreno warf in ihrem letzten Versuch gerade einmal zwei Zentimeter kürzer als Heidler. Um nicht hinsehen zu müssen, versteckte sich Heidler hinter der Ergebnistafel.
So sehr der Weltmeistertitel von Franka Dietzsch erwartet worden war, so überraschend flog der deutschen Mannschaft nun das zweite Gold zu. Als Stabhochspringer Tim Lobinger an Heidler vorbeikam, drückte er sie an sich und sagte: „Mensch, du hast mich vielleicht Nerven gekostet. Wegen dir hatte ich zwei Fehlversuche, weil ich die ganze Zeit auf die Anzeigetafel schauen musste.“ Ganz aus dem Nichts ist Heidler in Osaka aber auch nicht aufgetaucht, zumal es in ihrer Familie viel sportliche Vorgeschichte gibt: Ihr Urgroßvater hat beim Fackellauf der Olympischen Spiele 1936 in Berlin auch einmal die Fackel getragen, ihr Großvater war Hochspringer, ihre Großcousine Cornelia Oschkenat gewann 1987 bei der WM in Rom Bronze über 100 Meter Hürden und Silber mit der DDR-Sprintstaffel. Außerdem beherrscht Betty Heidler die junge Disziplin des Frauen-Hammerwerfens in Deutschland schon länger, die letzten drei deutschen Meistertitel gewann sie. Sie hält auch den deutschen Rekord mit 76,55 Metern, und rechtzeitig vor der WM ist ihre erfolgreichste Gegnerin aus dem Verkehr gezogen worden, die Weltrekordhalterin Tatjana Lysenko aus Russland wurde im Juli bei einer Dopingkontrolle überführt.
Betty Heidler ist in Berlin-Marzahn aufgewachsen, inzwischen startet sie für Eintracht Frankfurt. Sie ist sozusagen ein leichtes Gegengewicht zu einem gängigen Vorurteil: „Über die Hammerwerferinnen sagt man immer, sie seien quadratisch, praktisch, gut.“ Weil sie im Februar viel Stress mit ihrer Abschlussprüfung für eine Ausbildung bei der Bundespolizei hatte, nahm sie gleich vier Kilogramm ab und wiegt jetzt nur noch 80. „Ich freue mich natürlich, wenn ich Komplimente für mein Aussehen bekomme“, sagt sie. Geblieben sind ihr auf jeden Fall die Kraft und die Lust am guten Essen. „Japan finde ich toll, gerade wegen des Essens, Sushi mag ich sehr gerne, auch selbstgemachtes.“
Nach ihrem Titelgewinn hat sie nun Wunschkost frei, sie will ihn mit einem mit einem guten japanischen Essen feiern.
Friedhard Teuffel
Der Tagesspiegel
Freitag, dem 31. August 2007
Nur weg damit! – Friedhard Teuffel über die Erfolge der deutschen Werfer in der Leichtathletik
Das mag das Ausland gerade denken: Gib den Deutschen irgendetwas in die Hand, und sie werfen es schnell so weit weg, dass es kaum noch zu finden ist. Egal, ob Kugel, Diskus oder Hammer, es funktioniert einfach immer. Auch wenn es vielleicht nicht so ankommt: Die anderen Nationen beneiden die deutschen Leichtathleten um ihre Erfolge, und möglicherweise macht man die Schlagseite bei der Medaillenausbeute auch schlechter, als sie ist. Denn Werfen setzt nicht nur plumpe Kraft voraus, sondern auch Geschick. Die Deutschen haben in den Wurfdisziplinen seit vielen Jahren ausgezeichnete und vor allem technikverliebte Trainer, gut organisierte Trainingsgruppen und eine immer besser werdende Förderung mit Ideen durch den Deutschen Leichtathletik-Verband.
Man kann nur hoffen, dass dies wichtige Erklärungen dafür sind, dass zuletzt kein deutscher Werfer bei einer Dopingkontrolle unangenehm aufgefallen ist. Wissen kann man es nicht. Es wäre jedenfalls ein doppelter Triumph, wenn saubere deutsche Athleten beim Werfen gewinnen, weil das Unrechtsbewusstsein in Sachen Doping in anderen wurfstarken Ländern wie Russland, Weißrussland und Ungarn nicht besonders stark ausgeprägt ist. Die deutschen Leichtathleten dürfen sich nun also unter Vorbehalt freuen.
Nur eines sollten sie noch wissen. So schön diese Erfolge sind und so gleichberechtigt die Würfe neben den anderen Disziplinen stehen:
Mit jeder erworfenen Medaille steigt die Sehnsucht nach einem Erfolg im Laufen oder Springen.