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10
08
2021

Eliud Kipchoge - Foto: 2020 Tokyo Olympic Games Tokyo, Japan July 29-August 8, 2021 Photo: Giancarlo Colombo@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-291-3409 www.photorun.NET

Gold für Kipchoge: Marathon-Mann vom Mars – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Der Marathon-Mann: Eliud Kipchoge erfüllt das Vermächtnis mit seinem zweiten Olympiasieg  

Eliud Kipchoge erfüllt das Vermächtnis mit seinem zweiten Olympiasieg: „Marathon ist wie das Leben“, sagte der Meister: „Das Leben geht auf und ab. Man muss sich konzentrieren und weitermachen.

Eliud Kipchoge ist der überragende Marathonläufer der Gegenwart – und der Geschichte. Vom ersten bis zum letzten der 42.195 Meter durch Sapporo, die der Kenianer in der Nacht zum Sonntag bei seinem zweiten Olympiasieg in 2:08:38 Stunden hinter sich brachte, dominierte er das Feld.

Selbst wenn ein, zwei Läufer im Übermut vor ihm liefen, zu Anfang des Rennens, war deutlich zu sehen, dass sie sich einzig und allein an ihm orientierten. Wie eine Gefolgschaft umgaben ihn zunächst gut fünfzig oder sechzig der 96 gestarteten Läufer aus aller Welt, und ihr Respekt und ihre Bewunderung erwiesen sich für sie als ebenso gefährlich wie Hitze und hohe Luftfeuchtigkeit. Nur eine Handvoll hielt bis Kilometer 25 mit, als er beschloss, das Rennen zu entscheiden. Selbst Weltmeister Lelisa Desisa aus Äthiopien, der als Herausforderer galt, gab auf – wie 29 weitere.

„Ich glaube ich habe das Vermächtnis erfüllt“, sagte Kipchoge im Ziel.

Wie Abebe Bikila, der barfüßige Leibgardist des äthiopischen Kaisers, 1960 und 1964, wie Waldemar Cierpinsky, nach dem Väter und Mütter in der DDR ihre Kinder nennen sollten, 1976 und 1980, ist Kipchoge nun Doppel-Olympiasieger in der Königsdisziplin des Langlaufs. Er wolle die nächste Generation und überhaupt Milliarden von Menschen inspirieren, sagte er. Gut möglich, dass er sie erreicht, denn er ist so viel mehr als ein Sportler mit einem Titel.

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Bei den Olympischen Spielen von Athen 2004 und von Peking 2008 gewann er Bronze und Silber im Rennen über 5000 Meter. Vom kenianischen Verband 2012 übergangen, wechselte er zum Marathon. Von fünfzehn Marathons, die er seitdem bestritt, gewann er dreizehn; bei seinem zweiten, 2013 in Berlin, so wirkte es, ließ er seinem Förderer Wilson Kipsang absichtlich den Vortritt und den Weltrekord. Fünf Jahre später verbesserte er selbst den Weltrekord, ebenfalls in Berlin, auf 2:01:39 Stunden – eine Leistung so überirdisch, dass die Neue Züricher Zeitung sie mit der Mondlandung verglich.

Anderthalb Jahre zuvor hatte Kipchoge auf der Formel-1-Strecke von Monza versucht, die (nicht offiziell anerkannte) Bestzeit für die Marathon-Distanz auf unter zwei Stunden zu drücken. Dass er das Ziel um lediglich 26 Sekunden verpasste, bewies ihm, dass es möglich war. Im Mai 2019 wiederholte er diesen Laborversuch auf einem Rundkurs im Prater von Wien: 1:59:40 Stunden für 42,195 Kilometer – Mission Mars, wenn man in der Analogie bleibt.

In einer Zeit, in der Langlauf rund um den Globus Alltagskultur geworden ist und die Ausrüster Milliarden umsetzen, hatte Kipchoge sich schon damit zu einer Ikone seines Sports und einem überlebensgroßen Werbeträger gemacht. Nun hat er sich, scheinbar mühelos, die Goldmedaille geholt, die ihm noch fehlte. Raumschiff Enterprise? Kipchoge hat in Tokio bewiesen, warum er einen Status hat, der Konkurrenten in Bewunderer und Fans verwandelt. Er läuft länger und schneller als alle anderen. Mit seinem Triumph wetzte er eine erstaunliche Niederlage als Achter des in den Herbst und in einen Park verlegten London-Marathons des vergangenen Jahres aus. Sie hatte dafür gesorgt, dass über den bevorstehenden Niedergang von Eliud dem Großen spekuliert worden war, dass wieder darüber gemunkelt wurde, dass er sein Geburtsjahr zwar mit 1984 angibt, dass er aber vierzig Jahre alt oder mehr sein dürfte. „Marathon ist wie das Leben“, sagte der Meister am Sonntag, wieder einmal: „Es gibt Schlaglöcher und Wellen. Das Leben geht auf und ab. Man muss sich konzentrieren und weitermachen.“

„Kipchoge ist Kipchoge“

Auf dem Podest stand Kipchoge mit zwei Trainingspartnern, die sich ihm und seinem Trainer Patrick Sang vor Jahren angeschlossen haben. Abdi Nageeye im Trikot der Niederlande winkte, als er vor dem Ziel den Kenianer Cherono überspurtete, und Bashir Abdi folgte den ausladenden Gesten. Der Mann im belgischen Dress wurde Dritter hinter Nageeye. Die beiden Freunde zeigten erheblichen Nationalstolz. „Die somalische Diaspora ist stark“, freute sich Nageeye und vereinnahmte Mo Farah, den viermaligen Olympiasieger vergangener Tage aus England, Mohammed Ahmed, den Silbermedaillengewinner aus Kanada über 5000 Meter, sowie Ayad Lamdassem, den Fünften im Marathon im Trikot Spaniens, allesamt somalischer Herkunft. In Afrika hätten Nageeye und er Fußball gespielt. Laufen als Sport hätten sie erst in ihren neuen Heimatländern kennengelernt. Und beim Training in Kenia schnell die Hierarchie verstanden.

„Kipchoge ist Kipchoge“, sagte Abdi: „Mit ihm kann niemand mithalten.“

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 8. August 2021

 

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.
 

author: GRR