Die Multi-Kulti Truppe des PSV Grün-Weiß Kassel ©Michael Küppers
Gelebte Integration (1) – Beim PSV Grün-Weiß Kassel wird die Integration von ausländischen Sportlern seit den 80er Jahren erfolgreich gelebt – Behördengänge, juristische Beratung, Wohnungssuche, Jobvermittlung und Arztbesuche sind Alltags-Aktivitäten
Mit dem Aufsehen erregenden Beitrag „Neue DLV-Regelung erschwert Integration von Flüchtlingen und Asylbewerbern in Deutschland“, erschienen am 5. April 2017 bei www.germanroadraces.de, hat die Interessenvereinigung der großen Läufe (GRR) eine Diskussion entfacht.
In mehreren Beispielen aus der Praxis soll versucht werden, die in dieser Form vom DLV verabschiedete Regelung in Frage zu stellen.
GRR fordert vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) eine Abkehr von dieser starren und restriktiven Haltung. Am Beispiel PSV Grün-Weiß Kassel werden Beispiele einer wohlverstandenen Integration und Inklusion verdeutlicht.
German Road Races (GRR) e.V.
Beim PSV Grün-Weiß Kassel wird Integration von jeher großgeschrieben. Schon in den 80er- und 90er Jahren waren Djilalli Abdesselam (Marathon-Bestzeit 2:17:09) und Mourad Bouknana (2:22:24) herausragende Beispiele für eine erfolgreiche Eingliederung.
Die beiden damals jungen Algerier fanden in Kassel zunächst sportlich, dann auch beruflich und privat eine neue Heimat. Viele folgten danach.
„Nirgendwo kann man Integration leichter beginnen als im Sport“, weiß Winfried Aufenanger, 20 Jahre Bundestrainer der deutschen Marathonläufer, aus seiner langjähriger Erfahrung. „Wir sind im Lauf der Zeit Anlaufstelle für Flüchtlinge und Migranten geworden“, sagt Aufenanger, der noch heute fast täglich mit den Athleten aus Kenia, Äthiopien, Eritrea oder Somalia arbeitet.
Simret Restle-Apel und zuletzt Melat Yisak Kejeta hat er zu Deutschen Meisterinnen über 10 km geführt, Ybekal Daniel Berye holte unter seiner Regie Bronze bei den Deutschen Marathon-Meisterschaften und schaffte es 2015 auf Platz vier der Deutschen Jahresbestenliste (2:16:45). Das U23-Juniorenteam mit Musa Mummand Baher, Andebrhan Teklhamanat und Anbessjar Hagos Bisrat wurde 2016 deutscher 10 km-Vizemeister.
„Integration geht aber nicht von alleine, Integration steht und fällt mit dem Engagement einzelner Personen. Die Flüchtlinge brauchen Hilfe, sich in einer fremden Umgebung zurecht zu finden“, erklärt Nikolaj Dorka, der jüngst gewählte Sportwart der PSV-Leichtathletik-Abteilung. Dorka, selbst erfolgreicher Läufer mit einigen Medaillen bei Deutschen Meisterschaften, ist einer jener einheimischen Athleten in der großen grün-weißen Trainingsgruppe, die den ausländischen Teamkollegen jederzeit aktiv zur Seite stehen.
„So“, sagt er, „integrieren sie sich bei uns spielerisch und es gibt kaum Berührungsängste, da das soziale Gefälle nicht erkennbar ist und die Atmosphäre beim Sport wesentlich gelöster ist als anderswo.“
Praktisch heißt das neben dem gemeinsamen Training vor allem Hilfestellung in allen Lebenslagen.
Melat Yisak Kejeta, Elsa Kuma Zewde (beide anerkannte Asylbewerberinnen), Ybekal Daniel Berye, Anbessajer Hagos Bisrat, Hassan Ice und Sewnet Asrat Ayano haben eigene Wohnungen und teilweise auch mit Praktikumsplätzen den Einstieg ins Berufsleben gefunden.
„Behördengänge, juristische Beratung, Wohnungssuche, Jobvermittlung, Arztbesuche, all das ist bei uns längst Alltag“, erklärt Christoph Luckhard, Mitarbeiter im Büro des EAM Kassel Marathon, in dem die Fäden zusammenlaufen. PSV-„Evergreen“ Daniel Ghebreselasie floh vor über 20 Jahren aus Eritrea nach Deutschland und ist nun neben PSV-Chef Winfried Aufenanger für viele der jungen Teamkameraden Ansprechpartner, Übersetzer, Helfer und Vorbild.
„Sie gehören einfach zu uns und sind ein Teil unserer Familie“, betont Christoph Luckhard, „Laufen ist für sie Leben, hier vergessen sie ihr Schicksal und die Umstände ihrer Flucht nach Deutschland. Aber es wird ihnen oft nicht gerade leichtgemacht. Dennoch haben wir hier einen sehr guten Draht zu den Behörden und Institutionen wie dem Jobcenter, die uns in vielen Angelegenheiten unbürokratisch zur Seite stehen“
„Sportliche Erfolgsaussichten sorgen für eine sinnvolle Lebensaufgabe und stärken ihr Selbstbewusstsein“, bestätigt Sportwart Dorka, „man muss den Flüchtlingen eine Lebensperspektive, damit sie dann später voll in die Gesellschaft eingegliedert werden können.“
Beim PSV Grün-Weiß Kassel finden sie nun diese Perspektive.
„Vor allem funktioniert die Integration durch die Bildung von gemeinsamen Mannschaften“, so Winfried Aufenanger, „daraus entwickeln wir gemeinsame Stärke.“
Doch der DLV setzt nach Auffassung der PSV-Verantwortlichen genau da jetzt Zeichen, die in eine andere Richtung gehen und für diese Athleten und für Vereine wie den PSV, die sich auch jenseits von sportlichen Ansprüchen mit Herzblut engagieren, ein Schlag ins Kontor sind.
Von Michael Küppers, bearbeitet für GRR von Wilfried Raatz