Er ist Ehrenbotschafter der Vereinten Nationen, er ist der kommende Präsident von Äthiopien.
Gebrselassies Rücktritt – Dieter Baumann: „Ohne Haile wäre ich nicht so schnell gelaufen“ – Friedhard Teuffel im Tagesspiegel
Herr Baumann, Ihr Weggefährte Haile Gebrselassie hat am Sonntag beim New-York-Marathon aufgegeben und seinen Rücktritt erklärt. Sind Sie überrascht?
Mich hat es insofern überrascht, weil ich davon ausgegangen war, dass er noch bis zu den Olympischen Spielen 2012 in London läuft. Man sucht als Athlet doch einen runden Abschluss für seine Karriere.
Und was hat Sie nicht überrascht?
Die Knieverletzung, die ihn zum Rücktritt gebracht hat, die hat er sich sicher nicht in New York geholt. Er wollte in New York sein Glück vielleicht nochmal erzwingen. Als junger Athlet kann man mit seinem Körper noch rabaukenhaft umgehen. Aber irgendwann muss man einsehen: Ich schaffe es nicht mehr.
Vor dem Rennen sagte Gebrselassie, dass er seinen Kindern später erzählen wolle, einmal in New York gewonnen zu haben. Hört er jetzt mit offenen Rechnungen auf?
Ich glaube nicht, dass er noch eine Rechnung offen hat. Das mit New York, das wollen seine Kinder doch später gar nicht wissen. Das ist eine nette Geschichte für die Medien. Bei mir war es damals so, dass ich immer noch Ziele gesucht habe. Motivation ist auch ein Stück weit Selbstbetrug. Man baut ein Bild auf, das einen antreibt. Aber irgendwann habe ich gemerkt: Ich kann keinen olympischen Marathon mehr gewinnen. Dann ist auch der Geist erschöpft von diesen Bildern.
Was sagt Ihnen jetzt dieser Rücktritt?
Wir denken ja immer als Sportler, wir sind so unglaublich fit. Aber auch wir werden älter. Manchmal ist es gut für uns Sportler, wenn wir sehen, dass diese Erscheinung auch an einem wie Haile nicht vorübergeht.
An welches Rennen gegen Gebrselassie erinnern Sie sich besonders?
Das war 1997 in Zürich, 5000 Meter. Ich bin Europarekord gelaufen, aber er war trotzdem noch mehr als zwölf Sekunden schneller und ist Weltrekord gelaufen. Ich habe ihn nie geschlagen. Aber ohne ihn wäre ich nicht so schnell gelaufen.
Warum nicht?
Er hat uns immer gezwungen, das Rennen schnell anzugehen. Dazu war der Rest des Feldes verdammt. Mit dem unsicheren Faktor, ob man am Ende überhaupt durchhält. Aber zwei-, dreimal bin ich dann angekommen mit einer tollen Zeit.
Wie war Gebrselassie als Konkurrent?
Der Haile ist ein ganz normaler, beinharter, erfolgsorientierter Athlet. Kein übermäßiges Schlitzohr. Fertig.
Dabei sieht man ihn nach den Rennen ständig mit einem schelmischen Grinsen.
Haile ist ein wunderbarer Medienmensch. Er war auch immer relativ locker am Start, lockerer als die anderen. Unseren deutschen Athleten fehlt diese Lockerheit meistens. Auch die Fähigkeit, eine Niederlage zu akzeptieren.
Was bewundern Sie an ihm am meisten?
Er hatte alles. Auf jede Rennsituation eine Antwort, ob das ein langer Sprint ist, ein kurzer Sprint oder eine Soloflucht. Er ist auch einer der ganz wenigen, die alle Disziplinen können, von der Mittelstrecke bis hoch zum Marathon.
Für Sie ist Laufen ein Lebensthema, es hat Sie auch nach Ihrer Karriere nie losgelassen, ob als Trainer, Autor, Vortragsreisender. Wird das bei Gebrselassie auch so sein?
Ich glaube, dass der Haile einen ganz anderen Weg geht. Laufen wird als Thema nicht mehr so dominant sein. Dazu hat er in seinem Land jetzt schon eine ganz andere Rolle.
Er ist Ehrenbotschafter der Vereinten Nationen, er ist der kommende Präsident von Äthiopien.
Das Gespräch führte Friedhard Teuffel. Der Tagesspiegel, Dienstag, dem 9. November 2010