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06
2010

Das Forscherteam nutzte die WM 2006 vom 9. Juni bis 9. Juli, um die Bedeutung und Häufigkeit von emotionalem Stress als Auslöser für eine Herzattacke zu dokumentieren. Es konnte gezeigt werden, dass an den Spieltagen der Nationalelf mehr als doppelt so häufig ein Herznotfall auftrat im Vergleich zu den Kontrollperioden

Fußball-WM und emotionaler Stress – Wie können sich herzkranke Menschen vor Risiken schützen? Empfehlungen der Deutschen Herzstiftung und Herzspezialisten

By GRR 0

(Frankfurt a. M., 17. Juni 2010) Wer sich für die Fußball-WM begeistert, weiß: Je weiter die Lieblingsmannschaft in die Endrunde kommt und je spannender die Begegnungen sind, desto emotionaler – sogar stressiger – kann das Zuschauen sein. Bei herzkranken Menschen kann dieser Stress in eine lebensbedrohliche Situation umschlagen. Im schlimmsten Fall führt er zum Herzinfarkt oder zu gefährlichen Herzrhythmusstörungen.

Das haben Untersuchungen bei 4 279 Patienten im Raum München während der Fußball-WM 2006 in Deutschland unter der Leitung von Priv.-Doz. Dr. med. Ute Wilbert-Lampen vom Universitätsklinikum der LMU München Campus Großhadern gezeigt.

Die Studie Cardiovascular Events during World Cup Soccer (New England Journal of Medicine, 2008, vol. 358:475-83), in der diese Herznotfälle untersucht wurden, dokumentiert, dass sich deren Zahl während der WM 2006 an den sieben Spieltagen der deutschen Elf deutlich erhöhte. Dies war besonders bei Patienten mit einer bekannten koronaren Herzkrankheit (KHK) der Fall. Am häufigsten traten Herznotfälle bei den Endrundenspielen gegen Argentinien (Elfmeterschießen) und Italien (Verlängerung) auf.

Das Forscherteam nutzte die WM 2006 vom 9. Juni bis 9. Juli, um die Bedeutung und Häufigkeit von emotionalem Stress als Auslöser für eine Herzattacke zu dokumentieren. Es konnte gezeigt werden, dass an den Spieltagen der Nationalelf mehr als doppelt so häufig ein Herznotfall auftrat im Vergleich zu den Kontrollperioden. War bei den untersuchten Personen eine Erkrankung der Herzkranzarterien bereits bekannt, war die Zahl der Herznotfälle viermal höher.

Wie können sich Patienten vor einer Herzattacke schützen?
Wie können sich Patienten mit einer bekannten KHK vor einem WM-Spiel vor einer Herzattacke schützen? PD Wilbert-Lampen rät, vor einem Stressereignis die Art der verabreichten Medikamente und ihre Dosierung vom Arzt überprüfen zu lassen: Ist die Blutdruck-Einstellung ausreichend? Genügt bei hohem Blutdruck der ACE-Hemmer oder muss gegebenenfalls ein zusätzliches blutdrucksenkendes Medikament (Betablocker) verabreicht werden? Wie steht es um den Cholesterinsenker und Aspirin? Viele Risikofaktoren und akute Notfallsituationen sind beeinflussbar, wenn die Medikamente regelmäßig kontrolliert und konsequent eingenommen werden. Schließlich soll es bei der WM in Südafrika beim Mitfiebern bleiben – im Wohnzimmer und nicht im Krankenhaus.

Was kann ein Patient mit einer bekannten KHK vor dem Spiel gegen die Stressbelastung tun? „Wissenschaftliche Daten gibt es hierzu nicht. Ich persönlich rate dem Patienten, vor dem Spiel die Betablocker-Dosis zu erhöhen und bei akut einsetzender Angina pectoris frühzeitig Nitrospray zu nehmen. Patienten, die dazu neigen, auf emotionalen und körperlichen Stress mit Angina-pectoris-Anfällen zu reagieren, können vorbeugend Isosorbiddinitrat lutschen.

Dessen Wirkung hält bis zu vier Stunden an“, empfiehlt Prof. Dr. med. Thomas Meinertz vom Universitären Herzzentrum Hamburg und Mitglied des Vorstands der Deutschen Herzstiftung. „Bei sehr unruhigen und erregten Patienten – häufig schon in der Erwartung des Spiels – kann die zusätzliche vorbeugende Einnahme eines Beruhigungsmittels – ausnahmsweise – sinnvoll sein“, fügt Prof. Meinertz hinzu.

Beim Herznotfall sofort den Rettungswagen (112) rufen
Sollte es zu einer Herzattacke kommen, sollte nicht der Hausarzt, sondern sofort der Rettungswagen mit der 112 gerufen werden. „Patienten kommen häufig viel zu spät in die Notaufnahme, obwohl sie die klassischen Herzinfarktsymptome haben und schneller hätten reagieren können. Da kann schon viel Herzmuskelmasse abgestorben und damit verloren sein“, bemerkt PD Wilbert-Lampen. Jeder – nicht nur Risikopatienten wie Raucher, Bluthochdruckpatienten, Diabetiker oder Patienten mit krankhaft hohem Cholesterinspiegel – sollte die Infarkt-Alarmzeichen kennen: schwere, länger als fünf Minuten anhaltende Schmerzen im Brustkorb, die in Arme, Schulterblätter, Hals, Kiefer und Oberbauch ausstrahlen können. Auch ein starkes Engegefühl, heftiger Druck und ein Brennen im Brustkorb, Übelkeit und Atemnot gehören zu den Symptomen. „Das sind Warnsignale, die Patienten kennen müssen“, betont die Ärztin.

18/2010

Informationen:
Deutsche Herzstiftung e.V.
 
Michael Wichert /Pierre König
Tel. 069/95 51 28-114/-140
Fax: 069/95 51 28-345
E-Mail: wichert@herzstiftung.de
koenig@herzstiftung.de
www.herzstiftung.de

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Stellungnahme der Medizinischen Klinik und Poliklinik I am Klinikum der LMU München Campus Großhadern zum Artikel „Fußball fürs Herz“, erschienen in der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom 09.06.2010

Auf der Titelseite der SZ vom 09.06.2010 erschien ein Artikel „Fußball fürs Herz“, der sich mit dem Problem von akuten Herzanfällen bei Zuschauern von Fußballspielen befasst. Verwiesen wird auf eine aktuelle Studie aus dem Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie der Universität Köln, die „keinen statistischen Zusammenhang außerhalb Münchens“ feststellen konnte. Der Artikel zitiert den kommissarischen Leiter des Kölner Instituts, Herrn PD Dr. rer. pol. Markus Lüngen, mit den Worten, dass es bei Länderspielen „kein höheres Risiko für Infarkte, Rhythmusstörungen oder Kammerflimmern“ gibt und den Anhängern der deutschen Nationalmannschaft „zumindest diese Sorge“ rechtzeitig vor Beginn der WM 2010 in Südafrika genommen werden könne.

Es wird Bezug genommen auf eine von uns im New England Journal of Medicine (NEJM, 2008; 358:475-83) publizierte prospektive Studie. Diese ergab eine ca. 2,7-fache Erhöhung akuter Herzanfälle (Herzinfarkte, instabile Angina pectoris, bedrohliche Herzrhythmusstörungen), diagnostiziert durch Notärzte in einer definierten Bevölkerungsstichprobe von 1,2 Millionen Einwohnern in und um München in engster zeitlicher Korrelation mit den Spielen der deutschen Nationalmannschaft. Das Begutachtungsverfahren durch ein unabhängiges Gremium des NEJM ist eines der härtesten und kritischsten, und sichert damit die bestmögliche Überprüfung und größtmögliche Objektivität in der Beurteilung der Ergebnisse.

Die SZ zitiert den Autor der Kölner Studie, den unsere Ergebnisse „misstrauisch“ gemacht hätten, an anderer Stelle des Artikels wird die Korrektheit unserer Daten in Frage gestellt.

Wir verwahren uns entschieden gegen die suggestive Behauptung im Artikel der SZ, unsere Ergebnisse seien möglicherweise nicht korrekt oder wir hätten eine populäre Annahme nicht mit statistischen Fakten belegen können.

Im Gegensatz dazu ist auf die völligen Unzulänglichkeiten der Kölner Studie hinzuweisen (Expertenbrief 2010-02 vom Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie vom 09. Juni 2010).

Analysiert wurde offensichtlich rückwirkend die Summe der Erstdiagnosen Angina pectoris, Herzrhythmusstörungen, Herzstillstand und Kammerflimmern bei Krankenhausaufnahme aus einem Kollektiv von insgesamt 7,2 Millionen Versicherten. Nicht angegeben, weil offensichtlich nicht erfasst, wurden die diagnostischen Maßnahmen zur Sicherung der Diagnosen Angina pectoris und Herzrhythmusstörungen, und der für die Fragestellung essentielle zeitliche Zusammenhang zwischen dem erstmaligen Auftreten von Beschwerden und den Fußballspielen.

Als Referenz wird das „typische wöchentliche Muster“ der Ereignishäufigkeit herangezogen. Wenn dieses Muster aber durch die Allerweltsdiagnose Angina pectoris, mit der die Patienten montags zur Abklärung stationär aufgenommen werden, dominiert wird, so hat dieser Parameter nichts mit einem akuten Herzinfarkt zu tun. Der wissenschaftliche Wert dieser Untersuchung zum Zusammenhang zwischen Fußball und Herzinfarkt ist alleine dadurch auf Null reduziert.

Es würde den Rahmen unserer Stellungnahme sprengen, auf weitere Ungereimtheiten der Kölner Studie hinzuweisen, die unserer Ansicht nach eine Publikation in einem anerkannten Fachjournal ausschließen.

Da ein relevantes Thema berührt wird, an dem die Öffentlichkeit großes Interesse hat, wäre es übliches wissenschaftliches Vorgehen gewesen, die vollständigen Daten durch ein angesehenes Journal begutachten und ggf. publizieren zu lassen. Einzelne, nicht nachprüfbare Zahlen zu einem relevanten Problem in einem Rundbrief zu verteilen und daraus verharmlosende Rückschlüsse zu ziehen, die für viele Menschen, insbesondere mit bekannter Herzerkrankung, eine erhebliche gesundheitliche Gefährdung bedeuten können, ist unseres Erachtens grob fahrlässig.

Eine Überprüfung der Kölner Daten durch die SZ hätte die haarsträubenden Fehler leicht erkannt; dafür war aber wohl keine Zeit (immerhin stand die nächste Fußballweltmeisterschaft vor der Tür!). Und so fand sich auf Seite 1 der SZ ein Artikel, der jeder journalistischen Sorgfaltspflicht widerspricht.

Wir sehen uns durch den SZ-Artikel vom 09.06.2010 nicht veranlasst, unsere 2008 veröffentlichten Kernaussagen zu revidieren, die da lauten:

– das Risiko akuter kardiovaskulärer Ereignisse beim Anschauen stressvoller Fußballspiele ist mehr als verdoppelt, insbesondere bei Männern mit bekannter Herzkranzgefäßerkrankung

– Patienten, betreuende Ärzte und alle im Gesundheitswesen Tätigen sollten während eines solchen Fußballgroßereignisses darauf vorbereitet sein

Prof. Dr. med. G. Steinbeck / PD. Dr. med. U. Wilbert-Lampen

Informationen:

Klinikum der LMU München
Campus Großhadern
Medizinische Klinik und Poliklinik I
Prof. Dr. med. Gerhard Steinbeck
Priv.-Doz. Dr. med. Ute Wilbert-Lampen
Tel.: 089 / 7095-2371
Fax: 089 / 7095-8870
E-Mail: gerhard.steinbeck@med.uni-muenchen.de
E-Mail: Ute.Wilbert-Lampen@med.uni-muenchen.de

author: GRR

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