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18
03
2009

> Das Institut für angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig hat in seiner Analyse der Olympischen Spiele 2008 ermittelt, dass der Entwicklungs- und Wissensvorsprung von Ländern wie Frankreich, Australien oder Großbritannien vor Deutschland derzeit bei bis zu sechs Jahren liegt.

Fünf große Baustellen – Lothar Pöhlitz in leichtathletik

By GRR 0

Deutschlands Leichtathleten konnten bei den Olympischen Spielen in Peking auf breiter Front gegen Sportler aus mehr als 200 Ländern – darunter solche Schwergewichte wie die USA, Russland, Großbritannien, China und die geballte Kraft der afrikanischen Läufer – nicht erfolgreich konkurrieren. Lothar Pöhlitz, von 1980 bis 1998 Bundestrainer im DLV, hat dafür fünf Hauptursachen ausgemacht.

An diesen Baustellen sollte die deutsche Leichtathletik intensiv arbeiten, um im weltweiten Vergleich bald wieder erfolgreicher zu werden.

Die Trainerfinanzierung

Eine aktuelle Studie der Universität Tübingen hat ergeben, dass die Bezahlung der deutschen Trainer erbärmlich und ihre Verträge ungenügend seien, weil sie nur kurzfristig Sicherheiten bieten. Außerdem sei die Weiterbildung nicht organisiert.

Bereits 1980 existierte eine Vergütungsordnung für Bundestrainer, in der ihre Bezahlung nach Leistungsstufen, Erfolgsprämien, Vertragsdauer und Rahmenrichtlinien zur Doping-Bekämpfung festgelegt waren. Der deutsche Sport sollte heute  – wie damals – wieder diejenigen in den Mittelpunkt stellen, die Talente erkennen und ausbilden können. Derzeit stehen kaum noch Diplom-Sportlehrer, Diplom-Trainer oder in der Vergangenheit erfolgreiche und erfahrene Coaches an Bahn, Sprunggrube oder Wurfring.

1990 verfügte die Bundesrepublik Deutschland noch über das bestausgebildete Trainerpotenzial der Welt. Und die Mehrzahl davon war nicht mit Doping in Verbindung zu bringen, weil im Nachwuchsbereich tätig. Heute wundert es Außenstehende nicht, dass für mickrige Honorare kaum noch qualifizierte Kinder- und Jugendtrainer zu finden sind.

Kinder, die gut betreut Sport treiben möchten, können von vielen Vereinen nicht aufgenommen werden, weil nicht genügend Trainer zur Verfügung stehen oder weil die Eltern die Mitgliedsbeiträge nicht bezahlen können. Um Abhilfe zu schaffen, sollten Kommunen und Verbände zuallererst Mittel für die Beschäftigung von Trainern zur Verfügung stellen. Wo Sportstätten sind, müssen auch Trainer arbeiten.

Dafür können Vereine und Verbände Partner aus der Wirtschaft gewinnen, die bereit sind, in ihrer Region Geld für Trainer zur Verfügung zu stellen, die dann mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Vereine, Verbände und Kommunen sollten prüfen, ob Verwaltungspersonal nicht zum Teil durch Sportorganisatoren, Scouts oder Trainer ersetzt werden kann, die unsere Kinder auf die Sportstätten holen und dort fachgerecht betreuen. Im Gegenzug könnte Bürokratie abgebaut werden. Dies wäre ein entscheidender Schritt zur besseren Erziehung und mehr Gesundheit unserer Kinder und zugleich ein wichtiger Beitrag zur Wiedererlangung unserer einstigen Konkurrenzfähigkeit.

Unter dem Aspekt einer Konzentration und Zentralisation und einer schnelleren Leistungsentwicklung von Talenten wäre die Schaffung hauptamtlicher Trainerstellen in den Bundesleistungszentren,  in noch auszuwählenden Spitzenvereinen und in Leistungszentren der Landesverbände die vordringliche Aufgabe. Bei den derzeit klammen Kassen ist eine Konzentration der Kräfte ein Weg aus der Krise. Großbritannien hat uns schon vergangenes Jahr in Peking gezeigt, welche Wirkung in kurzer Zeit mit der Schaffung von funktionierenden Leistungszentren erzielt werden kann.

Die Trainerqualifizierung

> Das Institut für angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig hat in seiner Analyse der Olympischen Spiele 2008 ermittelt, dass der Entwicklungs- und Wissensvorsprung von Ländern wie Frankreich, Australien oder  Großbritannien vor Deutschland derzeit bei bis zu sechs Jahren liegt. Um diesen Rückstand aufzuholen, muss die Verantwortung für die Aus- und Weiterbildung der Trainer im Spitzenbereich, die Kaderathleten des DLV oder der Landesverbände betreuen, bei der Trainerakademie Köln oder der DLV-Trainerschule in Mainz liegen. In den Mittelpunkt zu stellen sind dabei eine enge Verzahnung von Theorie und Praxis sowie  die Bereitschaft, von den Weltbesten oder den Besten aus anderen Sportverbänden zu lernen.

Das neue Wissen muss möglichst schnell bei den Athleten ankommen. Auch die Trainer-Aus- und -Fortbildungen, die von den Landesverbänden organisiert werden, müssen mit neuen, höheren Qualitätsanforderungen verbunden werden.

Höchstleistungen im Sport resultieren aus Kompetenz, praktischer Anwendbarkeit, Motivation und funktionierenden Organisationsstrukturen. Deshalb wäre auch eine Qualifizierung des für den Leistungssport arbeitenden Personals bei Verbänden und Organisationen hilfreich. Erfolgreiche Trainer müssen sich ständig mit der Trainingslehre und der Trainingswissenschaft beschäftigen. Sie müssen lebenslang bereit zum Lernen sein. Die derzeit nicht befriedigende internationale Konkurrenzfähigkeit macht Defizite auch im Trainerwissen deutlich.

Aus- und Fortbildung müssen deshalb vor allem Wissen und neue Methoden vermitteln, die in der Praxis schnell umsetzbar und anwendbar sind. Dafür sollte auch entsprechend qualifiziertes Lehrpersonal – also Experten mit Leistungssporterfahrung – eingekauft werden. Es darf nicht sein, dass zu oft nicht ausreichend qualifiziertes Lehrpersonal veraltetes Wissen an die Lernenden vermittelt.

Die in den vergangenen Jahren spürbaren Fortschritte der Aus- und Fortbildung an der Trainerakademie als unserem nationalen Kompetenzzentrum müssen ständig weiterentwickelt und stets auf den international modernsten Standard gebracht werden. Die Trainerakademie sollte es sich zur Aufgabe machen, moderne, exklusive Angebote in Seminaren für die Trainerfortbildung der Besten zu organisieren. Mit drei bis vier Wochenenden oder zwei bis drei Wochen im Jahr wäre da schon eine ganze Menge zu machen.

Die Eliteschulen des Sports

> Eine weitere Qualitätsentwicklung in der Arbeit der Eliteschulen des Sports, wie sie Thomas Bach – Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) – schon 2006 bei einer Konferenz der Eliteschulen in Stuttgart forderte, ist überfällig: „Die weißen Flecken im Land müssen besonders in den alten Bundesländern verschwinden und die Marschrichtung muss eindeutig lauten Qualität vor Quantität.“ Die Umsetzung dieser Forderungen ist zwingend, dabei sollten sich die Schulen auf die Qualität der sportlichen Ausbildung konzentrieren. Kein Mensch käme auf die Idee, dass an einer Musikschule nur Theorie und keine Ausbildung an Instrumenten stattfindet.

In der Mehrzahl der Eliteschulen des Sports – besonders in den alten Bundesländern – steht die sportliche Ausbildung bisher nicht im Zentrum der Aufgaben.
Um dabei die materiellen Möglichkeiten der einzelnen Bundesländer nicht zu überfordern,  könnte man sich zunächst in jedem Bundesland eine Beispielschule mit Vorbildcharakter vorstellen, die echten Leistungssportansprüchen genügt. Dort sollten Elite-Nachwuchsathleten ein Jugend-Aufbautraining mit zehn bis zwölf Trainingseinheiten pro Woche absolvieren, wie es in im Sport führenden Ländern längst praktiziert wird.

DOSB, Landesregierungen, Landessportbünde, Olympiastützpunkte, Sportverbände und Vereine sollten solche Vorbild-Einrichtungen gemeinsam mit Sponsoren schaffen. Mit einem Scouting-System sollten hochbegabte Talente gefunden werden. Gleichzeitig sollten diejenigen, die den Ansprüchen der Eliteschulen genügen, ihre Ausbildungsstätte überregional nach einer entsprechenden Aufnahmeprüfung selbst wählen können. Dies ist im Sport bisher nicht Praxis.

Die Ausbildungsschwerpunkte und die Talentauswahl dafür sollten vom vorhandenen Ausbildungspersonal (Sportlehrer/Trainer auch des Vereins) bestimmt werden. Für die Leichtathletik wäre es sinnvoll darüber nachzudenken, ob Schwerpunktschulen für einzelne Disziplinbereiche effektiver für die Ausbildung sind als Schulen, die alle Disziplinen anbieten. Solche Konzentrationen sind derzeit bereits in den Skigymnasien üblich.

Die Eliteschulen des Sports müssen zu Ganztags-Spezialschulen für sportlich Hochbegabte weiterentwickelt werden, in denen Talentsuche, Lernen, Trainieren und Wohnen mit Internats- und Tagesbetreuung vereint werden. So ist eine gymnasiale Bildung junger, begabter und motivierter Sportler mit einer auf internationale Höchstleistungen ausgerichteten sportlichen Ausbildung zu verbinden. Ziel muss sein, den Befähigten den Weg in die Weltspitze zu ebnen.

Dies erfordert eine Einheit aus Schule und sportlicher Ausbildung auf höchstem fachlichem Niveau. Die tägliche Doppelsportstunde am Vormittag zur Sicherung eines täglich zweimaligen Trainings ist ein dringendes Erfordernis. In der Doppelstunde am Vormittag sollte sportartenübergreifendes Grundlagen- und Aufbautraining im Mittelpunkt stehen. Am Nachmittag wird dann sportartspezifisch im angebundenen Verein bei Spezialtrainern trainiert. Mit diesem Modell für qualitativ hochwertiges Nachwuchstraining gelingt es anderen Ländern, bereits 19- bis 21-Jährige in die Weltspitze zu führen – auch in den Laufdisziplinen.

Die Landesverbände

> Talentsuche, Qualifizierung der Heimtrainer, Praxisarbeit in Landesleistungszentren mit den Talenten in Zusammenarbeit mit den Heimtrainern und die Übermittlung von Hochbegabten an die Eliteschulen des Sports – das sind die Kernaufgaben der hauptamtlich bei den Landesverbänden angestellten Trainer. Um sie erfüllen zu können, muss auch der Status der Trainer in den Landesverbänden verbessert werden. Von ihrer weiteren Qualifizierung hängt es ab, wie die jeweiligen Landesverbände ihre leistungssportorientierten Nachwuchsaufgaben erfüllen können.

Zunächst sollte aber von allen Landesverbänden geklärt werden, ob sie überhaupt bereit sind, die volle Verantwortung für die Entwicklung des Nachwuchsleistungssports in ihrem Bereich zu übernehmen. Derzeit macht der unterschiedliche Ausbildungsstand der Talente, die dem DLV von den Landesverbänden für die C-Kader angeboten werden, deutlich, dass die Förderung des Nachwuchsleistungssports noch nicht überall als Hauptaufgabe angesehen wird. Hier liegt wohl die größte Leistungsreserve der deutschen Leichtathletik im nächsten Jahrzehnt.

Die Olympiastützpunkte

> Eine wichtige weitere Leistungsreserve für den deutschen Spitzensport könnte sein, die Effektivität der Arbeit der mehr als 20 Olympiastützpunkte in Deutschland auf eine neue Qualitätsstufe zu heben. Künftig sollten auch in Deutschland die besten Athleten von den besten Trainern unter den für ein Hochleistungstraining erforderlichen besten Bedingungen trainieren. Dabei geht es wirklich nur um die Besten, und davon gibt es derzeit gar nicht so viele. Die Erfüllung dieses Prinzips sollte zentrale Aufgabe der Olympia­stützpunkte sein.

Dabei sollten sie mehr als bisher die Gesamtverantwortung für die Leistungsentwicklung einer Region übernehmen. Auch die Übertragung der Verantwortung für den sportlichen Ausbildungsbereich  an den Eliteschulen des Sports in der jeweiligen Region an die OSP durch den DOSB könnte eine schnellere Fortentwicklung bewirken. So werden Kräfte konzentriert, hauptamtliche Kapazitäten der Olympiastützpunkte besser genutzt und die Wirksamkeit des Trainings erhöht.

Die tägliche, gemeinsame und leistungsorientierte Trainingsarbeit von A-, B- und C-Kader-Athleten unter Nutzung der bestehenden Bedingungen an den Olympiastützpunkten dürfte in der Mehrzahl der leichtathletischen Disziplinen schnell die internationale Konkurrenzfähigkeit deutscher Athleten verbessern. Eine zeitweilige Konzentration des Trainings der Besten in Leistungszentren muss dabei nicht mit einem Wechsel der Vereinszugehörigkeit verbunden sein. <

Der Autor
Lothar Pöhlitz

Der Diplom-Sportlehrer für Leistungssport bringt Wissen und Erfahrung aus einer 41-jährigen hauptberuflichen Tätigkeit im Hochleistungssport mit. Der 73-Jährige hat Athleten aus allen olympischen Lauf- und Gehdisziplinen selbst trainiert. Acht Jahre lang hat er als Sportwissenschaftler und Trainingsmethodiker für den Leichtathletik-Verband der DDR gearbeitet.

Von 1980 an bis zu seiner Pensionierung war er 18 Jahre lang als Bundestrainer im DLV tätig. Die Trainer-Aus- und -Fortbildung gehört seit vielen Jahre zu seinen Aufgaben. Als Olympiatrainer war Lothar Pöhlitz 1984 in Los Angeles, 1988 in Seoul und 1996 in Atlanta für die deutschen Läufer zuständig.

Lothar Pöhlitz in leichtathletik – vom 11. MÄrz 2009 Nr. 10

author: GRR

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