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19
03
2016

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Flüchtlinge für Olympia – Yusra Mardini, Symbol der Hoffnung – Michael Reinsch, Berlin, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Möchte man so vorgestellt werden, wenn man gerade 18 Jahre alt ist und in einem fremden Land unter fremden Menschen lebt? „Das größte politische Thema, sechzig Millionen Menschen auf der Flucht, und das größte Event der Welt, die Olympischen Spiele – alles gespiegelt in einer 18 Jahre alten Sportlerin.“

Mag sein, dass Yusra Mardini die Ankündigung nicht hörte, als sie am Freitag in Berlin einen ziemlichen Medienauflauf verursachte. Im August vergangenen Jahres ist sie aus Damaskus geflohen, ihr Elternhaus liegt in Trümmern, über die Türkei und die Balkan-Route kam sie nach Deutschland.

Inzwischen setzt sie bei den Wasserfreunden Spandau das Schwimmtraining fort, das sie in Syrien bei ihrem Vater begann.
 
Weil sie talentiert ist, gilt sie als Kandidatin für das Olympia-Team aus Flüchtlingen, das Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), bei den Sommerspielen von Rio im August ins Rennen schicken will.

Zwar sind die Eltern inzwischen ebenfalls in Berlin eingetroffen, doch lebt Yusra im Vereinsheim der Wasserfreunde auf dem Olympiagelände von 1936. Dort besucht sie auch die Eliteschule des Sports – ein bisschen viel Symbolik auf einmal.
 
Doch die junge Frau geht fröhlich und gelassen damit um. „Ich will, dass alle Flüchtlinge stolz auf mich sein können“, erwidert sie auf die Frage nach dem Druck der Erwartung. „Und ich will zeigen: Selbst wenn wir es schwer haben, können wir Großes erreichen.“ Da zahlt sich schon die Förderung durch das IOC aus; am Donnerstag hat sie Medientraining bekommen.

Schließlich hatten so viele Interviewanfragen die Wasserfreunde Spandau erreicht, dass schließlich das IOC die Pressearbeit übernahm. 24 Kamerateams hatten um Akkreditierung für den Coubertin-Saal des Landessportbundes gebeten, in acht Reihen von jeweils elf Stühlen waren von Al Jazeera über CNN und BBC bis zum russischen Fernsehen Plätze reserviert – und viele, viele waren besetzt, als die Journalisten mit den Worten „Welcome, friends of sport“ begrüßt wurden. Sportfreunde international.

Die Geschichte ist aber auch zu faszinierend, um sie nicht wieder und wieder zu erzählen: Zwanzig Flüchtlinge im Schlauchboot zwischen Türkei und Griechenland, der Außenbordmotor fällt aus.

Während das Boot in den Wellen dümpelt, stellen seine Insassen voller Schrecken fest, dass die Luft, die es über Wasser hält, langsam entweicht. 17 von ihnen können nicht schwimmen. Drei Mädchen sind es, die sich in die Ägäis gleiten lassen und, stundenlang strampelnd, das Boot schieben, bis sie sicheres Ufer erreicht haben. „Es war schrecklich“, erzählt eines von ihnen, Yusra. „17 Leute, die nicht schwimmen konnten. Wir mussten sie retten.“

Viel reden muss Yusra gar nicht. Um zu zeigen, welch ein Symbol sie ist, wird erst einmal die Aufzeichnung von Thomas Bach vor den Vereinten Nationen in New York gezeigt, die Rede, in der er die Bildung einer olympischen Olympiamannschaft ankündigte.

„Dies wird ein Symbol sein der Hoffnung für alle Flüchtlinge in unserer Welt“, versprach der IOC-Präsident, „und wird die Welt besser aufmerksam auf die Größe dieser Krise machen.“ Bei den Sommerspielen von Rio de Janeiro im August sollen fünf bis zehn Athleten, die aus ihrer Heimat geflohen sind, im Zeichen der Olympischen Ringe einmarschieren. Staaten und Nationale Olympische Komitees waren aufgerufen, Top-Athleten zu finden, die auf der Flucht sind.

43 sind bisher gefunden, zwei von ihnen leben in Europa. Bach hatte bei der Konkretisierung der Pläne vor 14 Tagen die spezifischen Schwierigkeiten des Sports mit der Heimatlosigkeit genannt: „ohne Nationalmannschaft, ohne Nationalflagge, ohne Nationalhymne“ – als litten die Flüchtlinge ausgerechnet darunter. Doch vielleicht, könnte just dies ein Fortschritt sein in einer globalisierten Welt: ein Team ohne jeden Anflug von Nationalismus.

Obwohl sie noch mehr als zehn Sekunden von der Qualifikation für die Rennen über 200 Meter Freistil entfernt ist, passt gerade Yusra in das Olympische Dorf, das Bach vor den Vereinten Nationen als Global Village beschrieb, als Ort, an dem die olympischen Athleten der ganzen Welt ein Beispiel dafür gäben, zugleich im Wettstreit und in Frieden miteinander zu sein.

Die junge Syrerin würde sich freuen, die Schwimmer ihrer Heimat in Rio zu treffen. „Wir sind zusammen aufgewachsen“, sagte sie fröhlich. „Wir sind Freunde.“

Im Mittelpunkt zu stehen, für sich und andere zu sprechen ist für die hübsche Athletin nichts Neues. Auf dem Weg von Griechenland durch die Maisfelder der Balkan-Route fiel sie offenbar einer Gruppe von Journalisten auf.

Vom Verstecken im Getreide, von der endlosen Wanderung auf Bahngleisen und von der Festnahme in Ungarn gibt es großartige Fotos und Filmaufnahmen. „Warum lacht ihr?“, fragten die Polizisten. Was sie nicht ahnten, wusste Yusra Mardini längst: Sie hat nichts zu verlieren und viel zu gewinnen.

Michael Reinsch, Berlin, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonnabend, dem 19. März 2016

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