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27
12
2010

Das Laufen im Winter hat sogar den Vorteil, dass Läufer, die sonst streng nach Trainingsplänen und Belastungsvorgaben laufen, sich von allen Zwängen frei machen können

FIT(TER) DURCH DEN WINTER – Auch bei Frost und auf Schnee kann man gut laufen. Mit unserem neuen Laufkonzept für die kalte Jahreszeit halten Sie sogar Ihre Form – MARTIN GRÜNING in RUNNERS WORLD

By GRR 0

Ich liebe das Laufen im Winter:  klirrende Kälte, trockene Luft, hart gefrorener Boden. Das Schönste ist der obligatorische Lauf durch den ersten Schnee. Aber es soll ja noch immer Läufer und Läuferinnen geben, die sich im Winter schwertun mit dem Laufen. Dabei ist es leichter und auch gesünder, bei null Grad zu laufen als bei  30 Grad.

Natürlich braucht man geeignete Bekleidung, doch die zu bekommen ist heutzutage überhaupt kein Problem mehr. Der Leistungsfähigkeit ist das Laufen bei Kälte jedenfalls nicht abträglich – im Gegenteil: Im Winter können Sie sich sogar in Topform bringen. Nur für ambitionierte Läufer macht dies wenig Sinn, da die richtige Wettkampfsaison erst im April beginnt. Aber es spricht nichts dagegen, dass Fitness- und Freizeitläufer im Winter ebenso viel trainieren wie im Frühjahr, Sommer oder Herbst.

Natürlich gibt es Bedingungen, bei denen man lieber keinen Sport treiben sollte, und zwar wenn es draußen kälter ist als minus  15 Grad. In unseren Breiten kommt das aber ja nur höchst selten vor, und an solchen Tagen bleibt einem immer noch der Gang ins Fitness-Studio.

Das Laufen im Winter hat sogar den Vorteil, dass Läufer, die sonst streng nach Trainingsplänen und Belastungsvorgaben laufen, sich von allen Zwängen frei machen können. Einem Plan für den Sommer kann man ohnehin nicht folgen, da die Bodenbedingungen ein vorgegebenes Lauftempo meist gar nicht zulassen. Das subjektive Körpergefühl steht daher im Vordergrund.

 

WEG MIT DEN STARREN TRAININGSVORGABEN!

 

> Zu meiner Zeit als Leistungssportler hatte ich im Winter endlich mal den Mut, mich beim Training mehr auf die Signale meines Körpers als auf Trainingsvorgaben zu verlassen. Natürlich hatte ich einen Plan, der vorgab, wie viele Kilometer ich pro Woche laufen wollte (und sollte), aber hinsichtlich des Tempos konnte ich mir wegen der sehr unterschiedlichen Laufbedingungen keine Vorgaben machen und verließ mich ganz auf mein Gefühl.

Und dieses Laisser-faire tat der Form unglaublich gut. Es einfach mal laufen lassen. Fernab vermessener Strecken und der Laufbahn, wo sich im Frühjahr, Sommer und Herbst jeder Kilometer zählen lässt und wo auch an schlechten Tagen vorgegebene Trainingsprogramme darauf warteten, abgespult zu werden, entwickelte sich meine Leistungsfähigkeit besser. An Tagen, an denen ich mich nicht danach fühlte, eine eingeplante Belastung zu absolvieren, ließ ich es im Winter einfach bleiben.

Im Sommer kam es dagegen nie vor, dass ich ein Training ausfallen ließ. Heute bin ich sicher, dass es meiner Laufform gut getan hätte, das ganze Jahr über so auf meinen Körper zu hören wie im Winter und mich nicht in allzu starre Trainingskonzepte zu zwängen. Und genau das können auch Sie lernen. Machen Sie die Erfahrung, wie es ist, mit Rücksicht auf die Witterung zu improvisieren, und lernen Sie, mit dem Training und Trainings-plänen richtig umzugehen, denn nichts ist wertvoller als eigene Erfahrung.

GRUNDLAGENTRAINING MAL ANDERS

> Im Winter wird die Grundlage für die neue Saison gelegt. Daraus ziehen viele Läufer den Schluss, dass in dieser Jahreszeit der Schwerpunkt auf dem Trainingsumfang und nicht auf der Qualität der Trainingseinheiten liegen sollte. Und so werden viele Kilometer in langsamem Dauerlauftempo absolviert, aber kaum Tempoläufe und erst recht kein Bahntraining. Der Haken: Wenn man zu viele Kilometer läuft – egal wie langsam –, leidet die Regeneration. Und wenn man kaum oder gar nicht mit dem Tempo spielt, verliert man an Spritzigkeit und Kondition.

Es wird also höchste Zeit, über ein alternatives Wintertraining nachzudenken. Die beste Lösung ist ein – wie ich es nenne – „qualitatives Basistraining“. Damit verbessern Sie nicht nur Ihre Ausdauer, sondern auch die Schnelligkeit. Trotzdem finden Sie genügend Zeit zur Regeneration. Das gilt vor allem für Läufer, die im Frühjahr einen Marathon planen: Sie sollten auf keinen Fall im Winter schon „Kilometer fressen“. Das tun Sie in der wochenlangen Marathonvorbereitung genug. In der Zeit bis dahin ist es absolut sinnvoll, die Gesamtkilometerzahl pro Woche herunterzufahren und stattdessen intensive Trainingseinheiten beizubehalten oder ins Lauftraining zu integrieren.

Eine Reduzierung des Umfangs betrifft natürlich auch die Trainingshäufigkeit. Das heißt, ich laufe im Winter weniger oft pro Woche als im Sommer.  Auch Sie sollten sich im Winter einen zusätzlichen Ruhetag pro Woche genehmigen. Und legen Sie die Ruhetage so, dass sie auf ein belastenderes Training folgen.

ZWEI IDEALE WINTERTRAININGSEINHEITEN

> Ich erwähnte schon, wie angenehm es sein kann, die Zwanghaftigkeit des Trainings zu verringern: keine abgemessenen Strecken, keine Läufe auf der Laufbahn, weniger starre Trainingsvorgaben – aber dafür mehr Qualität. Die Frage ist nur: Wie bekommt man Qualität ins Wintertraining? Die Antwort: durch spielerische Tempobelastungen im hohen Tempobereich, bei denen man aber keinesfalls an die Grenzen geht (das lassen die Bodenverhältnisse ohnehin nicht zu) und wobei einem immer selbst überlassen bleibt, wie schnell man tatsächlich läuft.

Die klassische Variante für solch eine Trainingseinheit ist das sogenannte Fahrtspiel. Ich persönlich habe während meiner ambitionierten Laufjahre im Winter aber die folgenden beiden Programme bevorzugt:

1) QUALITÄTSKILOMETER

„Qualitätskilometer“ nannte ich eine Laufeinheit, die ich eines strengen Winters durch einen belgischen Freund kennenlernte. Der hatte wenig Zeit zum Laufen (lief aber ganz nebenbei 3:40 Minuten über 1500 Meter), wohnte zudem an der Küste, wo die Winter strenger waren als in meiner niederrheinischen Heimat, und war deshalb bemüht, besonders effektiv zu trainieren: Er wollte bei seinen Einheiten immer in möglichster kurzer Zeit den höchstmöglichen Trainingseffekt erzielen.

Resultat war, dass er einerseits so gut wie nie langsam, sondern fast immer schnell lief, aber andererseits darauf achten musste, sich bei den schnellen Laufeinheiten nicht zu übernehmen, denn am nächsten Tag stand ja wieder ein Training auf dem Programm. Alles in allem umfasste sein Qualitätstraining etwa vier Kilometer auf höchstem Tempo-Niveau. Das ist nicht wenig, aber auch nicht so viel, als dass es an die Substanz ginge.

QUALITÄTSKILOMETER – SO GEHT’S: Laufen Sie sich zehn Minuten langsam warm. Belasten Sie sich anschließend über eine Distanz von ungefähr 500 Metern in einem Tempo, das Ihnen etwas schneller erscheint als Ihr aktuelles 10-Kilometer-Wettkampftempo. Wenn Sie nie an Wettkämpfen teilnehmen, sollten Sie so schnell laufen, dass Sie leicht außer Atem kommen. Dann folgt eine etwa zweiminütige lockere Trabpause, gefolgt von einer schnellen Belastung über rund 1000 Meter (doppelte Distanz der ersten Belastung) im selben Tempo wie zuvor. Nach einer vierminütigen Trabpause folgt dann die nächste schnelle Belastung, diesmal über ungefähr anderthalb Kilometer (dreifache Distanz, wieder im gleichen Tempo) und schließlich noch ein weiterer schneller 500-Meter-Abschnitt. Anschließend zehn Minuten auslaufen.

2) PYRAMIDEN

Ich habe sie Anfang der Achtzigerjahre in Kassel kennengelernt und mich sofort in sie verliebt: Die Pyramide war mein Favorit, und ich nutzte sie mindestens einmal, manchmal zweimal pro Woche, um im Winter Gas zu geben. Bei der Pyramide bauen sich Tempobelastungen minutenweise auf und wieder ab, vom kurzen zum langen und dann wieder zum kurzen Intervall.  

Die Pyramide ist eine Art Fahrtspiel nach Plan, wenn man so will. Das Tempo ist über alle Belastungen nahezu gleich hoch. Wichtig ist deshalb: Laufen Sie nicht zu schnell, sonst machen Sie vor Ende der Einheit schlapp. Während meiner Examenszeit im Winter 1991 lief ich fast jeden Tag eine Pyramide. Ich hatte nicht viel Zeit zum Laufen, suchte Ablenkung vom Lernen, musste mich austoben und wollte vor allem meine Form nicht verlieren. Es hat funktioniert: Ich schaffte mein Examen und bekam dennoch eine sehr brauchbare Laufsaison hin.

DIE PYRAMIDE – SO GEHT’S: Laufen Sie einmal pro Woche nach zehnminütigem Warmlaufen Intervalle mit einer Dauer von 1, 3, 5, 7, 4 und 2 Minuten. Auf jeden schnellen Abschnitt folgen zwei Minuten Trabpause. Das bedeutet: eine Minute schnell, zwei Minuten langsam, drei Minuten schnell, zwei Minuten langsam, fünf Minuten schnell, zwei Minuten langsam, sieben Minuten schnell, zwei Minuten langsam, vier Minuten schnell, zwei Minuten langsam, zwei Minuten schnell und schließlich zehn Minuten langsames Auslaufen.

Das Tempo der Belastungen sollte wiederum etwas schneller sein als Ihr 10-Kilometer-Wettkampftempo. Bei dieser Trainingseinheit tun Sie einiges für Schnelligkeit und Tempoausdauer, und Sie benötigen insgesamt nur 50 Minuten. Pyramiden müssen aber nicht so aussehen, alle erdenklichen Varianten sind möglich. Weniger ambitionierte Läufer etwa sparen sich das 7-Minuten-Intervall. Ich selbst bevorzugte eine 3-6-
9-6-3-Minuten-Pyramide mit ein- bis dreiminütigen Trabpausen. Diese Variante haben wir uns vom hollän-dischen Marathonläufer Gerard Nijboer abgeschaut, der 1980 Olympiazweiter wurde und eine Bestzeit von 2:09:01 Stunden hatte, was uns ein Ansporn war.

DIESEN WINTER ENDLICH NEUES WAGEN

> Sie können also auch im Winter in Form kommen oder bleiben – das gilt für Läufer aller Leistungsgruppen. Wagen Sie es einfach mal, die Umfänge zu reduzieren, aber mit den vorschlagenen Einheiten die Trainingsqualität aufrechtzuerhalten. Glauben Sie mir: Das sind machbare Programme, auch bei niedrigen Temperaturen.

Wichtig ist: Passen Sie bei allen Tempobelastungen die Laufgeschwindigkeit dem Wetter und der Bodenbeschaffenheit an. Ich habe daher bewusst keine Tempovorgaben gemacht. Wie schnell Sie die Intervalle laufen, bestimmen Sie Tag für Tag aufs Neue. Richten Sie sich dabei ganz nach Ihrem subjektiven Gefühl und den Bodenverhältnissen.

Fazit: Auch bei Schnee und kalter Witterung sind hohe Belastungen möglich – und das Beste: Um die gleiche Intensität zu erreichen, brauchen Sie nicht so schnell zu laufen wie auf trockenem Boden.

Wenn es dunkel wird … … und Sie Bedenken haben, auf Park- oder Waldwegen über Stock und Stein zu stolpern, dann helfen diese Tipps

1. Laufen Sie vorzugsweise auf beleuchteten Bürgersteigen und nutzen Sie auch Straßen, auf denen Sie im Sommer nie laufen, die aber windgeschützter sind oder einen besseren Untergrund bieten. Aber achten Sie auf vereiste Hauseinfahrten!

2. Haben Sie wirklich keine Möglichkeit, tagsüber zu laufen – zum Beispiel während der Mittagspause, wenn es noch hell ist? Vielleicht können Sie wenigstens  einmal pro Woche eine Stunde dafür in Ihrem Terminplan reservieren. Vielleicht gibt es an Ihrem Arbeitsplatz ja sogar eine Dusche.

3. Gehen Sie einmal wöchentlich aufs Laufband im Fitness-Studio. Wenn Sie kein Mitglied sind, fragen Sie zumindest nach einer Probezeit, in der Sie zunächst testen, ob Ihnen das liegt. Wer ambitioniert läuft, sollte darüber nachdenken, sich ein solches Gerät anzuschaffen.

4. Tragen Sie Laufbekleidung mit Reflektoren, damit Sie von Rad- und Autofahrern besser gesehen werden. Zwar haben fast alle Laufschuhe reflektierende Elemente, aber spezielle Kleidung sorgt für mehr Sicherheit.

5. Laufen Sie auf Straßen ohne Bürgersteig immer gegen den Verkehr, damit Sie von entgegenkommenden Autos gesehen werden und selbst reagieren können.

Wenn es kalt wird … … und Schnee vom Himmel fällt, dann helfen diese Tipps

1. Laufen Sie sich im Hausflur oder auf der Stelle einige Minuten lang warm,  bevor Sie raus in die Kälte gehen.

2. Anfänger neigen dazu, sich zu warm anzuziehen. Funktionsunterwäsche hält die Haut warm. Kombinieren Sie diese mit -leece-Oberteilen, speziellen Winteroberteilen und bei Regen oder Wind mit einer Laufweste oder -jacke.

3. Handschuhe und Mütze sind die wichtigsten Bestandteile eines sinnvollen Winteroutfits, denn über den Kopf wird die meiste Wärme abgegeben und für die Hände gilt: Sind sie warm, ist der ganze Körper warm.

4. Bei Temperaturen unter minus 15 Grad ist eventuell ein Mundschutz zu empfehlen, der die Atemluft vorwärmt, aber bei solchen Temperaturen müssen Freizeitläufer wirklich nicht laufen.

5. Bei Schnee kann das Laufen ein wahres Vergnügen sein. Lediglich bei gefrierendem Regen oder gefrorenem Schneematsch ist das Sturzrisiko zu groß. Bleiben Sie zu Hause!

MARTIN GRÜNING in RUNNERS WORLD – Dezember 2010

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author: GRR

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