In der Sportmedizin: Ministerin Cornelia Rundt, Dr. Andreas Meusch, Fabian, Professor Christian Kratz ©MHH/Bandel
Fit für die Zukunft – mit individuellem Sportprogramm für krebskranke Kinder – Medizinische Hochschule Hannover (MHH)
Die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) bietet krebskranken Kindern und Jugendlichen eine deutschlandweit einmalige Sporttherapie: Sie beginnt schon während der stationären Krebsbehandlung und soll dafür Sorge tragen, dass die jungen Patienten in ihrer körperlichen Entwicklung und Leistungsfähigkeit möglichst wenig beeinträchtigt werden.
Der Verein für krebskranke Kinder Hannover hat das Projekt mit der Finanzierung einer Stelle erst ermöglicht. Als erste gesetzliche Krankenkasse übernimmt nun die Techniker Krankenkasse (TK) für ihre Versicherten die Kosten der Therapie.
Die niedersächsische Sozial- und Gesundheitsministerin Cornelia Rundt lobt das Projekt: „Ein innovatives Behandlungskonzept – in Niedersachsen entwickelt, mitfinanziert von einem Elternverein – wird nun von der ersten Krankenkasse getragen. Ich hoffe, weitere Kassen werden folgen.“
Und die Ministerin ergänzt: „Bewegung ist gesund, das gilt auch für krebskranke Kinder. Durch passgenaue Angebote wird die sportliche Aktivität gezielt auf den körperlichen und seelischen Zustand jedes einzelnen Kindes abgestimmt.“
Krebsbehandlung oft über mehrere Jahre
Jedes Jahr erkranken allein in Deutschland 1.800 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren neu an Krebs, Leukämien sind die häufigsten Diagnosen. „Die Therapien werden immer besser und die Lebenserwartung erhöht sich“, sagt Professor Dr. Christian Kratz, Direktor der MHH-Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie. Bei einer Leukämie dauert eine komplette Therapie zwei Jahre, davon müssen die jungen Patienten bis zu einem halben Jahr stationär in der Klinik verbringen. „Unsere Kinder liegen oft für Monate im Bett, zu schwach, um auf Toilette zu gehen“, betont der Onkologe. „Ihre komplette Entwicklung liegt brach. Dieses neue Angebot ist eine riesige Ablenkung von der Krankheit und tut nicht nur der körperlichen Entwicklung gut, sondern auch der seelischen.“
Sporttherapie bringt Vertrauen in den Körper zurück
Das MHH-Institut für Sportmedizin hat mit der Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie dieses Konzept entwickelt und seit Oktober 2012 getestet. „Wir passen die Trainingsform individuell an“, betont Professor Dr. Uwe Tegtbur. „Die Belastung wird so gewählt, dass wir das Immunsystem positiv beeinflussen“, erläutert der Direktor des Instituts für Sportmedizin. „Wir wollen das Selbstbewusstsein der Kinder oder Jugendlichen stärken und ihnen das Vertrauen in ihren Körper zurückbringen.“
Die körperliche Entwicklung und Leistungsfähigkeit krebskranker Kinder und Jugendlicher liegt in vielen Fällen um 50 Prozent unter der von Altersgenossen. Gerade in der Pubertät ist der Körper aber besonders anpassungsfähig. „Mit unserem Bewegungskonzept wollen wir diese Chance nutzen, um die Entwicklungsverzögerung der jungen Patienten schon während der stationären Phase, aber auch danach, aufzuholen“, sagt Professor Tegtbur.
Eltern werden mit einbezogen
Das Konzept besteht aus drei Modulen: Sporttherapie, Sport- und Verhaltensschulung sowie einer Erstuntersuchung und Routinenachkontrolle. Die Sporttherapie – ein individuell abgestimmtes Trainingsprogramm – besteht aus Übungen zu Kraft, Ausdauer, Koordination und Stabilisation. Die Übungen finden entweder im oder am Bett des Patienten oder in Trainingsräumen des Instituts für Sportmedizin statt.
Die Sport- und Verhaltensschulung schult die betroffenen Kinder und ihre Eltern, um die praktisch erlernten trainingstherapeutischen Maßnahmen auch dauerhaft zu Hause umsetzen zu können. Die Schulungen decken die Themen alters- und entwicklungsgerechte Aktivitäten, Aktivitäten und Training in der Schule und am Heimatort, aber auch Muskelwachstum, Ernährung, Motivationstraining, Selbstbehauptung und Persönlichkeitsentwicklung ab.
Techniker Krankenkasse geht mit MHH neue Wege – Investition in die Zukunft
Als erste gesetzliche Krankenkasse übernimmt die Techniker Krankenkasse (TK) für ihre Versicherten im Alter vom 3. bis zum vollendeten 17. Lebensjahr die Kosten. „Wir wollen den schwerkranken Kindern eine annähernd normale Kindheit ermöglichen und einen guten Start ins Berufsleben. Dafür sind wir auch gerne bereit, mit der MHH neue Wege zu gehen. Unser Ziel ist es, dass die Patienten durch die neue Therapie mindestens 80 Prozent der altersgemäßen Leistungen bei der Herz- und Lungenfunktion, Muskelkraft und Koordinationsfähigkeit erreichen – zurzeit sind es geschätzt 60 Prozent“, sagt Andreas Meusch, Leiter der Landesvertretungen der TK. Das Pilotprojekt wird wissenschaftlich evaluiert und die Sporttherapie laufend den Erfordernissen angepasst.
Kinder und Jugendliche nehmen freiwillig teil
Den Start des Projektes im Oktober 2012 hat der Verein für krebskranke Kinder Hannover ermöglicht, der seither die Stelle des Sportwissenschaftlers Torge-Christian Wittke finanziert. Die Professoren Kratz und Tegtbur sind sich einig, dass dieser Elternverein ein echter Glücksfall ist. Wittke, Sozialpsychologe und ehemaliger Leistungssportler, konnte seither etwa 40 Kinder und Jugendliche betreuen. „Jedes Angebot, dass ich den jungen Patienten mache, ist freiwillig – niemand muss an dem Programm teilnehmen“, betont er. „Der Sport ist hierbei nur Mittel zum Zweck: Er lässt die Krankheit für eine kurze Zeit in den Hintergrund treten und hilft, wieder zu einer Alltagsbeweglichkeit zu finden.“
Der 17-jährige Fabian erinnert sich noch gut daran, als Torge-Christian Wittke im Dezember 2012 zum ersten Mal vor seinem Bett in der Kinderklinik stand. „Als ich Torge das erste mal sah und er sich vorstellte, habe ich mich gefreut, dass ich endlich mal wieder körperlich gefordert werde“, sagt Fabian.
Noch heute kommt er alle zwei Wochen zur Nachsorgetherapie in die onkologische Ambulanz – inklusive Sporttermin – und zusätzlich jede Woche zur Sportgruppe. Fabian rudert gern oder nutzt das Fahrradergometer.