Anschließend erlosch die olympische Flamme in Peking langsam. Doch sie spielt in diesem Land eine derart große Rolle, dass sie sofort wieder im Innenraum des Stadions neu aufgebaut werden muss.
Finale Zeremonie – Spektakel bis zum Schluss – Peking übergibt die Spiele mit einer perfekten, aber sterilen Feier an London. Wie bei der Eröffnung trommelten 200 Darsteller, explodierten Raketen. „Es waren wahrhaft außergewöhnliche Spiele\“, sagte IOC-Präsident Jacques Rogge doppeldeutig.
Als alles vorbei war, hüpften viele Zuschauer über die Absperrung in den Innenraum. Kein chinesisches Sicherheitspersonal hinderte sie daran, viele Beamte waren verschwunden oder ließen sich ebenfalls mit den Besuchern oder Athleten fotografieren. Jeder knipste jeden, verschenkte olympische Anstecknadeln oder tanzte zu den olympischen Liedern wie „Peking liebt dich“, die in den Stadien in den letzten 16 Tagen unaufhörlich gespielt worden sind.
Zwei Helfer spielten mit einer leeren Plastikflasche Fußball. Schließlich erwies sich das Podium in der Stadionmitte als beliebtester Platz für ein Erinnerungsfoto. Hunderte chinesische Zuschauer standen darauf herum. So entspannt und fröhlich hätten die Spiele sein können.
Es ging darum, die Errungenschaften Chinas zu preisen
Aber die Olympischen Spiele 2008, die gestern Abend mit einer spektakulären Schlussfeier zu Ende gegangen sind, waren eine ernsthafte Angelegenheit. Es ging darum, die Errungenschaften Chinas zu preisen und den Aufstieg des Landes zu den Weltmächten zu festigen. Und so sind es perfekt organisierte Spiele in architektonisch spektakulären Sportstätten geworden – und stimmungslose. Der Perfektionismus hatte sich schon in der Eröffnungsfeier geäußert. Ein Mädchen hatte nur zu Playback gesungen, einige Fernsehbilder waren aufgezeichnet, die 56 Kinder, die angeblich aus den 56 ethnischen Minderheiten Chinas stammten, sind in Wirklichkeit Han-Chinesen gewesen. Und so stellte sich für die Schlussfeier die Frage: Kann man diesmal alles glauben?
Auf jeden Fall waren die Raketen echt, die Zahlen in den Himmel malten und den Beginn der Schlussfeier ankündigten: Sieben, sechs, fünf…“ Ähnlich hatte auch die Eröffnungsfeier begonnen. Auch diesmal trommelten 200 Darsteller, explodierten weitere Raketen. „Harmonie, Freundschaft und Freude“ sollte diese Schlussfeier ausdrücken. Zwei himmlische Trommeln schwebten über dem Innenraum, anschließend tanzten 1148 Tänzer mit Silberklingeln. Dann kamen die Athleten.
Es war den Sportlern anzumerken, dass Druck, Anspannung, aber auch Erfolge und Niederlagen hinter ihnen lagen. Hüpfend, tanzend, lachend oder auch emotionslos liefen sie in das Stadion ein. Ein Kanadier hüllte sein Gesicht in die Nationalfahne, ein Portugiese küsste seine Silbermedaille. Viele Athleten strahlten eine Fröhlichkeit aus, die man diesen Spielen noch öfters gewünscht hätte. Liu Qi, Präsident des Pekinger Olympia-Organisationskomitees, sagte in seiner Schlussrede: „Die Olympischen Spiele von Peking sind ein Zeugnis dafür, dass die Welt Vertrauen in China hat.“
Rogge: „Die Welt hat mehr über China gelernt, und China mehr über die Welt.“
Vor allem aber das Internationale Olympische Komitee hatte China vertraut. Deren Präsident Jacques Rogge wiederholte in seinem Statement das Resümee, das er schon mittags in einer Pressekonferenz geäußert hatte. „Die Welt hat mehr über China gelernt, und China mehr über die Welt.“ Mittags hatte er allerdings noch Fragen nach zwei 77 und 79 Jahre alten Frauen beantworten müssen, die zu Umerziehung durch Arbeit verurteilt worden sind. Ihr Vergehen: Die Chinesinnen hatten einen Protest angemeldet in einer der dafür vorgesehenen Zonen, die für die Olympischen Spiele eingerichtet worden sind. „Wir fanden es ungewöhnlich, dass keine Proteste stattgefunden haben“, sagte Rogge. Abends hingegen im Nationalstadion lobte er die Gastgeber, allerdings durchaus doppeldeutig: „Es waren wahrhaft außergewöhnliche Spiele.“
Nach der Übergabe der Olympischen Fahne an den Gastgeber der nächsten Sommerspiele, den Londoner Bürgermeister Boris Johnson, fuhren die Londoner mit einem für die Stadt typischen roten Doppelstockbus in das Stadion ein.
Der Bus entpuppte sich als eine Bühne, aus der zunächst die Sängerin Leona Lewis auf einer Plattform in die Höhe fuhr, anschließend der Gitarrist Jimmy Page. Sie spielten den Led-Zeppelin-Klassiker: „Whole Lotta Love.“ Das Stadion rockte erstmals, der Londoner Auftritt bedeutete auch musikalisch eine Zäsur. Als schließlich auch noch der Fußballstar David Beckham auf die Bühne fuhr, jubelte das Publikum. Beckham kickte einen Fußball unter die Athleten – und fuhr anschließend mit dem Bus aus dem Stadion.
Unerwähnt blieben die Demonstrationen
Anschließend erlosch die olympische Flamme in Peking langsam. Doch sie spielt in diesem Land eine derart große Rolle, dass sie sofort wieder im Innenraum des Stadions neu aufgebaut werden muss. Auf dem „Erinnerungsturm“ bilden 396 Darsteller mit ihren Körpern jene Flamme nach, die in China nur „Heilige Flamme“ heißt. Unerwähnt blieb natürlich, dass in London, Paris und San Francisco viele Menschen gegen die Fackel demonstriert hatten.
Am Ende seilten sich leuchtende Menschen von der Stadiondecke herab und schwebten wie blinkende Fledermäuse im Stadion. Schließlich schossen über dem Tiananmenplatz weitere Feuerwerksraketen in den Himmel – dann waren die umstrittensten Olympischen Spiele seit dem Kalten Krieg zu Ende.
Benedikt Voigt, Peking, im Tagesspiegel, Montag, dem 25. August 2008