Blog
08
08
2012

Robert Harting will seinen Diskus vergolden. Seine Psyche könnte zum Problem werden – auch weil Olympia im Jahr 2012 stattfindet.

Finale im Diskuswurf – Robert Harting: Das Alpha-Sensibelchen – Frank Bachner im Tagesspiegel

By GRR 0

Robert Harting hat die Augen verengt, nicht zu Schlitzen, aber doch so, dass der Blick ziemlich streng wirkt. Wenn einer 2,01 Meter groß ist, mehr als 100 Kilogramm wiegt und mit einer schnellen Bewegung sein Trikot zerreißt, um einen Triumph zu feiern, wenn so einer dann also so blickt, dann weiß man, dass es jetzt ernst wird. Vor allem für die Leute, die er als Rivalen betrachtet. „Meine Gegner“, sagt Harting, „prallen an mir ab.“ Das Alphamännchen hat gesprochen.

Piotr Malachowski dürfte so eine Botschaft hinnehmen wie eine Fliege, die sich auf seinen Kopf setzt. Er ignoriert sie. Er ist selbst ein Hüne, er sieht manchmal noch furchterregender aus als Harting, er wirft den Diskus genauso weit wie der Deutsche.

Vielleicht reibt er aber auch Harting, lässig, nur so im Vorbeigehen, eine Zahl unter die Nase, unmittelbar, bevor sie heute (20.45, ZDF) um Gold im Diskuswerfen kämpfen. „2012“, sagt er vielleicht, das dürfte reichen. 2012 ist eine gerade Zahl, und die Kombination Malachowski und gerade Zahl verwandelt das Alphatier Harting ganz schnell in einen sensiblen Athleten. „Es gibt ein Problem, das immer vergessen wird“, hat Harting nämlich auch mal gesagt. „Europameister Malachowski lag bisher immer in den geraden Jahren vorn. Ich hoffe, dass ich mich 2012 von diesem Trauma befreien kann.“

Am Montag arbeitete der 27-Jährige schon mal daran. In der Qualifikation warf Harting den Diskus gleich im ersten Versuch auf 66,22 Mete. Das war sportlich ein Zeichen. Aber die Aufregung, die zeigt diese Weite nicht. „Ich bin nervös, bei mir ist alles voll mit Adrenalin, locker habe ich das bestimmt nicht geworfen“, sagte er nach der Qualifikation.

Malachowski steht ja nur exemplarisch, es gibt noch diverse Athleten mehr, die Harting heute besiegen können. Alle spielen den starken Mann, das gehört zum Verständnis von Diskuswerfern. Aber wenige sind so empfindlich wie Harting, der Muskelprotz, der wunderbar malen kann und begeistert über Architektur redet.

Harting arbeitet sich an einigen Themen ab. Eines war die 70-Meter-Marke. Für Diskuswerfer ist es eine symbolisch überhöhte Grenze, wie die zwei Meter bei den Hochspringerinnen. Formal bedeuten 70 Meter nur eine Weltklasseweite, aber bei den starken Männern im Ring ist die Zahl wie ein Eintritt in einen exklusiven Klub. Harting litt wie ein Hund darunter, dass er jahrelang diese Weite nicht erreicht hatte. Selbst als er schon Weltmeister war, nach seinem Triumph bei der WM 2009, sagte sein Trainer Werner Goldmann seufzend: „Er reibt sich auf wegen dieser Weite. Sie beschäftigt und belastet ihn.“

 
Harting zog sogar in Betracht, die Olympia-Saison abzubrechen

Deshalb war für das Selbstbewusstsein des Robert Harting ein kleines Sportfest von so großer Bedeutung. Bei den Werfertagen von Halle an der Saale schleuderte er im Mai die Scheibe 70,33 Meter weit. Ein Befreiungsschlag. Harting lief danach mit einem Tablett von Fan zu Fan. „Wenn ich diese verdammte Marke knacke“, hatte er mal versprochen, „verteile ich 70 Apfelkuchen unter den Zuschauern.“

Aber dieser eine Wurf genügte nicht, er hatte immer noch den Anstrich von Ausnahme, Harting benötigte eine Bestätigung, für sich und für die Gegner. Drei Tage später warf er in Turnov, Tschechien, sogar 70,66 Meter. Willkommen im Klub.

Danach wurde er Europameister, er könnte wieder demonstrativ mit dem Selbstbewusstsein eines Alphamännchens auftreten. Aber das geht nur bedingt nach dieser anderen Vorgeschichte.

Ende Januar hockte Harting im Kraftraum, nicht fähig, eine Hantelstange ohne Gewichte zu stemmen. Robert Harting überlegte, ob er die Saison nicht abbrechen sollte. Die Olympia-Saison, die Saison, auf die er alles ausgerichtet hat. Er hatte sich im Oktober 2011 seine entzündete Patellasehne operieren lassen, danach sollte er erstmal mit Krücken durch den Alltag humpeln. Aber Harting, der Ehrgeizige, ließ nach zehn Tagen die Krücken stehen. Er humpelte ohne Gehhilfe, das hat sich gerächt. „Es war, als wenn man die Hand auf eine heiße Herdplatte leg und sie einfach nicht zurückzieht“, sagt Harting. Nur eine Flut von Pillen reduzierte die Schmerzen.

Niemand kann einschätzen, wie groß die Schmerzen heute sind. „Ich habe kein einziges Körperteil mehr gespürt, als ich in den Ring gegangen bin“, sagte Harting schon nach der Qualifikation. Aber klar ist, dass die psychische Belastung enorm ist. Robert Harting ist zweimaliger Weltmeister, er ist Europameister, er hat seine Bestleistung auf 70,66 Meter gesteigert. Doch er hat den Druck, dass seine Titel wenig zählen gegenüber diesem einen, ultimativen Sieg: Harting ist noch nicht Olympiasieger.

Er will es heute werden. Mit schönen Grüßen an Piotr Malachowski.

Im Mai befreite Harting sich selbst von einer Last. Er warf über 70 Meter weit

 

Frank Bachner im Tagesspiegel, Dienstag, dem 7. August 2012

author: GRR

Comment
0

Leave a reply