Blog
20
03
2008

Eine „Reise der Harmonie“ – so nennt China den Weg des olympischen Feuers. Doch er wird von Protesten gesäumt sein. Welche Bedeutung hat der Fackellauf angesichts der Lage in Tibet?

Fackel im Sturm – Benedikt Voigt, Peking und SPORTLER ERINNERN SICH AN DEN OLYMPIA-BOYKOTT 1980 – Ganz ohne Erfolg – Friedhard Teuffel im Tagesspiegel

By GRR 0

Das hatten sich die chinesischen Organisatoren schön ausgedacht: Der olympische Fackellauf, der am Montag im griechischen Olympia beginnt, sollte für neue Rekorde sorgen – die weiteste Strecke (130 000 Kilometer), die längste Dauer (130 Tage), die meisten Beteiligten (21 880 Läufer). Anfang Mai soll die Flamme sogar den Mount Everest erreichen. Doch seit den gewaltsamen Auseinandersetzungen in Tibet zeichnet sich ein ganz anderer Rekord ab: Die meisten Protestveranstaltungen.

Gestern demonstrierten bereits 400 Tibeter und Sympathisanten vor dem Sitz des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Lausanne. Viele Tibeter empfinden die geplante Route des Fackellaufs durch Tibet als Provokation. „Wenn das IOC nicht will, dass das olympische Feuer zu einem Symbol für Blutvergießen und Unterdrückung wird, muss es sofort alle tibetischen Provinzen aus der Route nehmen“, heißt es beim Internationalen Netzwerk zur Unterstützung Tibets.

Doch sowohl das IOC als auch das Pekinger Olympia-Komitee (Bocog) halten an ihren Planungen fest. Während einer Pressekonferenz in Peking, bei der nur fünf Fragen gestellt werden durften, sagte Bocog-Vizepräsident Jiang Xiaoyu: „Wir glauben fest daran, dass die Regierung der autonomen Region Tibet in der Lage ist, den Frieden und Stabilität in Lhasa und Tibet zu garantieren.“ Andererseits könne die Route geändert werden, falls es zu Zwischenfällen kommen sollte, sagte er.

Insgesamt wird die Route des Fackellaufs an zwölf Tagen durch chinesische Orte führen, in die ausländische Journalisten zurzeit nicht reisen dürfen – offiziell wegen „Sicherheitsbedenken“. Für die Läufer und das Begleitteam des Fackellaufs sieht das Organisationskomitee im Moment dagegen keine Gefahr.

Tibet, das 1950 von China besetzt worden ist, spielt beim diesjährigen Fackellauf sogar eine besondere Rolle. Nach der Ankunft am 4. Mai in Sanya auf der südchinesischen Ferieninsel Hainan wird die Flamme geteilt. Eine Flamme setzt ihren Weg durch China fort, eine zweite wird in ein Basislager am Mount Everest gebracht und wartet dort auf günstiges Wetter für die medienwirksame Besteigung des höchsten Berges der Welt. Die Organisatoren haben ab sofort bis zum 10. Mai für die tibetische als auch nepalesische Seite des Mount Everest ein Aufstiegsverbot durchgesetzt, damit die Flamme von Protesten ungestört den Gipfel erreichen kann. Anschließend wird diese Flamme nach Lhasa gebracht und verweilt dort bis zum 20. Juni. Dann erst soll sie mit der zweiten Flamme wiedervereint werden.

Da die chinesischen Behörden mit aller Härte gegen Demonstranten und Dissidenten vorgehen, sind Proteste gegen Chinas Politik und die Olympischen Spiele vor allem auf den Etappen außerhalb Chinas zu erwarten. San Francisco bereitet sich bereits auf große Demonstrationen vor, die Stadtverwaltung traf sich am Dienstag zu einem Sicherheitsmeeting. „Wir haben gehört, dass zuletzt ein paar Organisationen oder Personen angekündigt haben, dass sie Protestaktionen außerhalb Chinas planen, um den Fackellauf zu stören“, sagte Bocog-Vizepräsident Jiang Xiaoyu in Peking, „wir sind der Meinung, dass diese Aktivitäten vollkommen der olympischen Charta, dem olympischen Geist und dem Slogan des Fackellaufs widersprechen, der lautet: Reise der Harmonie.“

Eine solche aber, das lässt sich schon heute vorhersagen, wird dieser Fackellauf auf keinen Fall werden.

Benedikt Voigt, Peking

SPORTLER ERINNERN SICH AN DEN OLYMPIA-BOYKOTT 1980 – Ganz ohne Erfolg

Das prägendste Jahr in der Sportkarriere von Cornelia Hanisch war das, in dem sie nicht mehr mitmachen durfte. 1980 hätte die Florettfechterin Olympiasiegerin werden können. 1979 war sie Weltmeisterin geworden – und 1981 schaffte sie das wieder. 1980 aber konnte sie nichts erreichen: Die Bundesrepublik boykottierte wie 42 andere Staaten die Olympischen Spiele in Moskau. Noch heute empfindet die 55-Jährige Wut, wenn sie über 1980 spricht. „Nicht wegen der verpassten Medaille“, sagt sie, „sondern wegen unserer Ohnmacht. Wir als Sportler waren das Bauernopfer.“

Alles auf ein Ziel auszurichten, und trotzdem nichts gewinnen, das könnte in diesem Jahr auch anderen Athleten passieren. Seitdem die Gewalt in Tibet eskaliert ist, wird auch über einen Boykott der Spiele im August in Peking diskutiert. Cornelia Hanisch hat dazu eine eindeutige Meinung: „Boykott ist keine Antwort, denn er bedeutet Abbruch der Beziehungen.“

Der Boykott von 1980 hat eine ganze Generation von Sportlern politisiert. Heute melden sie sich immer noch zu Wort, nicht nur als engagierte Bürger wie Cornelia Hanisch. Für manche war diese Zeit auch der Beginn einer sportpolitischen Karriere. Thomas Bach war damals Sprecher der deutschen Athleten. Heute ist er Vizepräsident des IOC, des Internationalen Olympischen Komitees. Seine Einstellung hat er im Laufe der Jahre nicht geändert. „Der Boykott wäre der falsche Weg, weil dadurch Gesprächsfäden abgeschnitten würden. Die Geschichte hat gezeigt, dass Boykotte nie zum Ziel führen.“

Gemeinsam mit ihm im Beirat der Aktiven engagierte sich damals der Reck-Weltmeister Eberhard Gienger. Heute sitzt er für die CDU im Bundestag. Die Ohnmacht des Sports hat er vor allem in einer bestimmten Situation gespürt: als der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt eine Delegation von Sportlern zu sich ins Kanzleramt eingeladen hatte. An einer Karte demonstrierte er ihnen, welche geopolitischen Folgen der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan haben würde. „Er hat uns einen Vortrag gehalten und am Ende gesagt, wir könnten ja nach Moskau fahren, aber wir müssten alles selbst zahlen“, erzählt Gienger. Auf diese Weise eingeschüchtert, habe er dann die Lust auf die Spiele verloren, sagt Gienger.

Cornelia Hanisch sah den Sport damals am Ende einer Kette: „Die Amerikaner machten Druck auf die Bundesregierung, die Bundesregierung gab den Druck dann an die Sportler weiter.“ Unter diesem Druck spaltete sich in Deutschland der Sport. Der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK), Willi Daume, hielt die Olympiateilnahme für eine Chance zur Verbesserung der deutschdeutschen Beziehungen. Willi Weyer,

Präsident des Deutschen Sportbundes, und Josef Neckermann, Vorsitzender der Sporthilfe, konnte Daume damit nicht überzeugen.

Die entscheidende Abstimmung des NOK ging mit 59 zu 40 Stimmen für den Boykott aus. „Die Funktionäre wussten: Wir tun das Falsche, aber wir können nicht anders“, sagt Hanisch heute. In anderen Ländern wie Frankreich, Großbritannien und Italien widersetzen sich die Olympischen Komitees den Empfehlungen der Politik und schickten trotzdem ihre Sportler nach Moskau. Ein geschlossener Boykott des Westens war somit gescheitert.

Die Olympischen Spiele in Moskau sind das bisher prominenteste Beispiel für einen Boykott von Sportveranstaltungen. Der Erfolg der bisherigen Boykotte ist kaum sichtbar, die Sowjetunion zog erst Jahre später ihre Soldaten aus Afghanistan zurück.

Ehemalige Athleten wie Hanisch, Bach und Gienger glauben auch jetzt nicht an die Wirkung eines Boykotts. Sie befürworten dennoch unterschiedliche Wege. Während Bach die politische Verantwortung des IOC für begrenzt hält, fordert Hanisch mehr Druck vom IOC. „Das IOC hat doch die Spiele an China vergeben, also kann es von China auch verlangen, sich anders zu benehmen, wenn es zur olympischen Familie gehören will.“ Olympische Spiele hält sie für einen Beschleuniger des demokratischen Fortschritts. „Irgendwann werden die Chinesen den Druck zu spüren bekommen“, sagt die Gymnasiallehrerin. Ein Szenario, das doch einen Boykott nötig machen würde, will sie sich lieber nicht vorstellen.

Cornelia Hanisch kam schließlich doch noch zu ihrer Olympiamedaille. 1984 in Los Angeles gewann sie Gold mit der deutschen Florettmannschaft. Mit Ausnahme von China und Rumänien hatten da jedoch die Länder des Ostblocks die Teilnahme abgesagt. Die offizielle Begründung lautete damals: Die Sicherheit ihrer Athleten sei nicht gewährleistet.

Friedhard Teuffel
Der Tagesspiegel vom Donnerstag, dem 20. März 2008

author: GRR

Comment
0

Leave a reply