Dr. Dr. med. Lutz Aderhold - Energiestoffwechsel des Langstreckenläufers ©privat
Energiestoffwechsel des Langstreckenläufers – Dr. Dr. med. Lutz Aderhold
Beim Laufen und beim Skilanglauf werden die meisten Muskeln eingesetzt und auch die meiste Energie pro Zeiteinheit umgesetzt. Um Energie bereitzustellen hat unser Körper verschiedene Systeme, die im Verbund zusammen arbeiten.
Abhängig von der Intensität der sportlichen Belastung werden unterschiedliche Energiequellen genutzt. Der eigentliche Treibstoff für die Muskelarbeit ist ATP (Adenosintriphosphat), ein sogenanntes energiereiches Phosphat. Durch seine Spaltung zu Adenosindiphosphat (ADP) ermöglicht es die Muskelkontraktion. Chemische Energie (ATP) wird also in mechanische Energie umgewandelt. In der Muskelzelle gibt es nur einen geringen Vorrat an ATP, so dass diese Substanz im Muskelstoffwechsel ständig wieder aufgebaut werden muss.
Je nach Intensität und Dauer der Belastung hat der Organismus verschiedene Stoffwechselwege, um ATP wieder zu bilden. Von der bereitgestellten Energie werden nur maximal 20-25% für die Muskelarbeit genutzt, der Rest geht in Form von Wärme „verloren". Die Folge davon ist, dass uns beim Laufen warm wird. Durch Ausdauertraining verbessert sich der Wirkungsgrad der Muskelarbeit.
Neben ATP gibt es in der Muskulatur noch ein 2. energiereiches Phosphat, das Kreatinphosphat (KP). Auch diese Substanz ist nur in geringer Menge in der Muskulatur vorhanden und hat die Aufgabe, das ATP zu regenerieren. Die Energie zur Resynthese der Phosphatspeicher wird durch die Oxidation der Nährstoffe bereitgestellt. Im Wesentlichen sind das die Kohlenhydrate (Glucose – Speicherform Glykogen) und Fettsäuren (Speicherform Triglyceride). In geringerem Maße werden auch Aminosäuren (Eiweiße) über den Umweg der Gluconeogenese (Bildung von Glucose aus Aminosäuren) zur Energiegewinnung herangezogen.
Anaerobe Energiegewinnung
Bei der anaeroben Oxidation (ohne Sauerstoff) gibt es für den Körper 2 Wege, um Energie zu bilden: Der 1. Weg ergibt sich aus der Spaltung von Kreatinphosphat (KP) mit Übertragung eines Phosphatrestes auf Adenosindiphosphat (ADP) unter Bildung von Adenosintriphosphat (ATP):
ADP + KP → ATP + K (Lohmann-Rektion)
Diese Reaktion wird durch das Enzym Kreatinkinase (CK) im Zytoplasma der Muskelzelle katalysiert. Durch diesen Vorgang kann schnell Energie für eine maximale Leistung zur Verfügung gestellt werden. Diese Energiequelle ist allerdings sehr klein und reicht für maximal 15 s. Kreatinphosphat (KP) ist besonders wichtig für die Maximal- und Schnellkraft, beispielsweise für einen 100-m-Sprint. Spätestens nach Minuten sind die Phosphatspeicher (ATP, KP) wieder aufgefüllt. Diese Form der Energiebereitstellung nennt man anaerob-alaktazid (ohne Beteiligung von Sauerstoff und ohne Bildung von Laktat).
Außerdem kann aus Adenosindiphosphat (ADP) ein Phosphatrest auf ein weiteres ADP unter Bildung von ATP und Adenosinmonophosphat (AMP) übertragen werden:
ADP + ADP → ATP + AMP (Myokinase-Reaktion)
Katalysiert wird diese Reaktion durch die Myokinase. Das entstandene AMP wird unter Abspaltung von Ammoniak (NH3) in Inosinmonophosphat (IMP) umgewandelt (Enzym: AMP-Desaminase):
AMP + H2O → IMP + NH3
Die Myokinase-Reaktion hat quantitativ nur eine untergeordnete Rolle. Unter hoher Belastung mit Erschöpfung der Glykogenreserven kommt es zu einer starken Aktivierung mit vermehrter Ammoniakbildung, was zu zentraler Ermüdung und Abnahme der Leistungsfähigkeit führt.
Der 2. Weg der anaeroben Oxidation ist die anaerobe Glykolyse, die anaerob-laktazid (ohne Beteiligung von Sauerstoff und mit Bildung von Laktat) im Zytoplasma der Zelle abläuft. Glucose wird ohne Sauerstoff unter Bildung von Laktat oxidiert. Diese Energiegewinnung benutzt der Organismus für sehr intensive, maximal mögliche Leistungen mit einer Dauer von 15 bis 60 s, z.B. einen 400m-Lauf. In der Folge kommt es zu einer „Übersäuerung", die leistungslimitierend ist.
Die anaerobe Energiegewinnung findet hauptsächlich in den schnellen FT-Fasern der Muskulatur statt. Die Vorteile der anaeroben Energiegewinnung liegen in der schnellen Energiebereitstellung und der großen Energiemenge/Zeiteinheit. Nachteile ergeben sich aus der Laktatbildung und der nur kleinen Gesamtenergiemenge, die auf diese Weise bereitgestellt werden kann.
Für die Übersäuerung (Azidose) ist die Bildung von Protonen (positiv geladene Wasserstoffionen) verantwortlich. Laktat stellt einen indirekter Indikator für die Azidose dar, ist dafür aber nicht die Ursache. Bei Übersäuerung kommt es zum Abbruch der Belastung (brennende Muskeln – man ist „blau"). Durch vermehrte Atmung (Hyperventilation) wird vermehrt CO2 (Kohlensäure) abgeatmet und der Azidose sowie „Sauerstoffschuld" entgegengewirkt.
Das angefallene Laktat wird nach Belastungsende in die Blutbahn „entsorgt" oder in der Muskulatur durch Umwandlung in Pyruvat verstoffwechselt. In der Leber wird das Laktat über Glucose zu Glykogen aufgebaut oder im Herzmuskel zur Energiegewinnung genutzt. Laktat stellt also kein „Stoffwechselmüll" dar, sondern wird zur Energiespeicherung und als Energielieferant benutzt. Durch das langsame Auslaufen nach intensiven Belastungen werden der Laktatabbau und die muskuläre Erholung beschleunigt.
Aerobe Energiegewinnung
Bei der aeroben Oxidation können Glucose, Fettsäuren und Aminosäuren als Substrat zur Energiebildung dienen. Fette und Aminosäuren können also nur mit Sauerstoff verstoffwechselt werden. Aminosäuren spielen für die Energiebereitstellung nur bei Langzeitausdauerbelastungen eine Rolle. Die Glucose wird durch den Glykogenabbau (Glykogenolyse), die Fettsäuren durch Fettspaltung (Lipolyse) bereitgestellt. Dabei werden die Muskeltriglyceride und die freien Fettsäuren des Blutes zur Energiegewinnung genutzt.
Die aerobe Oxidation von Glucose und Fettsäuren zu Kohlendioxid und Wasser unter Bildung von ATP über Zitratzyklus und Atmungskette in den Mitochondrien der Zelle sind die grundlegenden Stoffwechselwege zur Energiebereitstellung im Langstreckenlauf. Zeitbezogen kann aus Kohlenhydraten doppelt so schnell Energie gewonnen werden wie aus Fetten.
Die aerobe Oxidation ist besonders ökonomisch, allerdings wird dabei die Energie relativ langsam zur Verfügung gestellt. Vorteilhaft ist, dass kein Laktat gebildet wird. Die Energiemenge ist jedoch zehn Mal größer wie bei der anaeroben Oxidation, weil die Substrate vollständig abgebaut werden. Für sehr intensive Belastungen sind die Fettsäuren kein Energielieferant. Bei einer Laktatbildung von mehr als 7 mmol/l werden die fettspaltenden Enzyme nämlich blockiert.
Konsequenzen für den Langstreckenläufer
Zu Beginn eines Laufs setzt die Versorgung der Muskeln mit Sauerstoff erst allmählich ein. Deshalb muss zunächst schnell verfügbare anaerobe Energie aus den Energiespeichern ATP und KP sowie einer frühen Laktatbildung gewonnen werden. Zusätzlich helfen die lokalen Sauerstoffspeicher im Myoglobin.
Wählen Sie ein moderates Starttempo. So vermeiden Sie stärkere Laktatbildung und die Beine werden nicht schon nach kurzer Zeit „sauer". Die Energiebereitstellung wird auch durch den Trainingszustand und die Ernährung beeinflusst. Die Intensität und die Dauer der maximal möglichen Leistung verhalten sich gegenläufig. Je schneller wir laufen, umso kürzer ist die Zeitdauer, die wir das Tempo halten können.
Bei einem 10.000-m-Lauf werden 95% der Energie durch aerobe Glykolyse und 5% durch anaerobe Glykolyse bereitgestellt (Abb. 3-12). Beim Marathon stammen 70% der Energie aus aerober Glykolyse von Muskelglykogen, 5% aus dem Leberglykogen (Blutglukose) und 20% aus der Betaoxidation der Fettsäuren. Der 100-km-Lauf wird zu etwa 65% durch die Betaoxidation der Fettsäuren, zu 25% aus der aeroben Glykolyse von Muskelglykogen und zu 4% aus dem Leberglykogen (Blutglukose) bestritten. Bei einem 24-h-Lauf wird die Energie zu 80% aus der Betaoxidation der Fettsäuren, zu 10% aus der aeroben Glykolyse von Muskelglykogen und zu 2% aus dem Leberglykogen (Blutglukose) gewonnen.
Bei allen Strecken ab Halbmarathon muss mit einem bedeutsamen Beitrag (5% – 10%) durch Proteinumsatz zur Energiegewinnung über die Gluconeogenese gerechnet werden. Abhängig sind diese Wege von der Füllung der Energiespeicher (Glykogen und Triglyceride) in der Muskulatur und der Zufuhr von Kohlenhydraten während der Belastung, also insgesamt von der Substratverfügbarkeit. Der Proteinbeitrag zur Energiegewinnung führt zu einer verlängerten muskulären Regeneration.
Der menschliche Körper verfügt nur über kleine Proteinreserven in Form freier Aminosäuren. Ist der Aminosäurepool aufgebraucht, versorgt sich der Stoffwechsel aus den Strukturproteinen der Muskulatur. Für den Langstreckenläufer sind das Glykogen und die Triglyceride die wichtigsten Energiedepots.
Der durch das Training ausgelöste Substratmangel stellt einen Reiz dar, die Energiespeicher zu vergrößern. Je nach Trainingsform lassen sich die Depots von Kreatinphosphat (KP), Glykogen und Triglyceriden in der Muskulatur erhöhen. Die Kreatinphosphatspeicher lassen sich durch ein Schnelligkeitstraining verbessern, was für den Sprinter wichtig ist. Auch durch zusätzliche Aufnahme von Kreatin lassen sich diese Speicher erhöhen, für die Ausdauerleistung des Langstreckenläufers hat dies aber keine Bedeutung.
Die anaerobe Energiebereitstellung mit Laktatbildung setzt immer dann intensiver ein, wenn der Energiebedarf durch die gewählte Laufgeschwindigkeit so hoch ist, dass die Kapazität des aeroben Stoffwechselwegs überschritten wird. Hohe Laktatwerte führen zu einer Abnahme des pH-Wertes und damit zu einer „Übersäuerung".
Sprinter und Kurzstreckenläufer weisen höhere Laktatwerte auf, da die Enzyme der anaeroben Glykolyse „besser trainiert" sind (Juel 2004). Über diesen Stoffwechselweg kann in gleicher Zeit mehr Energie bereitgestellt werden als über den aeroben Abbau von Glucose und Fettsäuren. Allerdings werden die Glykogenspeicher auch schneller erschöpft, da die gleiche Menge Substrat über diesen Weg weniger Energie liefert (unvollständiger Abbau aufgrund von Sauerstoffmangel).
Für den aeroben Energiestoffwechsel in der Muskulatur sind die Glucose aus dem Muskelglykogen und die freien Fettsäuren aus den Triglyceriden die wichtigsten Substrate. Bei hochintensiven Läufen reichen die Glykogenspeicher ca. 90 min. Werden keine Kohlenhydrate aufgenommen kommt es zum dominanten Abbau von Fettsäuren zur Energiegewinnung. Da hierfür mehr Sauerstoff benötigt wird (ca. 15%), sinkt zwangläufig die Laufgeschwindigkeit.
Auch wenn bei niedriger Laufgeschwindigkeit überwiegend die Fettsäureoxidation zur Energiegewinnung genutzt wird, muss auch der Glucosebbau funktionieren. Bei der Energiebereitstellung durch freie Fettsäuren ist Oxalacetat erforderlich, welches aus dem Glukoseabbau stammt („Fette verbrennen nur im Feuer der Kohlenhydrate"). Daher ist bei Langstreckenläufen die Kohlenhydrataufnahme so wichtig. Der Organismus bedient sich ansonsten vermehrt am Aminosäurepool und zieht Proteine zur Gluconeogenese heran.
Zusätzlich ist die Kohlenhydratzufuhr auch für die Aufrechterhaltung des Blutglucosespiegels wichtig. Bei sinkendem Blutzuckerspiegel ist der motorische Antrieb durch das Gehirn eingeschränkt. Unsere Gehirnzellen können bei Glukosemangel auch Ketonkörper (Acetoacetat und Beta-Hydroxybutyrat) aus der Betaoxidation der Fettsäuren als Energieträger verwenden.
Störungen der Muskelstruktur kommen besonders bei Marathon- und Ultraläufen vor, was längere Regenerationszeiten erfordert. Kohlenhydrataufnahme ist also auch Schutz vor Proteinabbau. Durch den erhöhten Proteinumsatz bei Langzeitbelastungen steigt die Serumharnstoffkonzentration. An der Höhe des Wertes kann das Ausmaß des Proteinabbaus abgeschätzt werden. Läufer, die mit hohem Umfang oder großer Intensität bzw. einen langen Wettkampf absolviert haben, müssen auf eine erhöhte Proteinaufnahme (bis 2 g/kg Körpergewicht) achten.
Die Enzyme des aeroben Energiestoffwechsels werden am besten durch lange Dauerläufe „trainiert", außerdem wird so ein Reiz zur Vergrößerung der Glykogendepots gesetzt. Damit erhöhen sich gleichzeitig die Mitochondrienzahl und die maximale Sauerstoffaufnahme in der Muskulatur. Sind die Glykogenspeicher in der Muskulatur unvollständig aufgefüllt, wird der Fettstoffwechsel besser trainiert, weil mehr freie Fettsäuren umgesetzt werden. Durch Läufe im Nüchternzustand trainieren Sie Ihren Fettstoffwechsel.
Besonders bei Ultraläufen bilden die Fettsäuren das wichtigste Substrat für die Energiegewinnung. Für ein effektives Fettstoffwechseltraining sind Läufe über 25 km und mehr besonders effektiv (Reiz durch Energienot im Kohlenhydratstoffwechsel). Mit diesem Training werden die Aktivität der fettspaltenden Enzyme erhöht und vermehrt Triglyceride in der Muskulatur eingelagert (Vergrößerung der muskulären Fettspeicher). Die erhöhten muskulären Fettspeicher wurden zuerst bei Ultraläufern entdeckt. Ein zu intensives Training mit starker Laktabildung wirkt diesem Prozess entgegen.
Im Ausdauerbereich hängt der Erfolg vom optimalen Einsatz der Energiereserven und dem ausreichenden Nährstoffnachschub im Training und Wettkampf ab. Dies kann durch eine sinnvoll aufeinander abgestimmte Trainings- und Wettkampfplanung unterstützt werden (Aderhold und Weigelt 2012).
Dr. Dr. med. Lutz Aderhold
Literatur:
Aderhold L, Weigelt S. Laufen! … durchstarten und dabeibleiben – vom Einsteiger bis zum Ultraläufer. Stuttgart: Schattauer 2012.
Juel C. Laktattransport im Skelettmuskel: Trainingsinduzierte Anpassung und Bedeutung bei körperlicher Belastung. Dtsch Z Sportmed 2004; 55: 157-160.
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Das Buch von Aderhold/Weigelt:
Aderhold/Weigelt: Laufen! Die Buchvorstellung aus dem Schattauer Verlag