Der entscheidende Satz lautete: „Ich kann Dein hässliches Gesicht nicht mehr sehen.\" Eine SMS. Die hatte ihm ein Freund vom College geschickt.
Elfmal Gold – Michael Phelps überholt Mark Spitz und Carl Lewis – Mit insgesamt elfmal Gold ist Michael Phelps der erfolgreichste Olympionike aller Zeiten. Er übertraf Mark Spitz, Carl Lewis und Larissa Latynina (je neunmal Gold), als er zum vierten und fünften Olympia-Sieg dieser Spiele schwamm. Friedhard Teuffel, Peking im Tagesspiegel
Er ist jetzt der erfolgreichste Sportler der olympischen Geschichte, da wäre es für Michael Phelps doch an der Zeit, etwas Neues zu lernen, ein neues Fach, vielleicht dies: Unvollkommenheit. Das hat der 23 Jahre alte Amerikaner noch nicht so drauf, es gelingt ihm einfach alles, auch das immer gleiche Siegerlächeln mit glänzenden Augen, wenn für ihn die Nationalhymne gespielt wird.
Bisher gibt es nur im Scherz etwas an ihm auszusetzen. Nach bisher elf gewonnen Goldmedaillen bei Olympia, davon fünf in Peking, setzte er sich auf ein Podium, kramte in seiner Jackentasche und las eine SMS vor. Die hatte ihm ein Freund vom College geschickt, der entscheidende Satz lautete: „Ich kann Dein hässliches Gesicht nicht mehr sehen."
Aber endlich eine kleine lustige Geschichte von und über Michael Phelps, offenbar langweilt er selbst seine Freunde ein bisschen mit seinem Erfolg, seinen Bildern auf den Titelseiten und in den Hauptnachrichten, und gerade für sie könnte er sich mal etwas Neues einfallen lassen. Seiner Schwimmblase einfach mal entsteigen. Im Wasser ist seine Ideallinie schön anzuschauen, wie er lange taucht und sich dann beim Schmetterlingsschwimmen zum Beispiel aus dem Wasser aufbäumt als sei es ein fester Stoff, der ihm Bodenhaftung gibt.
Aber kaum zieht er sich aus dem Becken, bleibt kein Tropfen an ihm hängen, an welcher Ecke oder Kante denn auch? Seinen Staffel-Kollegen fiel auch gestern, nach ihrem Sieg über 4×200-Meter Freistil nichts mehr Neues ein, was sie über ihn sagen sollten: „amazing", „incredible", „unbelievable". Und noch einmal vorn vorne: „amazing", „incre…"
Die andere Geschichte, die Phelps gestern erzählte, hatte dann wieder mit den unvollkommenen Umständen zu tun, und wie er sich gegen sie durchsetzte. „Ich konnte auf den letzten 100 Metern nichts mehr sehen, meine Schwimmbrille hatte sich mit Wasser gefüllt", sagte er nach seinem Sieg über 200 Meter Schmetterling. Aber zu sehen braucht er offensichtlich nichts, weil er so viel automatisiert hat. „Ich habe einfach die Züge gezählt. Aber ich bin ein bisschen enttäuscht, weil ich noch schneller hätte schwimmen können." Noch schneller als der Weltrekord, den er ohnehin aufstellte mit 1:52,03 Minuten.
Es war der erste von zwei Weltrekorden für ihn an diesem Tag, den zweiten stellte er gemeinsam mit der Staffel auf, zum ersten Mal bleib ein Team auf dieser Strecke unter sieben Minuten, sie brauchten 6:58,56 Minuten. Zweimal Gold, zweimal Weltrekord. Bisher läuft alles perfekt, drei Goldmedaillen kann Phelps noch gewinnen. Nur einmal hat er bisher in einem Finale als Zweiter angeschlagen, das war als Startschwimmer der 4×100-Meter-Freistilstaffel. Aber da holte sein Kollege Jason Lezak auf der letzten Bahn noch das Gold zurück.
Alles Unvollkommene in Phelps persönlicher Biographie scheint ohnehin etwas zurückzuliegen. Sein Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom, das er mit Medikamenten behandeln musste. Dass ihn die Polizei vor vier Jahren einmal anhielt, weil er an einem Stopp-Schild nicht gehalten hatte und bei ihm 0,8 Promille im Blut fand, was für amerikanische Verhältnisse ein Skandal ist. 18 Monate Gefängnis erhielt er auf Bewährung.
Ansonsten will er seinen Abschluss in Sportmanagement machen an der Universität Michigan, was sich noch etwas hinziehen könnte, weil er die meiste Zeit dem Schwimmen widmet, als Berufsschwimmer. „Schwimmen, Essen, Schlafen", hat er als seine Beschäftigung in Peking angegeben, viel reden mag er ohnehin nicht gerne, und zu Hause in dürfte es nicht so viel anders aussehen. Er hört Rap und Hip-Hop-Musik, beschäftigt sich mit Videospielen, ist von seiner Mutter ausgezogen, was junge Leute eben so machen.
Nun hat der den innoffiziellen Titel des erfolgreichsten Olympiateilnehmers gewonnen, „hört sich wirklich cool an", findet er. Ob er dafür nachgeholfen hat mit irgendwelchen Mitteln, das weiß wohl nur er selbst und sein Trainer Bob Bowman. Vielleicht war sein Körper außergewöhnlich genug mit seinem riesigen Rumpf, seiner Armspannweite von 2,04 Meter, seinen Füßen mit Schuhgröße 48,5, vielleicht war seine Technik durch hartes Training perfekt genug.
Die Gewissheit ist immer weiter entfernt, je höher es hinaufgeht auf den Olymp.
Friedhard Teuffel, Peking im Tagesspiegel, Donnerstag, dem 14. August 2008