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09
01
2022

Robert Farken (Leipzig) läuft über 1500 m Meisterschaftsrekord - Foto: Benjamin Heller / DLV

EINE LANZE FÜR DEN OSTEN – Leichtathletik nach der Wende in den „Neuen Bundes-Ländern“ – Ein Kommentar von Lothar Pöhlitz* 

By GRR 0

Als am 9. November 1989 Günter Schabowski vor der Weltpresse den DDR-Bürgern „Privatreisen nach dem Ausland nun möglich – unverzüglich“ verkündete, waren alle überzeugt das der Westen das Wirtschaftswunder ihnen bald auch „rüberbringen“ würde.

Leider war der Westen über den Zustand der DDR-Wirtschaft und auch über den Sport uninformiert. Zu viele Mittelständler und Enteignete waren seit 1950 mit ihrem Wissen und Können „rübergemacht“ und die zurückgelassene leistungsfähige Industrie wurde „auf Verschleiß gefahren“, das Politbüro brauchte die Devisen für Wandlitz.

Der Leistungssport wurde zum politischen Aushängeschild der glorreichen „größten DDR der Welt“, wie die Einheimischen gern hinter vorgehaltener Hand flüsterten. Inzwischen ist leider die wiedervereiningte Leistungsgesellschaft Made in Germany auf dem Abstieg, verkauft Spitzenprodukte und Wissen ins Ausland und hat verpasst in die Infrastruktur, die moderne Bildung und Digitalisierung zu investieren.

Nun nach 32 Jahren, bei der Vorstellung der neuen Ampel-Minister, fehlte „der OSTEN“ wieder fast ganz, wie so oft in den Jahren – wohl auch weil durch den Wettlauf um die beste Negativberichterstattung in den Medien, das Bewußtsein der Politik für die Brüder und Schwestern im Osten verloren gegangen ist. Auch über einen Wiederaufbau des Leistungssports und die Fortsetzung des Schul- und Vereinssports nach 1990 wurde in den Jahren wenig oder gar nicht berichtet, die Doping-Keule dominierte.

Bis heute müssen s i e büßen für die Planwirtschaft im Arbeiter- und Bauernstaat vor der Wende. Unverständlich war immer auch wie wenig hilfreich die „einheimische“ Bundeskanzlerin Merkel mit den neuen Ländern in ihrer Amtszeit umgegangen ist. Nun beherrschen das Klima und Impfen die politischen Aufgaben.

Der deutsche Sport braucht aber auch den Osten, mehr Farkens, Bebendorfs oder Gröschels, nicht nur im Laufen, in den ehemaligen Leichtathletik – Zentren der „Neuen Länder“ in Berlin/ Mecklenburg-Vorpommern/Brandenburg/Potsdam/Sachsen/ Sachsen-Anhalt/ hüringen.

Da macht die Meldung vom Magdeburger Schwimm-Olympiasieger Florian Wellbrock, Gold bei der Kurzbahn-WM mit Weltrekord, Mut für alle, unglaublich, wir können es doch, wir müssen es nur richtig wollen.

Inzwischen, 32 Jahre nach der Wiedervereinigung, beschäftigen mich vor allem die ungenutzten großen „Reserven OST“ in der Nachwuchs-Leichtathletik. Sie wissen sicher das ich nach dem Sportstudium an der DHfK Leipzig zunächst 20 Jahre in der DDR gearbeitet und auch gelernt habe, als Trainer, Cheftrainer, Nachwuchs-Verbandstrainer und als Sportwissenschaftler für den DVfL der DDR. 1979 mußte ich dem „Druck Funktionär werden zu müssen“ – für mich undenkbar – entfliehen und bin „rübergemacht“. Ich konnte auch nicht mehr hören das nicht die Sportler siegten, sondern der Kommunismus über den Kapitalismus.

Seitdem beschäftigt mich immer wieder was ist und was war. Bis 1990 gab es den Staatssport gegen den Klassenfeind, mit knappen Kassen, kleinen Gehältern und Prämien, aber überall gut organisierte, funktionierende, erfolgreiche, den damaligen Möglichkeiten entsprechende Trainingsstätten, ein Höhentrainings-Unterdruck“haus“ in Kienbaum, viele, sehr viele hauptamtliche Trainer, Kindertrainingszentren, Jugendleistungstraining an Sportschulen, die Sportmedizin an allen Zentren, das heutige IAT, die Wissenschaftlichen Zentren für die Trainingsmethodik in den Sportarten, die DHfK in Leipzig und „Trainings-Bedingungen für Medaillen“. Und es gab Führung und Abgrenzung um „diesen zu hassenden kapitalistischen Westen“ zu schlagen, ohne mit ihnen reden zu dürfen. Dabei haben nicht alle gedopt – im Osten und im Westen – wer nicht wollte mußte nicht; auch wenn es von Nichtinsidern oft anders dargestellt wurde.

Die meisten Talente nutzten den staatlichen Medaillen-Druck, die Möglichkeiten und erzielten die „geplanten“ Siege gegen die „Wessis“, hatten Spaß, bekamen „Urkunden und Plaketten“ und nach Olympia eine Schiffsreise. Wo sollten sie denn hin, immer waren sie dabei, die von der Firma „Horch & Guck“. Aber Sie hatten Kienbaum, Wochen und Monate Arbeit im Team. Wie glücklich waren talentierte Kinder- und Jugendliche, wenn sie in eine Kinder- und Jugendsportschule aufgenommen wurden. Sicher wissen die Sportfans im Westen nicht das etwa 30% der für die KJS gut vorausgewählten, geeigneten Talente von der Stasi wegen Westverwandtschaft aussortiert wurden und niemals mehr eine Chance bekamen.

Verwundert reiben sich derzeit viele „Ossis“ über die „Lobpreisung“ durch den neuen Bundeskanzler Olaf Scholz über die gewollte paritätische Besetzung der neuen Männer-Frauen – Ministerriege die Augen. Vor vielmehr als 30 Jahren hatten Frauen in der DDR, auch im Leistungssport, selbstverständlich gleiche Rechte und gleiche Pflichten. Die Mehrzahl der Frauen gingen einer Arbeit nach, als Arbeiter, aber auch als Dipl.-Ingenieur, Ärztinnen oder Trainerinnen. Die Olympia-Medaillengewinnerinnen wurden geehrt wie die Männer.

In diesem Zusammenhang kann ich meine große Verwunderung einmal preisgeben, als ich 1979 bei meinem Vorstellungsgespräch im DLV, auf die Frage welchen Bereich ich gern als Bundestrainer übernehmen würde, mich zur Mittelstrecke Frauen als meiner damaligen Lieblingsdisziplin bekannte. Gefühlte 5 Minuten herrschte regelrecht Funkstille und ich wusste nicht was gerade passiert war. Hinterher erfuhr ich das 3 von 4 nicht fassen konnten, wie man sich freiwillig für ein Training mit Frauen entscheiden könnte. Ich mußte mich unerwartet „in meinem neuen Deutschland“ an weiteres „Neue“ gewöhnen, an tolle saubere Straßen all überall oder dass Frauen nicht arbeiten gehen durften, weil ihre Männer in Verdacht kamen sie nicht ernähren zu können. Viel später erfuhr ich, sie mußten sich auch an mich gewöhnen. Glücklicherweise mit Erfolg.

Dann kam die Wende, „unverzüglich“, für einige Beste der Weg in den Westen, und sie gewannen 1992 gemeinsam „mit denen vom kürzlich noch Klassenfeind“ Medaillen für GERMANY. Für zu viele zurückgebliebene, auch die Trainer der systematische Niedergang – die DDR wurde „beigetreten, besser aufgelöst“.

Nun braucht GERMANY wieder Leistungssport, auch  in den Neuen Ländern.

Es ist Zeit einmal offen über eine neue Wende, einen Aufbruch Ost zu reden. Wieso gibt es aktuell die Ausschreibungen für Trainern für die Vereine und Bundesstützpunkte“, Stellenangebote für die Arbeit in den Ländern, selbst die Besetzung von offenen Bundestrainerstellen ist ein Problem. Dabei haben doch so viele in den Jahren Sport studiert. Wohl vor allem Breitensport.  Eine Wende zurück ist überfällig, zuerst zur Kinder- und Jugendleichtathletik in den Vereinen mit Anspruch und im Schulsport. Dringend mehr Spitzenläufer wie Robert Farken und Karl Bebendorf. Die Leichtathletik lebt ja noch – wenn auch zu oft unbeachtet auf zu kleiner Flamme, in den großen Zeitungen ganz klein neben drei Seiten Fußball – auch in den aktuell nicht ausgewählten Bundesstützpunkten Rostock, Dresden, Jena, Schwerin und Cottbus.

„Zukunft wird gemacht“ versprach Olaf Scholz der neue Bundeskanzler

Führung bedeutet doch eigentlich „machen oder beauftragen“, nicht nur die Verantwortung zu übernehmen und zu delegieren, sondern auch die konkrete Arbeit zu verteilen, zu führen, helfen, zu unterstützen, die notwendigen Instrumente zur Verfügung zu stellen, zu überwachen, qualifizieren und natürlich auch abzurechnen. Das bedeutet für Funktionäre doch F ü h r u n g auch vor Ort, die Bereitschaft zur gemeinsamen Arbeit im Team, über den eigenen Schatten zu springen, auch in den 5 neuen Ländern wieder besser, konkurrenzfähig sein zu wollen und die komplexen Ziele vom Kinder- bis zum Hochleistungstraining zu verfolgen, bis GERMANY von Olympischen Spielen wieder zufrieden, erfolgreicher als zuletzt, nach Hause kommt.

BASICS 8-14 sind die Grundlagen für mehr

Wenn nach 1990 hunderte bestens ausgebildete Kinder- und Jugend-Trainer, und die Bedingungen nicht nur für das Hochleistungstraining, sondern auch für das Kindertraining einfach „unbekannt verschwanden“ und auch der Schulsport auf Westniveau heruntergefahren wurde, muß man doch nach 30 Jahren einmal darüber reden dürfen, ob nicht der Eine oder die Andere gern mit anpacken würden, zu einem Aufbruch OST, zum – vielleicht erinnern sie sich – „mach mit – mach´s nach – mach´s besser“.

Nachdem nun die Olympia-Stützpunkte durch die Bundesstützpunkte ergänzt werden, aber über die Kindersport-Basis in den Vereinen und im Schulsport kaum gesprochen wird, muß man erwarten das endlich Personal – vielleicht aus dem Fundus der in den letzten Jahrzehnten an Fach- und Hochschulen ausge-bildeten Sportlehrern aktiviert und entsprechend – wie Lehrer oder Sportlehrer an Schulen – finanziert wird. Diese Verantwortung, mit Geld in der Hand, müßte vor Ort – nicht nur in den ehemaligen Leichtathletik-Hochburgen in den neuen Ländern – wahrgenommen werden.

Es wäre sicher sinnvoll, wenn der DLV dafür wieder „Bundestrainer/Innen oder Koordinatoren für die neuen Länder“, die vor Ort „die Leistungssport-Konzeption des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) mittels „Regionaler Ziel-Verein-barungen“, mit beteiligten Partnern, umsetzen / durchsetzen helfen“

Im Westen gab es sie einmal – eine zu kurze Zeit – Koordinatoren für die Olympiastützpunkte, mit dem Ziel „die Konzeptionen, den Willen des DLV und DOSB“ in die größeren Zentren zu bringen und vor Ort die Organisation / den Aufbau zu unterstützen, zu führen.

Tom Gröschel – Foto: Norbert Wilhelmi

Nun wurden vom DOSB Bundesstützpunkte zusätzlich zu den offensichtlich nicht besonders erfolgreichen OSP „erfunden“, warum sonst. Sicher auch in der Hoffnung, dass sie „als professionelle Trainingszentren mit besonderer Aus-stattung den Nachwuchs- und Hochleistungssport, als den wesentlichen Bau-steinen für die disziplinspezifische Leistungsentwicklung der Bundeskaderath-leten im täglichen Training, unterstützen (Trainingsstätten, Trainer, Vereine, Olympiastützpunkt, Erfolge von Athleten/Trainern; Eliteschulen des Sports/ Internate, Partneruniversitäten sowie sportmedizinische Zentren“)

Aber es fehlen „für professionelle Trainingszentren mit besonderer Ausstattung“ Geld, Personal vom Fach, Organisation, Entwicklung z.B. in den Eliteschulen des Sports, Talente, Investitionen – wie am Beispiel der Jahre versprochenen und geplanten Leichtathletik-Trainingshalle in Regensburg. Und Bedingungen für „alle DLV-Kader“ für 20-30 Trainingsstunden plus Physiotherapie pro Woche, gemeinsam mit ihren Trainern und natürlich auch Geld für ihr Leben.

Verändern durch Präsenz, Kommunikation und Wettkämpfe

Acht Bundesstützpunkte sind aktuell in den „5 neuen Ländern“ ausgewählt und beauftragt: Neubrandenburg – Berlin – Potsdam – Magdeburg – Halle – Leipzig – Erfurt – Chemnitz. Aus der DDR-Zeit fehlen dabei nur noch die 5 ehemaligen Regionen mit den einstigen Sportclubs mit ihrer „Arbeitserfahrung Nachwuchs-Leichtathletik“: Rostock, Dresden, Jena, Schwerin und Cottbus.

Jede neue Kinder-Trainingsgruppe wäre ein Gewinn.

Die einstige Leistungsgesellschaft hat auf breiter Front Schaden genommen. Vielleicht könnte, sollte man, vor Ort, in den jeweiligen Regionen einmal Leichtathletik–Aufbruch-Konferenzen organisieren, mit dem Ziel die noch vorhandene Arbeitsbereitschaft von Funktionären, Trainern und natürlich ehe-maligen Sportlern und Sportlerinnen zu verstärken und dem neue hinzuzufügen. Sicher kann man auf einem solchen Wege auch junge Übungsleiter oder Lehrer-Trainer neu gewinnen. Jede neue Kinder-Trainingsgruppe wäre ein Gewinn. Am besten wäre dabei den Schwerpunkt auf den BASICS-Nachwuchsbereich der 8-14jährigen zu legen und bei den Eltern und Senioren, den Papa- oder Mama-Coaches nachzufragen, ob sie nicht bereit sind zu unterstützen und „zu fahren“. Immer wieder Wettkämpfe gegeneinander, wenigstens erst einmal in den Jahrgangsklassen 10-14jähriger der Regionen oder Länder würden die Kinder am ehesten zum regelmäßigen Training locken.

Training für Wettkämpfe, auch im Osten  –  Foto: Lothar Pöhlitz

Wer führt, wer organisiert, wer arbeitet, wer trainiert, wer finanziert

Sicher wären ehemalige Trainer, Leistungssportler oder Lehrer-Trainer zu aktivieren, interessiert und bereit vor allem erst einmal mit den Kleinen 3-4 x in der Woche die BASICS-Aufgaben der 8-12 oder 12-15jährigen zu verwirklichen.  Viele wissen sicher noch wie die Kinder-Trainingszentren in den Kreisen und Regionen funktionierten, wie strukturiert, mit welchem Personal und am besten in gemischten Gruppen von Mädchen und Jungen trainiert und Talente gesucht wurden. Es wäre auch an der Zeit die vorhandenen Eliteschulen des Sports, wie ursprünglich gedacht, für richtiges Nachwuchsleistungstraining in Vorbereitung auf das Hochleistungstraining zu nutzen. Sie wissen aber natürlich auch das die Zeit vorbei ist in der „solch wichtige Arbeit für Deutschlands Zukunft und Gesundheit“ weiterhin ehrenamtlich möglich ist.

SC Chemie Halle – einst Hochburg von 800 – Marathon – heute gibt es am Bundesstützpunkt in Halle/S nur noch Mehrkampf und Wurf

In den Konzeptionen findet man:

  • Die Bundesstützpunkte sollen Dienstorte der Bundestrainer, Bundesstützpunkttrainer und Bundesstützpunktleiter werden.
  • Ansprechpartner für Landeskaderathleten und Nachwuchsathleten ohne Kaderstatus sind die jeweiligen Leitenden Landestrainer bzw. Leistungssportkoordinatoren der Landesverbände.

Vielleicht lesen wir eines Tages das der DLV die neuen Länder zum Entwicklungsschwerpunkt erklärt und beauftragt einen: DLV-CHEF-TRAINER NEUE LÄNDER oder DLV – KOORDINATOR NEUE LÄNDER zur Unterstützung der Arbeit vor Ort, vorrangig in der Entwicklung der Kinder- und Jugend-Leichtathletik.

Es kommt auch darauf an, dass sich der DOSB neu aufstellt, dass der DOSB das Verhältnis zu Athleten neu definiert. Und dass der DOSB die Führungsrolle übernimmt, was die zukünftige Leistungssportstruktur betrifft.“ (Clemens Prokop Ex-DLV-Präsident am 14.8.2021 im Deutschlandfunk)

Lothar Pöhlitz

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