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07
2012

2012 Prefontaine Classic Haywood Field, Eugene, Or June 2, 2012 Photo: Victah Sailer@Photo Run Victah1111@aol.com 631-741-1865 www.photorun.NET

Eine kleine Analyse zur Sieg-Taktik bei der EM 2012 in Helsinki – Der komplexe Läufer muss nicht nur der bessere Spurter sein – Lothar Pöhlitz in der Leichtathletik Coaching-Academy

By GRR 0

Das Außergewöhnliche ist das Normale, so könnte man die Taktik in den Läufen bei den Europameisterschaften 2012 in Helsinki zusammenfassen.

Am Beispiel einer kleinen Analyse der Geschwindigkeitsgestaltung in den Mittel- und Langstrecken der Frauen (für die Männer gibt es keine anderen Erfahrungen) soll aufmerksam gemacht werden, dass die für internationale Wettkampfhöhepunkte Europameisterschaften, Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele – wo es natürlich in erster Linie um Medaillen oder Siege geht – aus der Trainingsmethodik bekannte Sieg – Taktik, durch aktuelle Verhaltensweisen nicht nur während der Vorläufe – für den einen oder anderen kleine Konsequenzen für seine zukünftige Vorbereitung erfordert, d.h. learning by doing.

In erster Linie gelingen Siege oder Medaillenplatzierungen durch einen langen oder kurzen Spurt, der vor allem Ergebnis einer höheren wettkampspezifischen Leistungsfähigkeit gegenüber den Gegnern ist und nicht, wie irrtümlich immer einmal wieder transportiert wird durch eine höhere Grundschnelligkeit. Die auf der Zielgerade schnelleren haben ein besseres „Stehvermögen", verlieren weniger an Geschwindigkeit, vorausgesetzt das Renntempo war bis dahin nicht sensationell langsam.

Also ist am besten wenn die wettkampfspezifische Ausdauer die Überlegenheit im und am Ende der jeweiligen Laufstrecke ermöglicht. Diejenigen die in der Endphase „stehen" müssen vor allem am „Stehvermögen" arbeiten. Das 800 m Finale der Frauen (siehe Tabelle) bei der EM 2012 bestätigt diese Erfahrungen. Nach sehr schnellem Beginn gewann am Ende die die den geringsten Geschwindigkeitsverlust auf den letzten 200 m (die langsamsten 200 m des ganzen Rennens) hatte.

Nicht neu, aber mehrfach demonstriert, diesmal nicht nur in den Vorläufen, war das nach zumindest einer flotten „gegenüber dem mittlerem Renntempo überhöhten" Anfangsphase um eine gute Rennposition zu finden und nicht an der Innenkante eingeklemmt zu werden, man sich danach erst einmal auf den Füssen stand, auf den Geraden zeitweise 5 Läuferinnen (aber auch Läufer) bis auf Bahn 4 nebeneinander die Beine hochnahmen und dadurch die Sturzgefahr gefährlich erhöhten bevor die Post abging. Im Finale über 1500 m folgte normalen 66 Sekunden auf der ersten Runde eine zweite in 72,58 ! Danach tolle 63,5 mit anschließenden 43,6 Sekunden für die letzten 300 m – hallo – das entspricht 58,0 (!!!) über 400 m.

Da müssen auch unsere Mädchen mit den tollen Fortschritten 2012 im neuen Jahr noch etwas nacharbeiten. Natürlich ging es im Vorfeld erst einmal darum mit möglichst gleichmäßig gelaufenen Topzeiten den Qualitätsnachweis für einen EM-Start abzuliefern oder sich aus einer international unbedeutenden Position auch noch für Olympia zu qualifizieren. Alles toll, Nacharbeiten bedeutet keine Kritik, sondern im neuen Jahr notwendige Tempowechsel im wettkampfspezifischen Ausdauertraining. Da muss man hin und wieder auch damit leben können dass die Trainingszeiten oder die Laktatwerte etwas darunter leiden. Die nächsten großen Aufgaben kommen bestimmt. Ihr schafft es bis ganz nach oben!

Und über 10000 m muss man damit leben dass die Karten in der Regel nach etwa 7000 m (Tabelle) neu gemischt werden und die aerobe Qualität darüber entscheidet ob eine Geschwindigkeitssteigerung – wenn die Post abgeht – bis ins Ziel noch möglich ist.

 

800 m Frauen bei den Europameisterschaften 2012 in Helsinki

 

1500 m Frauen

5000 m Frauen

3000 m Hindernis Frauen

10000 m Frauen Finale

 

Eigene Strategien, taktische Konzepte führen nur dann zu einem erfolgreichen Wettkampf, wenn neben einer optimalen trainingsmethodischen Vorbereitung die Motivation und das Selbstvertrauen des Athleten groß sind und er seine Angst oder auch Aggressivität unter Kontrolle hat. Wer in jedem Moment des Rennens wachsam ist, reagieren kann oder auch selbst zu agieren bereit ist verfügt über gute Chancen seine Pläne zu realisieren.

Niederlagen sind nicht fatal wenn man weiter bereit ist hart zu arbeiten um demnächst besser zu sein.

Vielseitige taktische Zwänge gibt es bei Meisterschaften, den nationalen Titelkämpfen oder bei den Europa-, Continental-, Weltmeisterschaften (auch in der Halle) die zweimal pro Jahr, alle 2 oder alle 4 Jahre bei den Olympische Spielen durchgeführt werden. Hier geht es in der Regel um mehrere „Runden" (Vor- Zwischen-, Endläufe) bis zu den Medaillen oder den Sieg. Es zählt kein im Zwischenlauf erzielter Rekord, es kommt am Ende nicht auf die Zeit an, es ist Sieger, wer im Finale als Erster, Zweiter oder Dritter über den Zielstrich läuft.

Es entscheiden die komplexen Fähigkeiten des Läufers einschließlich seines möglichst vielfältigen taktischen Repertoires. Tempoüberhöhte Startabschnitte, Spurtsiege im Vorlauf, Tempowechselfähigkeiten im Halbfinale, Stehversuche im Mittelabschnitt und sehr schnelle 1000 m oder nur 300 m in den Endphasen der Finals sind für den Zuschauer das Salz in der Suppe und führen den Besten / die Beste zum Sieg. Dabei ist nicht ungewöhnlich, dass in den Finals auch tempoorientiert von vorn gelaufen wird, vor allem wenn Afrikaner dabei sind.

Auch darauf muss der Kopf vorbereitet sein. Nur große Persönlichkeiten, mit Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit, höchster sportlicher Form am Tag x und außerordentlicher psychischer Stärke – ohne Angst – sowie einer großen Willens-spannkraft in den Endphasen, haben Voraussetzungen für ein solches Gelingen, für Platzierungen unter den Besten.

Für diese eigentlich wichtigsten Meisterschaftsrennen müssen die fast unerschöpflichen taktischen Varianten in den Jahren erlernt, in wettkampfnahen Trainingseinheiten geübt und immer wieder am Gegner erprobt werden. Da müssen auch Niederlagen erlaubt sein. Siege unter Ausschöpfung des ganzen Könnens, Durchsetzungsfähigkeit auch mit ein wenig Schlitzohrigkeit kann dabei nie schaden.

Neben komplexen psychophysischen Fähigkeiten ist die Beherrschung der Sieg-Taktik für erträumte Siege Voraussetzung.

 

Lothar Pöhlitz in der Leichtathletik Coaching-Academy

 

Leichtathletik Coaching-Academy

 

 

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author: GRR

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