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17
08
2008

Fragt man Usain Bolt nach Doping und konfrontiert ihn mit dem Verdacht, bleibt er, im Gegensatz zu den hochexplosiven Sprintern vergangener Zeiten, ganz ruhig. „Ich werde sauber sein“, sagte Usain Bolt vor den Spielen.

Ein unglaublicher Weltrekord – 9,69 – Bolt der schnellste Mann der Welt – Michael Reinsch, Peking, in der Frankfurter Allgemeinen zeitung

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16. August 2008 Die 91.000 begeisterten Zuschauer im „Vogelnest“ von Peking und Millionen an den Fernsehschirmen haben es mit eigenen Augen gesehen: Usain Bolt ist der schnellste Mann der Welt und einer der frechsten noch dazu. Im Finale der Olympischen Spiele von Peking lief er am Samstagabend den Männersprint über 100 Meter in 9,69 Sekunden und verbesserte damit seinen eigenen Weltrekord um drei Hundertstelsekunden.

Die Zeit war umso erstaunlicher, als der einundzwanzigjährige Jamaikaner schon weit vor dem Ziel seine Arme zu einer Geste des Jubels ausbreitete und die Zielline, mit großem Vorsprung vor Richard Thompson aus Trinidad and Tobago (9,89) und dem Amerikaner Walter Dix (9,91), dem Publikum zugewandt überquerte. Bolts Landsmann Asafa Powell wurde Fünfter (9,95).

Demonstration der Stärke

Bolt feierte seinen Triumph tanzend mit der jamaikanischen Flagge und seinen goldenen Spikes in der Hand. Erstmals hat ein Jamaikaner die Goldmedaille im Sprint gewonnen; die auf der Karibikinsel geborenen Olympiasieger Linford Christie (1992) und Donovan Bailey (1996) starteten für Großbritannien und Kanada. Neben Bolt und Powell lief auch der Jamaikaner Michael Frater von der Karibikinsel im Finale; er wurde Sechster (9,96). Schon im Halbfinale hatte Usain Bolt in 9,85 Sekunden seine Überlegenheit demonstriert. Weltmeister Tyson Gay schied in dem zweiten Rennen seit seiner Verletzung bei den amerikanischen Trials vor sechs Wochen mit 10,05 Sekunden und als Fünfter aus. Powell gewann sein Halbfinale in 9,91 Sekunden.
 
Nicht nur die Leichtigkeit, mit der Bolt der Konkurrenz davonlief und den Weltrekord unter 9,7 Sekunden drückte, ruft Stirnrunzeln hervor. Am 24. September jährt sich das Sprintfinale der Olympischen Spiele von Seoul 1988 zum zwanzigsten Mal. Eine unangenehme Erinnerung. Denn seit dem Triumph des aus Jamaika stammenden Kanadiers Ben Johnson und durch seinen tiefen Fall wegen Dopings ist die Welt des Sports eine andere geworden. Eine bessere? Daran darf man mit Fug und Recht zweifeln.

Olympiasieger regelmäßig gedopt

Nur einer der fünf Olympiasieger seit 1988 kann nicht mit Doping in Verbindung gebraucht werden: Donovan Bailey, der Erste von Atlanta 1996. Linford Christie, dem britischen Olympiasieger von Barcelona 1992, wurden am Ende seiner Karriere Abbauprodukte von Nandrolon im Urin nachgewiesen: er wurde gesperrt. Maurice Greene, Olympiasieger von Sydney 2000 und inzwischen vom Sport zurückgetreten, hat seit der Aussage des Dopingmittel-Dealers Angel Heredia im Prozess gegen Trainer Trevor Graham einige Mühe, nachvollziehbar zu erklären, warum er Heredia 10.000 Dollar überwiesen hat.

Green behauptet, er habe das Geld für jemand anderen vorgestreckt. Justin Gatlin, olympischer Champion von Athen 2004 und Doppel-Weltmeister von Helsinki 2005, wurde 2006 zum zweiten Mal positiv getestet, auf Testosteron, und ist für vier Jahre gesperrt. Die Sprinter, die 1988 aufrückten und Gold, Silber und Bronze erhielten – Carl Lewis, Christie und Dennis Mitchell – wurden im Verlauf ihrer Karriere allesamt positiv getestet; Lewis wurde vom amerikanischen Verband nicht gesperrt, weil er ahnungslos ein kontaminiertes Medikament genommen haben soll.

Gehabe von Preisboxern abgelegt

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) bewahrt die Doping-Proben dieser Spiele acht Jahre auf, um sie später auch auf mögliche neuentdeckte Substanzen prüfen zu können. Ben Johnsons Weltrekord aus dem Finale von Seoul, 9,79 Sekunden, würde, wenn er nicht gestrichen worden wäre, in der Weltbestenliste heute an zehnter Stelle stehen. Die neun besseren Zeiten stammen von Bolt, Powell und Gay.

Auch wegen des ständig in der Luft liegenden Verdachtes haben die Sprinter der Generation Bolt das Gehabe von Preisboxern, wie es ihre Vorgänger pflegten, abgelegt. Wenn sie sprechen, wenn sie sich zeigen, liegt nicht mehr der Geruch von zu viel Testosteron in der Luft, der Super-Machos wie Maurice Greene stets umwehte.

Am Mittwoch will er auch Gold über 200 Meter

In aller Bescheidenheit scheint der 21 Jahre alte Bolt selbst nicht zu wissen, wie stark er ist. Der 1,93 Meter lange Riese sprintet mit einer anderen Übersetzung als der Rest der Welt: Er braucht nur 41 Schritte, um das Ende der Hundertmeterbahn zu erreichen, das sind vier, fünf weniger als die anderen Sprinter der Weltklasse. Trotz seiner Kraft und Größe verlässt er sich auf seinen Trainer Glen Mills. Schließlich hat dieser dem Riesentalent, als er es vor fünf Jahren entdeckte, erst Krafttraining verordnet und dann eine neue Haltung beim Laufen. Von diesem Meister der Analyse lässt sich der Einundzwanzigjährige nicht nur im Training, oft sogar durchs Megaphon, anbrüllen, von ihm lässt er sich auch das Ausgehen und Feiern verbieten.

„Er ist mein Trainer, mein Mentor, so etwas wie ein Vater“, sagt Bolt. „Wir haben viel Spaß miteinander. Außer beim Training.“ Er überließ dem autoritären Mills sogar die Entscheidung, ob er überhaupt die hundert Meter läuft. „Er hat so viele Entscheidung getroffen, die gut für mich sind“, sagte er. „Ich werde akzeptieren, was immer er entscheidet.“

„Ich werde sauber sein“

Er würde nicht einmal nach den Gründen gefragt haben, behauptete er, wenn Mills nein gesagt hätte. Nur gegen die Vorstellung seines Coaches, 400 Meter zu laufen, wehrt sich Bolt. Mills glaubt, dass der Sprinter sein Talent auf der Stadionrunde noch besser ausspielen könne. „200 Meter“, sagt dagegen Bolt, „das ist die längste Strecke, die ich im Wettkampf laufe. Und das ist die Strecke, die mir am meisten bedeutet.“ Am Mittwoch um den Olympiasieg auf dieser Distanz.
 „Ich kann nur für mich sprechen.“

Auch Powell fährt nicht aus der Haut, wird er auf Doping angesprochen, sondern nennt Doper Diebe und Verbrecher. Sie gehörten ins Gefängnis. „Ich probiere mich wirklich aus, ich treibe mich bis an die Grenze. Ich will wissen: Wie schnell kann ein Mensch laufen, ohne Drogen zu nehmen?“ Er ist nicht der Einzige, der sich das fragt.

Michael Reinsch, Peking, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 17. August 2008

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