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2008

Was gilt es nun in dieser Altersgruppe 40+ Besonderes zu beachten, um den Spaß am Langstreckenlauf über Jahrzehnte zu erhalten?

Eile mit Weile – schneller nach 40 – von Dr. med. TASSO VOUNATSOS in SPIRIDON 5/2008

By GRR 0

Die Laufszene boomt weiter. Während jüngere Erwachsene hauptsächlich Fun-Sportarten auswählen, um mit Bewegungserlebnissen den zumeist sitzenden Alltag zu würzen, so wählen immer mehr Menschen über 30 den Dauerlauf als (Wieder)-Einstieg in den Sport. Bei Volks- und Marathonläufen steigt die Zahl der Teilnehmer über 40 Jahr um Jahr.

Und schließlich gibt es die Haudegen von 50+, die nach langen Jahren knapper Freizeit und evt. nur gesundheitsorientiertem Laufen (endlich) wieder mehr Zeit in ihr geliebtes Lauftraining investieren können. Mit viel Ehrgeiz werden Wettkampfambitionen mit neuen Bestzeitzielen gehegt und wieder ein Training auf der Überholspur durchgeführt.

Im späten Frühling und Sommer lockt ein üppiges Angebot von Läufen über 5-21,1 km zu leistungsorientiertem schnellem Laufen. Lang anhaltendes Tageslicht, wärmere Temperaturen und wiedererstarkte Lauflust lassen auch den Wunsch, im Training flotter zu laufen größer werden. Damit wächst auch die Gefahr, durch unangepasstes Lauftraining sich Verletzungen und Überlastungsreaktionen zu holen. Schmerzhafte Laufpausen von teilweise vielen Monaten können zur Kehrseite der Medaille werden.

Was gilt es nun in dieser Altersgruppe 40+ Besonderes zu beachten, um den Spaß am Langstreckenlauf über Jahrzehnte zu erhalten? Wie können Sie Ihre Leistungsfähigkeit ausloten, persönliche Bestzeiten verbessern und verletzungsfrei und lebensfroh bis an Ihr Lebensende weiterlaufen?

Hierzu eine Gebrauchsanweisung für alle über 40, die (erneut) wettkampforientiertes Lauftraining durchführen wollen:

1. Hören Sie zuerst auf Ihren Körper (erst danach auf Ihren Ehrgeiz!)

Sie befinden sich nun in Ihrer zweiten Lebenshälfte. Niemand kennt Sie besser, als Sie sich selbst. Als junger Mensch überhört man regelmäßig die Signale überlasteter Körperstrukturen. Oder man ignoriert sie einfach. Mit 40+ können Sie die Sprache Ihres Bewegungsapparates wesentlich deutlicher verstehen. Sie können hören, ob „das Gras wächst“. Ihre Bewegungsorgane sprechen zu Ihnen in einer ganz individuellen Weise.

Wenn es in bestimmten Muskeln zieht oder zwackt oder sich Gelenke „komisch“ anfühlen, als wären sie von Watte umhüllt, muss nicht unbedingt die vorgenommene Tempo-Einheit durchgezogen werden. Drehen Sie stattdessen eine genüssliche Runde. Sie gönnen damit Ihren Muskeln ein Sauerstoffbad und Ihren Gelenkknorpeln eine Sonder-Schmierung. Ihr Körper kann mit Hilfe von Sauerstoff und Bewegung seine Selbstheilungskräfte am besten aktivieren. So verhindern Sie, dass aus kleinen Schwelfeuern, große, zerstörerische Laufbrände werden. Das ist der sicherste Weg, um längere, verletzungsbedingte Laufpausen zu vermeiden.

2. Fitness ist nicht gleich Gesundheit

Wesentlich schwieriger als die Sprache der Muskeln und Gelenke zu verstehen, ist das Wahrnehmen von Signalen der inneren Organe. Der menschliche Körper ist in diesem Punkt ein Meister im Kaschieren von Schwächen. Die Tatsache, dass Sie (wettkampfmäßig) laufen können, ist keine Garantie, dass Sie frei von Krankheit sein müssen. Warten Sie nicht, bis Ihr Körper den großen Alarm schlägt. Gehen Sie einmal im Jahr zum Gesundheits-TÜV und lassen Sie sich beim Hausarzt Blutdruck, Ruhe-EKG und Stoffwechselwerte im Blut kontrollieren.

Dies ist besonders wichtig, wenn in der Familienvorgeschichte Krankheiten aus diesem Formenkreis vorliegen. Gehen Sie lieber neun Mal zu früh zum Arzt, als ein Mal zu spät. Nutzen Sie die (größtenteils kostenlosen) Krebs-Vorsorge-Untersuchungen. Die moderne Medizin hält ein großes Arsenal von Möglichkeiten parat, um auch schwerste und lebensbedrohliche Krankheiten in ihren Frühstadien komplett zu heilen. Warten Sie nicht bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Viel besser heilt, was frühzeitig behandelt wird.

3. Laufen Sie nicht schneller als Ihre AKTUELLE Leistungsfähigkeit

Sie leben im Heute und nicht mehr im Gestern. Was Sie zehn Jahre zuvor laufen konnten zählt nicht mehr. Wollen Sie das beste individuelle Tempo-Training durchführen, so müssen Sie wissen, was ihr Körper JETZT laufen kann. Dies heraus zu finden ist ganz einfach und geht ganz schnell: Sie brauchen nur eine 400-m-Laufbahn oder einen exakt abgemessenen Kilometer auf ebener Strecke (am besten Asphaltstraße).

An einem Tag, an dem Sie ausgeruht sind, ziehen Sie ihre „schnellen Schuhe“ (in den Sie die letzten Wettkämpfe gelaufen sind) an und überprüfen Sie, was Sie (noch) können. Das geht folgendermaßen:
Laufen Sie sich eine Viertelstunde ganz langsam ein. Machen Sie ihre gewohnte Gymnastik und überhaupt alles, so wie Sie es vor jedem Wettkampf machen. Laufen Sie anschließend wieder 5 min langsam weiter und streuen Sie zwei bis drei Steigerungsläufe von jeweils etwa 20 sec ein. Die Endgeschwindigkeit bei diesen Steigerungsläufen sollten Sie so wählen, dass Sie dieses Tempo höchstens 1 min aushalten würden.

Nachdem sich nach dem letzten Steigerungs-Lauf Ihre Atmung und Ihr Puls wieder beruhigt haben, geht es richtig los .
Machen Sie einen Bestzeit-Versuch über einen Kilometer. Versuchen Sie diesen einen Kilometer „volle Pulle“ zu laufen. Gut bewährt hat sich, einen Laufpartner mitzunehmen, der Sie auf der zweiten Hälfte dieses „Privat-Wettkampfes“ zieht. Die gelaufene Zeit ist Ihre 1.000 m max; der Richtwert, nach dem Sie die Laufgeschwindigkeit für Ihre Tempo-Einheiten auf abgemessenen Strecken (Wiederholungs-Läufe und Intervall-Training) berechnen können.

4. Bestimmen Sie Ihre AKTUELLEN Pulsbereiche

Wer Leistungsfähigkeit verbessern oder über Jahr(zehnte) erhalten möchte, muss in UNTERSCHIEDLICHEN Belastungsbereichen trainieren. Im Chip- und Computer-Zeitalter gelingt dies am elegantesten mit Hilfe der elektronisch ermittelten Herzfrequenz.

Die Herzfrequenz, die Sie auf Ihrem Pulsmesser 5 sec nach Ende Ihres 1.000-m-Bestzeit-Versuchs ablesen, ist Ihre aktuelle maximale Herzfrequenz (Hfmax).
Multiplizieren Sie die ermittelte Hfmax mit den nachfolgenden Multiplikatoren und schon haben Sie die notwendigen Puls-Bereiche für Ihr Training ausgerechnet. Folgende vierBelastungs-Zonen werden benötigt:

• Jogging (JOG) = Puls bewegt sich zwischen 60 und 65 % der Hfmax• Langsamer Dauerlauf (LDL) = Puls bewegt sich zwischen 65 und 70% der Hfmax
• Mittlerer Dauerlauf (MDL) = Puls bewegt sich zwischen 70 und 80% der Hfmax
• Schneller Dauerlauf (SDL) = Puls bewegt sich in Regionen über 80% der Hfmax

5. Jogging: Die angestrebte Herzfrequenz liegt zwischen Hfmax mal 0,6 und Hfmax mal 0,65

Im Jogging-Tempo bewegen Sie sich kaum schneller als bei einem flotten Spaziergang. Nutzen Sie diesen Belastungsbereich als Übergang vom Alltag in das Training (Aufwärmen), als Pausen-Trab zwischen schnellen Trainingsabschnitten und zum Auslaufen. Prüfen Sie mit Hilfe von Jogging, ob eine Verletzung ausgeheilt ist, oder ob es Sinn macht, an einem Tag an dem Sie „ausgebrannt“ sind, trotzdem Ihre Laufeinheit zu absolvieren.

Die Fähigkeit die Drehzahl Ihres „Laufmotors“ hoch zu drehen, verringert sich mit jedem Jahr. Kinder und junge Menschen unter 30 können ohne spezielles Aufwärmen mit ihrem Dauerlauf-Training loslegen, ohne sich wesentlichen Gefahren auszusetzen.

Menschen über 40, die das gleiche machen, laufen Gefahr, vor allem den Bewegungsapparat (Knorpel, Sehnen, Kapseln, Muskeln, Knochen) zu schädigen. Beginnen und beenden Sie jeden Dauerlauf mit 5-10 min Jogging. Ganz egal wie lang oder wie anstrengend dieser Lauf auch sein mag. Erst recht, wenn Sie zwischendurch im anstrengenden Bereich trainieren. So wie Sie ein Oldtimer-Auto erst warm fahren und vor dem Abstellen langsam ausfahren sollen, um lange Jahre Freude an seinem Motor zu haben.

6. Langsamer Dauerlauf („LDL“)

Die Herzfrequenz bewegt sich zwischen Hfmax mal 0,65 und Hfmax mal 0,7.
Auch wenn Sie nur drei Mal pro Woche laufen, mindestens ein Drittel Ihrer Trainings-km sollten Sie in Ihre Grundlagen-Ausdauer investieren. Bestimmte Stoffwechsel-Wege, können Sie nur dann aktivieren, wenn Sie langsam genug laufen. Dies wird um so wichtiger, je länger Ihre geplante Wettkampf-Strecke ist. Der langsame Dauerlauf bereitet Ihren Körper darauf vor, die schnelleren Trainingsmittel zu verkraften und zu verarbeiten.
Vergleichen Sie Ihre Leistungsfähigkeit mit einem Gebäude, das Sie errichten wollen. Der langsame Dauerlauf entspricht den tragenden Böden, auf denen weitere Etagen stehen sollen.

7. Mittlerer Dauerlauf („MDL“)

Die Herzfrequenz bewegt sich zwischen Hfmax mal 0,7 und Hfmax mal 0,8.
Dieser Belastungsbereich trainiert sowohl Ihre Organkraft, Ihren Bewegungsapparat und Ihren Stoffwechsel. Mindestens ein weiteres Drittel Ihrer Trainings-km sollte in diesem Belastungsbereich abgespult werden. Um erfolgreich Wettkämpfe bis zum Halbmarathon zu bestreiten, sollten Sie die Anzahl der Lauf-km, die Ihr angestrebtes Rennen hat, mit 1,5 multiplizieren. Diese Kilometer-Zahl sollten Sie mühelos im MDL laufen können. Im Bild des Gebäudes Ihrer Leistungsfähigkeit ist der mittlere Dauerlauf der Mörtel, der weitere Bausteine miteinander verbindet.

8. Schneller Dauerlauf („SDL“)

Die Herzfrequenz bewegt sich zwischen Hfmax mal 0,8 und der Hfmax mal 1,0.
Zum schneller werden gehört auch schnelles Laufen – keine Frage. Doch wie schnell ist schnell? Orientieren Sie sich bitte nicht an Ihren Wunschvorstellungen oder an Zeiten, die andere Gleichaltrige laufen. Vergessen Sie zunächst die Laufgeschwindigkeit und Ihre angestrebte Wettkampfzeit und orientieren Sie sich stattdessen im Training an Ihrer persönlichen Herzfrequenz.

Das schnelle Dauerlauftempo ist ein Spiel mit Feuer! In der Regel wird es als Renntempo bei Wettkämpfen angeschlagen. Einmal pro Woche im Training flott zu laufen ist in der Regel ausreichend. Nur im Ausnahmefall (und das für 3-4 Wochen pro Jahr) ist es sinnvoll, einen zweiten schnellen Trainingslauf ins Wochenpensum einzubauen.

Ihre Form wird davon nur profitieren, wenn bereits eine stabile Ausdauergrundlage vorhanden ist. Am effektivsten wirkt das schnelle Laufen, wenn es in kleinen Portionen, die nach und nach größer werden, in das Wochenpensum eingebaut wird.

Flechten Sie deshalb Ihre schnellen Abschnitte in einen mittleren oder langsamen Dauerlauf ein. Zunächst nur im einstelligen Minutenbereich. Schauen Sie auf Ihre Pulsuhr und drehen Sie das Tempo wieder runter, sobald die 90%-Marke Ihrer Hfmax überschritten ist. Das ist der erste Schritt, um Ihren Beinen das schnelle Laufen (wieder) bekömmlich näher zu bringen. Im Laufe der Wochen werden Sie merken, wie gut Ihnen das tut. Erweitern Sie anschließend diese Abschnitte auf bis zu 3 x je 10 min pro Tempo-Einheit. Zwischen den Belastungen sollten Sie nicht stehen bleiben, sondern unbedingt weiterlaufen. Schlagen Sie dazu Jogging- oder LDL-Tempo an.

9. Realistische Wettkampf-Zeiten anstreben und das Renntempo üben

Begehen Sie bitte nicht den millionenfach gemachten Fehler, im Tempo-Training schneller zu laufen als Ihre geplante Renngeschwindigkeit. Das bringt nur Verletzungen, Überlastungsreaktionen des Bewegungssystems und Formverlust mit sich. Tempo-Training für Langstreckenläufer hat den Sinn, Ihren Organismus auf die Wettkampf-Belastung zu eichen. Sie verfehlen dieses Ziel, wenn Sie zu schnell laufen. Der sicherste Weg, sich über Jahre zu verbessern ist folgender: Laufen Sie im Training niemals ein Tempo, von dem Sie wissen, Sie könnten es nicht mindestens 10 Minuten durchhalten!

Multiplizieren Sie Ihre persönliche AKTUELLE 1.000-m-Bestzeit mit 12 und Sie wissen, welche Zeit Sie aktuell über 10 km laufen können.

Möchten Sie wissen, was Sie aktuell über Halbmarathon laufen können? MultiplizierenSie Ihre so errechnete 10-km-Zeit mit 2,21.

Wollen Sie wissen, was über 5 km möglich ist? Ziehen Sie von Ihrer errechneten 10-km-optimal-Zeit 1 min ab und teilen den Rest durch 2.

Mit diesen Formeln nach Toni Nett und Manfred Steffny können Sie an das Fein-Tuning Ihres Tempo-Trainings machen.

Üben Sie auf der Stadion-Rundbahn oder auf exakt abgemessener Asphaltstrecke mit Blick auf die Uhr das angestrebte Renntempo in kleinen Portionen.

Eine Variante ist das sogenannte Intervall-Training: Sie laufen 200 m (300m/400 m) im vorher errechneten Renntempo und als Erholungspause die gleiche Strecke im Jogging-Trab.

Eine zweite Variante sind sogenannte Wiederholungsläufe:
Laufen Sie 1.000 m (500/1.500/2.000/ 3.000 m) im angestrebten Renntempo und anschließend 5 bis 10 min im Jogging-Tempo weiter, bis Sie gut erholt die nächste Belastung angehen.
Für beide Formen des Erlernens der Renngeschwindigkeit gilt: Die Strecken-Summe der Belastungen sollte maximal 80% der Wettkampflänge ausmachen. Also für ein 5-km-Rennen maximal 4.000 m, für ein 10-km-Rennen maximal 8.000 m. Für den Halbmarathon sollte die gesamte Belastungslänge nicht mehr als 12 km betragen.

10. Im Alter längere Erholungspausen

Ein Trainingsreiz führt nur dann zur Verbesserung, wenn dem Körper nach Belastungen ausreichend Zeit gegeben wird, um den Reiz zu verarbeiten.
Zu den Binsenweisheiten der Trainingslehre gehört inzwischen das „One day easy – one day hard“-Prinzip von Bill Bowermann und seinen britischen Vorgängern. Sprich: Niemals an zwei Tagen hintereinander hartes Training!

Im Alter über 40 reichen oft 48 Stunden nicht aus, um sich von einem belastenden Training komplett zu erholen. Zu den typischen Veränderungen des Alterns gehört auch die Verlängerung der Regenerationsdauer. Packen Sie nicht zuviele schnelle Läufe in Ihre Trainingswoche. Machen Sie es trotzdem, werden Sie langsamer statt schneller! Das Tempo-Pensum, das ein „junger Hüpfer“(= unter 30) in einer Woche verträgt und zu besseren Wettkampfergebnissen führt, kann für einen Menschen über 40 bereits Raubbau am Körper bedeuten.

Haben Sie sich Wettkampf-Tempo für einen Trainingslauf vorgenommen und Ihre Beine fühlen sich bleischwer an, so lassen Sie es sein! Laufen Sie lieber einen langsamen Dauerlauf oder legen Sie die Beine hoch. Die vorgenommene Einheit vertagen Sie um 1-3 Tage. Machen Sie sich keinen unnötigen Stress.

Sie können nicht mit Gewalt schneller werden – nur mit Bedacht!

Dr. med. TASSO VOUNATSOS in SPIRIDON 5/2008

author: GRR

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