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Gay hat dieselbe Erfahrung gemacht. „Als ich den amerikanischen Rekord gebrochen habe, im Halbfinale, ist es einfach passiert“, sagt er über die Trials in Eugene, Oregon. „Ich bin nicht rausgegangen und wollte so schnell rennen.

Dreikampf im Hundertmeterlauf – Nebensache Weltrekord – Michael Reinsch, Peking, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

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15. August 2008 „Es ist lustig: Wenn Sie sagen, dass Usain 9,72 Sekunden gelaufen ist, wird mir klar, dass ich höchstwahrscheinlich eine 9,6 laufen muss, um ihn zu besiegen“, sagt Tyson Gay. Der Amerikaner ist Weltmeister im Sprint, er ist in der Eröffnungsnacht der Olympischen Spiele von Peking 26 Jahre alt geworden, und niemand muss ihn daran erinnern, dass der 21 Jahre alte Jamaikaner Usain Bolt Weltrekord gelaufen ist.

Gay war dabei an jenem 31. Mai in New York; als Zweiter. So etwas will er nicht noch einmal erleben. „Darauf bereite ich meinen Geist und meinen Körper vor: 9,6 zu laufen. Man muss sich nach dem richten, was die anderen tun.“ Mehr kann der Weltmeister nicht versprechen für das Finale des Hundertmeterlaufs, das im Nationalstadion von Peking, dem Vogelnest, spät an diesem Samstagabend stattfinden wird.

Viermal ist Powell Weltrekord gelaufen

„Drei Leute im selben Lauf zu haben, die 9,7 laufen, vielleicht zwei weitere, die 9,8 laufen, das ist faszinierend. Wenn man sich das Feld anguckt, wer nach vier Runden übrig sein wird – das hat eine historische Dimension.“ Gay wird es voraussichtlich nicht nur mit Bolt zu tun bekommen, sondern auch mit dessen jamaikanischem Landsmann Asafa Powell. Der 25 Jahre alte Powell hat vier der sechs schnellsten Hundertmeterläufe der Welt für sich zu Buche stehen. Viermal ist er Weltrekord gelaufen, 9,74 Sekunden und dreimal 9,77.

Die beiden anderen Zeiten der Top Acht kann Bolt für sich reklamieren. Nach dem Weltrekord ist die Entdeckung der Saison bei den jamaikanischen Ausscheidungen 9,76 Sekunden gelaufen.
 
Und wenn er gewollt hätte, wäre ihm das auch am Freitag in Peking im Viertelfinale gelungen. Mindestens. Aber Bolt zog es vor, wie ein Jogger ins Ziel zu trudeln – in 9,92 Sekunden. Auch Powell spielte in seinem Lauf nur ein bisschen den Sprinter – 10,02 Sekunden. Allein Gay musste sich im Vogelnest ein wenig anstrengen, um in 10,09 Sekunden als Zweiter ins Ziel zu kommen. Erste Hinweise auf die Verfassung der Kandidaten. Mehr nicht.

Powell: „Ich bin kein Roboter“

„Es hat lange nicht mehr so einen Hype um den Hundertmeterlauf gegeben“, freut sich Gay. Er hat im Halbfinale der amerikanischen Trials den amerikanischen Rekord von Maurice Greene in 9,77 Sekunden unterboten. Das Finale gewann er in 9,68 Sekunden; wegen zu starken Rückenwinds gilt die Zeit nicht als Weltrekord. Gay nennt sich „schnellster Hundertmeterläufer der Welt unter allen Bedingungen“. In Peking will er diese Zeit unter regulären Bedingungen erreichen.

Powell vor allem hat etwas gutzumachen in Peking. Im Finale der Weltmeisterschaften von Osaka verkrampfte er und wurde nur Dritter. Er habe einen Fehler gemacht, den man nur einmal im Leben macht, sagt er heute: „Ich war zu zuversichtlich. Ich habe zu sehr versucht, Weltrekord zu laufen in Osaka. Das hat mich das Rennen gekostet.“ Auch deshalb will er diesmal nicht von einem möglichen Weltrekord sprechen. „Ich bin kein Roboter. Ich kann nicht dauernd Weltrekord laufen“, schimpft er. Auch Usain Bolt will nicht an eine Bestzeit denken: „Das Einzige, was ich im Sinn habe, wenn ich im Finale laufe, ist zu gewinnen. Selbst wenn eine 10,05 dabei herauskommt, bin ich glücklich.“

Rekorde? „So etwas passiert einfach“

Er habe niemals in seinem Leben vor einem Rennen vom Weltrekord gesprochen, sagt Powell. „Sie kommen von allein. Ich habe noch nie eine solche Zeit wirklich gewollt. Aber ich weiß, dass ich sie immer wieder laufen kann. Das letzte Mal, als ich eine 9,7 gelaufen bin, habe ich sogar drauf gewartet, dass die Uhr umspringt. Ich war mir sicher, dass sie eine glatte Zehn anzeigen würde. Wenn ich wirklich entspannt bin, bewege ich mich richtig.“ Bei seinem Weltrekord von Rieti, den 9,74 Sekunden drei Wochen nach der bitteren WM-Niederlage, trudelte Powell auf den letzten Metern sogar aus. „Ich habe 70 Meter vor dem Ziel aufgehört zu rennen. Das war schließlich ein Vorlauf.“

Gay hat dieselbe Erfahrung gemacht. „Als ich den amerikanischen Rekord gebrochen habe, im Halbfinale, ist es einfach passiert“, sagt er über die Trials in Eugene, Oregon. „Ich bin nicht rausgegangen und wollte so schnell rennen. Als ich meine windige Bestzeit gelaufen bin, hatte ich auch nicht vor, den Weltrekord zu brechen. So etwas passiert einfach.“ „Wenn du Weltrekord laufen willst, gibst du dein Bestes und betest um Gnade. Wenn es gutgeht, gewinnst du“, sagt Usain Bolt. „Das hängt vom Wetter und vom Wind ab. Du kannst nur hart arbeiten und den technischen Teil beitragen. Du läufst bis zum Zielband und hoffst auf das Beste.“

Bolts Trainer sieht Probleme

Die Hoffnung kann sich sogar erfüllen, wenn der Lauf fehlerhaft ist. „Wenn man sich Usain in New York anschaut“, sagt Tyson Gay, „wenn er einen besseren Start hätte, wenn er sich da und dort verbessert… Ich glaube, er kann eine 9,6 rennen.“ Bolt widerspricht: „Klar gibt es den perfekten Lauf. New York war perfekt.“ Der 1,93 Meter lange Sprinter gesteht aber auch, dass er in seinem Team mit dieser Meinung allein steht: „Mein Trainer sagt, der Lauf war nicht perfekt. Ich will Ihnen was verraten: Er sagt, er habe ein paar Probleme gesehen, an denen wir arbeiten müssen.“

Locker zu bleiben wird für den Olympiasieg wohl nicht reichen.

Michael Reinsch, Peking, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonnabend, dem 16. August 2008

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