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29
04
2011

Auf der anderen Seite ist belegt, dass Alkohol in Maßen die Gesamtsterblichkeit senkt. Vermutlich, weil er die Gefahr von Herzleiden und Hirninfarkten verringert.

Dr. Hartmut Wewetzer vom Tagesspiegel fahndet nach guten Nachrichten in der Medizin. Heute: Nutzen und Nachteil des Alkohols – Die Wahrheit über den Wein

By GRR 0

Gehören Sie auch zu den Menschen, die nach einem anstrengenden Arbeitstag gern ein Glas Wein oder Bier trinken, um abzuschalten? Meist ist dagegen gar nichts zu sagen. Erst recht nicht, seit eine Übersichtsstudie vor knapp zwei Monaten bestätigte, dass maßvolles Alkoholtrinken gut fürs Herz ist. Darüber habe ich hier berichtet.

Jetzt aber schütten Forscher des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam Wasser in den Wein. Sie werteten die europäische „Epic“-Studie aus, in der Ernährungsgewohnheiten Krankheiten zugeordnet werden. Ergebnis der im Fachblatt „British Medical Journal“ veröffentlichten Untersuchung: Alkoholkonsum ist für etwa einen von zehn Krebsfällen bei Männern und einen von 33 Krebsfällen bei Frauen ursächlich.

Beunruhigende Zahlen. Im Zentrum steht Krebs des oberen Verdauungstrakts (Rachen, Speiseröhre), von Brust, Leber und Dickdarm. Am besten wäre es aus Sicht der Potsdamer Abstinenzler wohl, wenn man auf Alkohol verzichtete, zumindest würde das Krebsrisiko sinken.

Das ist jedoch eine Schlussfolgerung, die etwas übers Ziel hinausschießt. Und das nicht nur, weil sie lebensfremd ist oder ich auf mein Feierabendbier ungern verzichte. „Alkohol in Maßen ist vermutlich für die meisten Menschen eine gute Sache“ hat der „Ernährungspapst“ Walter Willett von der Harvard-Universität festgestellt und dafür gute Gründe genannt.

Wie immer entscheidet die Dosis über die Giftigkeit. So sinkt das Krebsrisiko laut der neuen Studie deutlich, wenn man nur jene Personen in Betracht zieht, die moderat Alkohol trinken – Frauen ein Glas, Männer zwei am Tag. Dann sind es bei Männern noch drei und bei Frauen noch eine Krebserkrankung von 100, die auf das Konto des Alkohols gehen. Also viel weniger, aber nicht null.

Auf der anderen Seite ist belegt, dass Alkohol in Maßen die Gesamtsterblichkeit senkt. Vermutlich, weil er die Gefahr von Herzleiden und Hirninfarkten verringert. Er hat einen Nettonutzen für die Gesundheit. „In Maßen“ heißt hier: Frauen ein bis zwei Gläser, Männer zwei bis vier Gläser pro Tag. Wer also dem Alkohol entsagt, um dem Krebs zu entgehen, stirbt vielleicht eher.

Wie groß das Risiko ist, ist dabei auch eine Frage des Geschlechts, der Gene und des Alters. Eine 30-Jährige, die gern mit ihren Freundinnen ein Glas Wein trinkt, dürfte kaum einen Nutzen haben, vom Genuss einmal abgesehen. Denn in ihrem Alter ist das Risiko eines Herzleidens gering, dafür erhöht der Alkohol das Brustkrebsrisiko leicht.

Mit den Jahren ändert sich die Situation. Mehr als zehnmal so viele Frauen sterben an Herzkrankheiten wie an Brustkrebs. Und bei einem 50-Jährigen mit hohem Cholesterin und herzkrankem Vater sieht es ganz danach aus, dass maßvolles Trinken eher nützt als schadet. Vorausgesetzt, er neigt nicht zum Komasaufen.

Das ist die Crux: Je mehr wir wissen, umso schwieriger wird es, den Durchblick zu behalten, vor lauter Risiken nicht den Kopf zu verlieren und das Leben trotzdem zu genießen.

Dr. Hartmut Wewetzer leitet das Wissenschaftsressort des Tagesspiegel.  Sonntag, dem 17. April 2011

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