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18
12
2009

Eigentlich ist Übergewicht das neue Normalgewicht!

Dr. Hartmut WEWETZER vom Tagesspiegel – Ein Kilo mehr oder weniger – Unser Gesundheitsexperte fahndet nach guten Nachrichten in der Medizin. Heute: Übergewicht muss nicht schlimm sein.

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Wie sich die Zeiten ändern. Als ich ein Kind war, wurden dünne und bleiche Kinder in den großen Ferien in spezielle „Erholungsheime“ gesteckt, um fern von daheim aufgepäppelt zu werden. Für nicht wenige von ihnen wurde das zur erheblichen Qual, mästete man sie doch mit fragwürdigen Mehlspeisen und fettigem Fleisch. In den 1960er Jahren galten Kinder mit Pausbacken und strammen Waden als das Nonplusultra.

Diese Epoche ist zum Glück überstanden. Dafür hat man eine Wende um 180 Grad vollzogen. Heute grassiert der Magerwahn. Es regiert der Body-Mass-Index BMI, zu deutsch Körpermasseindex. Der BMI errechnet sich aus der Körpermasse (in Kilogramm) geteilt durch die Körpergröße (in Metern!) zum Quadrat. Ein BMI zwischen 18,5 bis 25 gilt als normal, das Übergewicht beginnt jenseits der 25, die Fettsucht (Adipositas) ab 30.

Dabei ist leichtes Übergewicht gar nicht so schlimm. Das belegt eine Untersuchung von Wissenschaftlern der Uni Hamburg, die vor kurzem im „Deutschen Ärzteblatt“ veröffentlicht wurde. Matthias Lenz, Tanja Richter und Ingrid Mühlhauser werteten alle wesentlichen Studien aus, in denen der Zusammenhang von Übergewicht, Erkrankungshäufigkeit und Sterblichkeit untersucht wurde.

Es stellte sich heraus, dass die Gesamtsterblichkeit bei Übergewicht nicht erhöht war, verglichen mit Normalgewicht. Das ist eine gute Nachricht für all jene mit einem BMI von 25 bis 30. In Deutschland sind immerhin sechs von zehn Männern und vier von zehn Frauen übergewichtig. Im Alter zwischen 50 und 59 ist nur noch jeder fünfte Mann „normalgewichtig“. Eigentlich ist Übergewicht das neue Normalgewicht!

Allerdings wendet sich das Blatt jenseits eines BMI von 30. Dann erhöht sich die Gesamtsterblichkeit um 20 Prozent, bei hochgradiger Fettsucht gar um 200 Prozent. Es sind schon eine ganze Reihe verlorener Lebensjahre, die dem Zuviel an Speck angelastet werden müssen. Ein deutlich erhöhter BMI ist riskant.

Die Hamburger Forscher weisen auf einen interessanten Trend in den USA hin, der ähnlich auch bei uns beobachtet wird. In Amerika verschiebt sich seit Jahrzehnten das Körpergewicht mit der besten Lebenserwartung hin zu höheren BMI-Werten.

Mit anderen Worten: die Menschen werden älter und schwerer. In mittleren Jahren ist ein BMI von 27 mit der geringsten Sterblichkeit verbunden, jenseits der 70 haben Menschen mit einem BMI von 27 bis 35 die besten Überlebenschancen. In diesem Alter heißt es also: Übergewicht, ja bitte.

Das Körpergewicht allein ist nicht besonders aussagekräftig, wenn es um Gesundheitsrisiken geht. Sinnvoller ist es, den Taillen- oder Bauchumfang zu messen. Besonders dann, wenn man in der BMI-Zone zwischen 25 und 30 liegt. Bei Männern erhöht sich das Risiko für Stoffwechselkrankheiten und Gefäßleiden ab einem Umfang von 94 Zentimetern (Frauen: 80), ein deutlich erhöhtes Risiko ist ab 102 Zentimeter (Frauen: 88) zu verzeichnen. Messen Sie mal nach.

Dr. Hartmut Wewetzer leitet das Wissenschaftsressort des Tagesspiegel.  Sonntag, dem 13. Dezember 2009

 

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