Blog
17
08
2010

Vor einem Vierteljahrhundert kamen erstmals Ärzte auf die Idee, Zement in zusammengedrückte Wirbelkörper zu spritzen

Dr. Hartmut WEWETZER – Die Zementfraktion – Dr. Hartmut Wewetzer vom Tagesspiegel fahndet nach guten Nachrichten in der Medizin. Heute: Hilfe bei Wirbelkörperbrüchen

By admin 0

Mächtige antike Säulen kann man im Pergamonmuseum bewundern. Aus Marmor gemeißelt und Jahrtausende alt, tragen sie noch immer ihre Last. Unsere Wirbelsäule ist zwar elegant geschwungen, aber nicht ganz so stabil. Was hauptsächlich daran liegt, dass ihre wesentlichen Elemente, die Wirbelkörper, im Inneren aus einem filigranen Geflecht von Knochenbälkchen bestehen.

Mit den Jahren werden die Wirbelkörper löcheriger und damit brüchiger. Wie morsches Gebälk kann so ein Gebilde in sich zusammensacken. Vor allem, wenn Osteoporose im Spiel ist. Meist leiden Frauen unter porösen Knochen. Zwar gibt es keine genauen Zahlen, aber man schätzt, dass bei jeder zehnten Frau das Risiko eines Wirbelkörperbruchs besteht. Schmerzen, Behinderung und schlechte Lebensqualität können die Folge sein.

Vor einem Vierteljahrhundert kamen erstmals Ärzte auf die Idee, Zement in zusammengedrückte Wirbelkörper zu spritzen, um diesen so zu neuer Stärke und alter Größe zu verhelfen. Gewissermaßen eine Säulentherapie im Geist der alten Griechen. Statt feiner Knochenbälkchen massive Gesteinsmasse. Vertebroplastie heißt das Verfahren, das in den letzten Jahren einen großen Aufschwung erlebt hat.

Denn Wirbelkörperbrüche sind häufig und werden noch häufiger, weil wir immer älter werden. Jetzt haben niederländische und belgische Ärzte die Vertebroplastie mit „konservativer“ Behandlung verglichen. Die konservative Therapie besteht vor allem in Schmerzlinderung.

Ergebnis der im Fachblatt „Lancet“ veröffentlichten Studie laut der beteiligten Ärzte: Bei besonders hartnäckigen Schmerzen nach einem Wirbelkörperbruch verschafft die Vertebroplastie rasche und anhaltende Linderung und ist der Schmerztherapie überlegen.

Trotzdem überzeugt das Ergebnis nicht alle Fachleute. „Der Erfolg der Behandlung mag in der Untersuchung statistisch bedeutsam sein, aber in der Realität ist er weit weniger ausgeprägt“, sagt Dirk Stengel vom Zentrum für klinische Forschung am Unfallkrankenhaus Berlin. Nach einer von Euphorie getragenen Anfangsphase gab es im letzten Jahr einen herben Rückschlag für die Vertebroplastie. Zwei Studien kamen zu dem Ergebnis, dass die Wirbelzementierung kaum besser als eine Scheinbehandlung ist, eine Placebotherapie.

Die Debatte um Sinn und Unsinn der Vertebroplastie wird also weitergehen. Dabei sollten auch die Nebenwirkungen berücksichtigt werden, sagt Stengel. Häufig tritt Zement aus dem Wirbelkörper in die Umgebung aus, etwa in Venen. Am Unfallkrankenhaus Berlin arbeitet man daher mit einer Variante der Vertebroplastie, genannt Kyphoplastie. Dabei wird zunächst ein Ballon in den Wirbel eingeführt und dann mit Zement gefüllt. So sollen Lecks vermieden werden.

„Oft gelingt es mit Medikamenten und Krankengymnastik, die Patienten von ihren Schmerzen weitgehend zu befreien“, sagt Stengel. Er schätzt, dass nur jeder 20. dann tatsächlich eine Zementspritze ins Rückgrat braucht.

Dr. Hartmut Wewetzer leitet das Wissenschaftsressort des Tagesspiegel. Sonntag, dem 15. August 2010

author: admin

Comment
0

Leave a reply