DOSB-Chef Alfons Hörmann möchte die Spitzensportförderung zukünftig verändern. ©DOSB
DOSB-Präsident Hörmann: „Deutschland ist ein Teamsport-Land“ – Anno Hecker und Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Der entscheidende Punkt ist, dass wir mit den Verbänden erst einmal den Betrieb 2017 und 2018 am Laufen halten. Wir brauchen eine Übergangszeit, und jeder Verband braucht bald Klarheit und Sicherheit. Diejenigen, die leistungsbereit und leistungsfähig sind, sagen wir mal die Kanuten, die Reiter, die Schützen, um unsere Parade-Sportarten zu nennen, sind alle sehr gelassen und sagen: Wird schon funktionieren.
Die Schwimmer dürften größere Sorgen haben…
Einfach zu definieren weniger Erfolg gibt weniger Förderung, wäre eine unverantwortliche Interpretation. So kann man strategisch nicht vorgehen, weil man damit zugleich an der traditionell sehr breit aufgestellten Grundstruktur unserer Verbandslandschaft rüttelt. Es ist überhaupt nicht das Ziel, dass wir einen oder mehrere Verbände vollständig rausnehmen aus der Förderung. Aber diese Gerüchte geistern immer wieder durchs Land und verunsichern völlig unnötig engagierte Sportkollegen im Ehren- und Hauptamt.
Es soll drei Cluster geben, und einer ist definiert mit null Förderung.
Erinnern Sie sich an Curling oder Eisschnelllauf nach den Spielen von Sotschi? Da hatten wir ebenfalls eine völlig unbefriedigende Situation und wir sind gemeinsam klar und deutlich in die Verantwortung gegangen. Es hat Wechsel bei Bundestrainern und den Generaldirektoren gegeben und in beiden Verbänden auch nennenswerte Veränderungen im Präsidium. Auf dieser Basis haben beide Verbände auch weiterhin eine solide Finanzausstattung erhalten. Dies ist der entscheidende Punkt: Diejenigen, die keine Erfolge haben, müssen uns – Innenministerium und DOSB – aufzeigen, mit welchen Konzepten sie den Zustand ändern wollen. Wenn keine plausiblen Antworten kommen, stellt sich naturgemäß die Frage: Kann man unter diesem Aspekt Potential ableiten und weiter Gelder der öffentlichen Hand investieren oder muss man Fördermittel von diesem Verband in andere Verbände oder Projekte umleiten?
Sie sprechen von der Verbandsförderung?
Die anderen Mittel des Sports werden wir ebenfalls sachgerecht evaluieren, zum Beispiel für Stützpunkte und Sportanlagen. Man hat beispielsweise den Eindruck, dass jeder Spitzenschwimmer in Deutschland, ich sage es mal bewusst etwas überspitzt, sein eigenes Schwimmbad hat. Auch bei den Fechtern sind grundsätzliche Fragen offenkundig seit langem ungelöst. In einer der weltweit besten Hallen in Tauberbischofsheim sind nur noch einige wenige zugange, aber wir haben zusätzlich in Heidenheim und in Bonn Fechtzentren. Brauchen wir die bei der heutigen Anzahl von Top-Athleten tatsächlich alle? Oder müssen wir Hilfe zur Selbsthilfe leisten und mit dem Verband ein Konzept der Konzentration entwickeln. Denn gerade der permanente Wettstreit von Spitzenathleten auch im Training ist bei den erfolgreichen Verbänden ein elementarer Erfolgsgarant.
Die Schwimmer lebten in Peking nur von Britta Steffen, die dort zwei Mal Gold gewann. Sie haben in London ihre Ziele verfehlt und in Rio einen sechsten Platz als bestes Ergebnis geboten. Erwarten Sie personelle Konsequenzen?
Die Schwimmer sind an einem Punkt angelangt, an dem es nichts gibt, das man nicht selbstkritisch hinterfragen müsste. An dieser Stelle ist nun eine Zäsur notwendig, und darüber wird ja erfreulicherweise nun auch bereits intensiv im Verband diskutiert. Wir haben die Hoffnung, dass dort die Weichen zügig neu gestellt werden.
Wer wird bei der Spitzensportgestaltung künftig welche Rolle einnehmen?
Ich bin dazu mit Minister Thomas de Maizière absolut einig: Unsere Aufgabe ist es, die sportfachliche Beurteilung und Führung zu übernehmen. Daraus müssen unter Einbeziehung von Experten gemeinsame Förderentscheidungen von BMI und DOSB resultieren. Und ich kann gut akzeptieren, dass in letzter Konsequenz der Minister ein Vetorecht für den Geldgeber behält. Denn letztlich muss er gegenüber dem Parlament und dem Steuerzahler die Verantwortung für die sachgerechte Verwendung der Mittel übernehmen.
Den Verbänden liegt ein Brief aus dem Innenministerium vor, der Ihnen 75 Prozent der Mittel dieses Jahres ankündigt und zwar allein für 2017. Wie sollen der Schwimm- oder andere Verbände unter diesen Voraussetzungen Trainer verpflichten oder deren Verträge verlängern?
Das war nicht im Detail abgestimmt und ist teilweise missverständlich formuliert. Das BMI hat in redlicher Absicht einen Teil des Fördergeldes zusagen wollen, um eine gewisse Sicherheit für die kommenden Monate zu schaffen. Aber da wir gemeinsam nicht wollen, dass wir einerseits eine Reform beschließen, andererseits alles weitergeht wie bisher, gilt das vorerst lediglich für ein Jahr. Selbstverständlich müssen die Verbände Verträge mit Trainern schließen. Wir haben ihnen gesagt, sie sollen sich erst einmal auf Olympia konzentrieren; sobald wir zurück in Deutschland sind, sehen wir weiter. Wir lassen keinen Verband im Regen stehen; in letzter Konsequenz könnte das ja seine Existenz gefährden, wenn jemand Trainerverträge macht und kein Geld mehr bekommt. Das BMI und wir werden in den nächsten Wochen die notwendige Klarheit schaffen.
Sind Sie zufrieden mit dem Auftritt der Olympiamannschaft in Rio?
Mit 17 Goldmedaillen haben wir tolle Spitzenleistungen gesehen, und die 42 Medaillen insgesamt sind auch im Bereich dessen, was wir als ambitioniertes Ziel definiert hatten. Doch es gab auch unbefriedigende Ergebnisse: Möglichst viele Athleten mitzunehmen, indem man sogar die Qualifikationsnormen gesenkt hat, führte zu erkennbar inakzeptablen Ergebnissen. Gerade in der Leichtathletik hat das teilweise Plazierungen oder Rennverläufe gebracht, die nur bedingt sinnvoll scheinen. Vor allem auch, wenn man den nicht unerheblichen Mitteleinsatz für die Entsendung eines jeden einzelnen Athleten sieht. In anderen Sportarten haben es Athleten trotz bester Vorbereitung durch die Bank nicht geschafft, bei den Olympischen Spielen Bestleistungen abzurufen. Das ist mehr als bedenklich. Die beste Nachricht ist: Deutschland war und ist ein Land von beeindruckenden Teamsport-Erfolgen.
Wird die Erkenntnis Folgen haben?
Ja, wir diskutieren zum Beispiel intensiv mit dem Innenministerium: Wie viele B-Kader müssen wie lange finanziert werden, damit – zum Beispiel – die Tischtennisspieler Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov oder andere Spitzenathleten auch im Training permanent herausgefordert werden können?
Wie haben Ihnen die Auftritte der Teams aus den Ballsportarten gefallen?
Hervorragend. Unsere Spiel- und Ballsportarten haben uns große Freude bereitet. Wenn die Volleyballer und die Basketballer sich qualifiziert hätten, hätten sie hier sicher auch eine gute Rolle gespielt. Unsere Kultur lebt eben erkennbar nicht in erster Linie davon, dass wir alle vier Jahre zwei Wochen lang Medaillen zählen. Die Liga-Betriebe, die Weltcups, das ist das eigentliche Rückgrat unseres Spitzensports und zugleich wertvollste Motivation für die Basis von Sportdeutschland. Das Abschneiden der Ballsportarten, aber auch der so zahlreich erfolgreichen Verbände hier in Rio ist auch der wertvolle Beweis, dass die Struktur des deutschen Sports weitgehend in Ordnung ist – allen Unkenrufen und fehlerhaften Unterstellungen zum Trotz. Mit den Erfolgen von beiden Fußballteams, von Handball und beiden Hockeymannschaften haben wir nun etwa 150 Medaillengewinner im Team. Jeder dritte Athlet aus unserer Olympia-Mannschaft kommt damit mit einer Medaille nach Hause.
Das ist eine eigenwillige Rechnung. Der Achter bringt demnach neun Medaillen, Fußball 22…
Ja, denn es sind doch neun Olympiasieger oder 22, die mit einer Medaille nach Hause kommen. Wir können die offizielle Zählweise, dass Mannschaften nur mit einer Medaille ausgezeichnet werden, nicht ändern. Aber meine Rechnung berücksichtigt, dass alle, die am Erfolg beteiligt sind und international durch die Medaille ausgezeichnet werden, auch definitiv zählen.
So kommt man leicht auf ein Plus von dreißig Prozent Medaillen, wie es de Maizière fordert.
Das will ich damit nicht sagen beziehungsweise erreichen, aber 150 Medaillengewinner werden von 150 Bürgermeistern und Landräten an 150 Orten gefeiert. Auch die entsprechende Anzahl von Vereinen, Stützpunkten, Landessportbünden erhält damit eine enorm wichtige Form der Anerkennung und die motivierende Bestätigung für das Geleistete. Diese Dimension müssen wir alle sehen, denn das schafft den Nährboden für die Unterstützung des Sports von morgen.
Bedeutet die Resonanz, die Mannschaften in der deutschen Öffentlichkeit haben, dass Basketball, Volleyball, Hockey stärker gefördert werden sollten?
Ausdrücklich ja mit drei Ausrufezeichen. Es gibt ein Ungleichgewicht, und wir dürfen in diesen Fällen nicht nur das Potential der einen möglichen Medaille pro Mannschaft bewerten. Das werden wir im Evaluierungsprozess berücksichtigen. Wenn die Berechnungsgrundlagen stimmen, wird unser Bewertungssystem das ohnehin empfehlen. Wenn nicht, werden wir das in der sportfachlichen Abstimmung sachgerecht korrigieren.
Was ist mit Sportarten, die international von Doping beherrscht werden? Wollen Sie Gehen und Gewichtheben aus dem Programm nehmen?
Im Grunde müsste man fast über einen Doping-Faktor nachdenken bei der Bewertung. Man könnte natürlich wieder einfach sagen: Wir ziehen uns aus Sportarten zurück, in denen stark manipuliert wird. Aber das wäre wohl völlig falsch. Wir würden damit ja diejenigen bestrafen, die – toi, toi, toi – sauber in solch einer schwierigen Situation kämpfen.
Kann man denn auf einen solchen Faktor verzichten?
Nein. Das Thema wird natürlich zu berücksichtigen sein. Aber wer bestimmt den Faktor anhand welcher Erkenntnisse und Faktoren?
Was wollen Sie dann konkret tun?
Wir müssen prioritär international alle gemeinsam unseren Einfluss nutzen, dass die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) endlich ihren Verpflichtungen nachkommt. Die Unzulänglichkeiten, die bekannt geworden sind, sind wohl nur die Spitze des Eisberges. Wie es dort läuft, kann und darf es nicht weitergehen. Das Problem Doping besteht eben nicht nur in Russland. Es ist in einigen Sportarten dramatisch.
Was erwarten Sie?
Wir können keinen anderen Weg gehen als den, den IOC-Präsident Thomas Bach angekündigt hat: einen internationalen Gipfel zu veranstalten und intensiv und kritisch diskutieren, ob die Aufstellung der Wada in der heutigen Struktur überhaupt geeignet ist, das Problem wirkungsvoll zu bekämpfen. Die weltweite Politik als fünfzigprozentiger Teilhaber der Wada positioniert sich öffentlich gern und klar gegen Doping. In den entscheidenden Arbeitssitzungen der Wada wird sie dann offenkundig von ahnungslosen Mitarbeitern der dritten und vierten Ebene vertreten. So lässt sich Chancengleichheit für unsere Sportler künftig nicht herstellen.
Anno Hecker und Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 23. August 2016
Quelle: F.A.Z.