
Bundesinnenminister de Maiziere und DOSB Präsident Hörmann ©BMI - Bundesministerium des Innern
DOSB nach Olympia-Aus Angst vor der feindlichen Übernahme durch die Politik – Anno Hecker und Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Vor weniger als einer Woche ist die Hamburger Olympiabewerbung gescheitert, das Hau-Ruck-Projekt des deutschen Sports.
Statt bei der Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) an diesem Samstag in Hannover die Wunden zu lecken und nur darüber nachzudenken, woher Schwung für die Erneuerung des Sports kommen soll, sehen sich die Sportverbände gezwungen, den Versuch einer feindlichen Übernahme abzuwehren – ausgerechnet vom größten Förderer des Spitzensports in Deutschland, dem Bund.
Seit dieser Woche steht die Idee der Verstaatlichung des Spitzensports in Deutschland als Drohung im Raum.
Noch bevor der DOSB dem Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) die Hausaufgaben vorlegen kann, nämlich die Organisation zu straffen und die Medaillenausbeute um ein Drittel zu erhöhen, prescht das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp), eine Einrichtung des BMI, mit dem Plan für eine „staatliche Steuerungs- und Koordinierungsebene unter dem Dach des BMI“ vor. Ihr Kern ist ein „Bundesamt für Sport“.
Eskalation im Streit zwischen Sport und Politik
Dieser Plan ist mehr als eine weitere Eskalation im Streit zwischen DOSB und BMI, in der auch von persönlicher Aversion geprägten Auseinandersetzung zwischen dem DOSB-Vorstandsvorsitzenden Michael Vesper und Sport-Abteilungsleiter Gerhard Böhm. Das „Bundesamt für Sport“ soll den Haushalt der gesamten Sportförderung des Bundes übernehmen und wichtigster Teil werden „eindeutig geregelter Steuerungs-, Kommunikations- und Koordinierungsstrukturen für alle organisatorischen, finanziellen, fachlichen und qualitätssichernden Belange“.
Das Innenministerium stellt rund 150 Millionen Euro pro Jahr für die Spitzensportförderung zur Verfügung. Der DOSB soll („in Abstimmung mit dem BMI“) die sportfachliche Steuerung und das Controlling der Verbände übernehmen.
In der Aufzählung aktueller Defizite wirft das BISp den sportwissenschaftlichen Einrichtungen Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig und dem Forschungsinstitut für die Entwicklung von Sportgerät (FES) in Berlin, die ausschließlich für deutsche Sportverbände arbeiten, einen geringen Forschungsanteil ihrer Arbeit und mangelnde Qualität ihrer Projektkonzeptionen vor; ihr Monopol mache die Institute träge, verhindere Innovation und limitiere einen möglichen Wissensvorsprung.
Alarmiert sind die Repräsentanten des Sports, weil die Politik ernst zu machen scheint mit ihren Plänen. „3 Millionen Euro Sportfördermittel für 'Momentum', die am organisierten Sport vorbei politisch lanciert wurden, diskreditieren und konterkarieren jedwede Bemühung, den Spitzensport in Deutschland neu aufzustellen“, schrieben die Leiter von drei großen Olympiastützpunkten an Dirk Schimmelpfennig, den Vorstand für Leistungssport im DOSB.
Der Haushaltsausschuss des Bundestags hatte dem „Momentum“-Projekt der Sporthochschule Köln zum Transfer von sportwissenschaftlichen Erkenntnissen in die Praxis mit einer Millionen-Finanzspritze wie aus heiterem Himmel überregionale Bedeutung verschafft.
Dies sei der Beleg, dass Politik und Innenministerium die Steuerung des Spitzensports durch den selbstverwalteten Sport nicht wollten. Bevor die Evaluierung der Organisation des deutschen Spitzensports durch eine Steuerungsgruppe unter Führung von Innenminister de Maizière und von DOSB-Präsident Alfons Hörmann mit sieben Arbeitsgruppen sowie durch die Unternehmensberatung Kienbaum abgeschlossen sei, würden Tatsachen geschaffen, die weder der organisierte Sport noch die Wissenschaft wollten.
Vorbild England
„Daher sind wir enttäuscht, wie die Politik den Deutschen Olympischen Sportbund an dieser Stelle brüskiert“, schreiben die drei Praktiker und fordern den DOSB auf, tätig zu werden. Wie zur Bestätigung kamen nun die Pläne vom Bundesamt für Sport. „Wir hatten uns geeinigt, die Beratungen intern zu führen und nicht mit öffentlichen Wasserstandsmeldungen zu operieren“, sagte Vesper am Freitag:
„Eines ist klar, der DOSB ist keine Unterabteilung des BMI.“ Präsident Hörmann will auf der Vollversammlung die Ansprüche des Staates energisch zurückweisen.
Die Gründung eines Bundesamtes für Sport auf Basis dieses Konzeptes hätte weitreichende Folgen für den Sport; unter anderem wären IAT und FES überflüssig, weil Athleten und Sportarten an einzelnen (Olympia-)Stützpunkten mit Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen am Ort kooperieren und ansonsten ein freier Wettbewerb in sportfachlicher Kompetenz herrschen sollen.
Dazu gehört auch die Konzentration der Spitzenathleten an jeweils einem oder möglichst wenigen Stützpunkten. So wie das BISp den Instituten IAT und FES Mängel vorwirft, wird es aus den Verbänden und aus diesen Einrichtungen kritisiert. Sie werfen dem BISp vor, mehr als acht Jahre lang ein Konzept von IAT und FES für ein nationales Wissenschaftsmanagement verhindert zu haben.
Unter dem Druck, effektiver werden zu müssen, zeichnet sich für den Spitzensport eine Ausgliederung aus der gegenwärtigen Struktur ab. Eine Verstaatlichung, aber auch Privatisierung in dem Sinne, dass der DOSB die gesamte Sportförderung des Bundes verwaltet, scheiden als tragfähige Modelle wohl aus. Realistisch erscheint eine eigenständige Organisation für die Steuerung und Finanzierung des Spitzensports unter dem Dach des DOSB; Staat und Sport könnten im Aufsichtsrat gleichberechtigt vertreten sein.
Seit den Erfolgen britischer Athleten bei den Olympischen Spielen von London 2012 (65 Medaillen, davon 29 goldene/ Platz drei im Medaillenspiegel) gilt die halbstaatliche Agentur „UK Sports“ als Vorbild.
Anno Hecker und Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Freitag, dem 4. Dezember 2015