Aber in Deutschland ist das Medaillengewinnen viel zu wichtig geworden, mittlerweile wirkt es so, als reiche es dem Sportland schon, wenn fast konkurrenzlose Rodelfrauen mit ihren Siegen die nationale Eitelkeit befriedigen.
DOSB-Mitgliederversammlung Medaillentaumel statt Nachhaltigkeit – Ein Kommentar von Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung
Mittlerweile reichen dem Sportland offenbar die Siege fast konkurrenzloser Rodelfrauen, um die nationale Eitelkeit befriedigen. Dabei gibt es ganz andere Herausforderungen.
Die Rede des DOSB-Präsidenten Thomas Bach auf der Mitgliederversammlung in München hat ziemlich genau die Tiefe gehabt, die man von einer Funktionärsrede erwarten kann. Nämlich eher keine, stattdessen: viel Eigenlob, ein paar Mahnungen, nichts Besonderes. Sicher, diese eine Passage ist seltsam, in der er erklärt, dass "die Rolle und Vorbildwirkung des Sports in der Gesellschaft wohl seit dem antiken Griechenland nie mehr so bedeutend war wie heute".
Erstens sollte niemand die Antike unterschätzen, der nicht dabei war. Zweitens gibt es immer noch so viel Doping und Korruption im Sport, dass der Satz eine glatte Beleidigung für die antiken Griechen ist.
Wie gesagt: So sind Funktionärsreden eben, oft etwas flacher. Ärgerlicher ist da schon, dass der Bundesinnenminister de Maizière sich so sehr dem schwarzrotgoldenen Medaillentaumel ergeben hat, dass er über den Sport gar nicht mehr richtig nachdenkt. "Eigentlich ist nur im Sport der Leistungsbegriff positiv besetzt", hat er in München gesagt.
Werden gute Leistungen nicht überall geschätzt? Ist es nicht eher so, dass der Leistungsbegriff gerade im Sport umstritten ist, wenn es um die Frage geht, welchen Preis Leistung haben darf? Setzt de Maizières Ministerium zum Beispiel auf die richtigen Leistungen, wenn es am Sportstättenbau, also der nachhaltigen Sportentwicklung im Land, spart, um nicht an der Leistungssport-Förderung knapsen zu müssen?
Es stimmt, Leistungssport ist wichtig, es braucht diese Werbeplattform für die Basis. Aber in Deutschland ist das Medaillengewinnen viel zu wichtig geworden, mittlerweile wirkt es so, als reiche es dem Sportland schon, wenn fast konkurrenzlose Rodelfrauen mit ihren Siegen die nationale Eitelkeit befriedigen. Dabei gibt es ganz andere Herausforderungen.
Die Einführung der Ganztagsschule erfordert es, das Verhältnis von Schulen und Sportvereinen zu überdenken, die Chancen zu ergreifen, die sich aus der neuen Konstellation ergeben, die Energien klug ineinanderlaufen zu lassen. Zugegeben, das ist schwieriger, als die teure deutsche Bob-Herrschaft zu sichern. Dazu braucht es wohl auch wieder Geld für den Sportstättenbau.
Aber wenn es gelänge, wäre das eine Leistung der besonderen Art.
Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung, Montag, dem 6. Dezember 2010