Karsten Schölermann (Hamburg) ©Heiko Dobrick, www.laufen-in-hamburg.de
DLV-Beschluss mit weitreichenden Folgen (3): Teilnahmeberechtigung für Deutsche Meisterschaften geändert
Mit dem Aufsehen erregenden Beitrag „Neue DLV-Regelung erschwert Integration von Flüchtlingen und Asylbewerbern in Deutschland“, erschienen am 5. April 2017 bei www.germanroadraces.de, hat die Interessenvereinigung der großen Läufe (GRR) eine Diskussion entfacht.
In mehreren Beispielen aus der Praxis soll versucht werden, die in dieser Form vom DLV verabschiedete Regelung in Frage zu stellen.
GRR fordert vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) eine Abkehr von dieser starren und restriktiven Haltung.
German Road Races (GRR) e.V.
Erst mit einem Artikel auf „Leichtathletik.de" vom 22.11.2016 wurde erläutert was bereits im Sommer 2016, und ohne vorherige öffentliche Diskussion, vom DLV-Verbandsrat beschlossen wurde.
Demnach sind bei allen DLV-Meisterschaften aller Altersgruppen nur noch Sportler und Sportlerinnen teilnahmeberechtigt, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben.
Wie war es bisher?
Bislang hieß es gemäß DLO 5.2.1.: „Sämtliche Meisterschaften sind grundsätzlich offen für alle Athleten, die die deutsche Staatsbürgerschaft und ein gültiges Startrecht für einen deutschen Verein/LG haben." Das bleibt auch so.
Gestrichen wurden nun aber die Punkte 5.2.2 und 5.2.3. der DLO:
5.2.2.: „EU-Bürger sind an Deutschen Meisterschaften teilnahmeberechtigt, wenn sie ein Startrecht für einen deutschen Verein/LG besitzen und dieses seit einem Jahr besteht."
5.2.3.: „Nicht-EU-Staatsbürger sind teilnahmeberechtigt, wenn sie mind. 1 Jahr ihren ständigen Aufenthalt im DLV-Gebiet und in dieser Zeit ein Startrecht für einen deutschen Verein haben sowie im laufenden und vorigen Jahr nicht für den Heimatverband bzw. an dessen Meisterschaften gestartet sind."
Zwei Federstriche – große Auswirkungen
Bereits Anfang Oktober 2016 meldeten die DLV-Landes-Seniorenwarte auf ihrer Herbsttagung in Darmstadt Bedenken an: „Die Seniorenwarte sehen keine Probleme in der Teilnahme von ausländischen Athleten an Deutschen Senioren-Meisterschaften nach der bisher gültigen Regelung. Der Bundesausschuss wird gebeten, eine Beibehaltung der alten Regelung im Bereich der Senioren zu beantragen."
Geändert hat sich seitdem aber nichts nichts. EU-Ausländer, die zum Teil seit Jahrzehnten in Deutschland leben und in deutschen Vereinen starteten, können seit 1.1.2017 nicht mehr bei Deutschen Senioren-Meisterschaften Titel und Medaillen gewinnen.
Aber auch in der Hauptklasse wird nun alles komplizierter. 2016 wurde die anerkannte Asylbewerberin Melat Yisak Kejata offiziell Deutsche Meisterin im 10 km Straßenlauf.
Seit dem 1.1.2017 werden ihre herausragenden Leistungen, die sie auf hessischer-Landesebene für den PSV Grün-Weiß Kassel erbringen darf, und dort auch Hessische Meisterin werden kann, nicht mehr für die Deutsche Rangliste gewertet.
Und natürlich steht sie damit auch für keine Teamleistung mehr zur Verfügung, die ggfs. als Qualifikation für Deutsche Meisterschaften gelten soll. „Wie soll ich das meinen Athleten vermitteln?" fragt Trainer Winfried Aufenanger. „Wir haben immer Wert darauf gelegt, gute Teams zu stellen". Das solche Talente ihre Wettkampfplanung künftig nach internationalen Straßenläufen ausrichten, dürfte die unmittelbare Folge sein.
Keine Leihsportler mehr
Der DLV argumentiert: „Durch die neuen Vorgaben soll die Praxis unterbunden werden, dass deutsche Vereine sich in einem Nachbarland integrierte Sportler für einen DM-Start „ausleihen", um so ihr Erfolgskonto aufzubessern…". „Die Regelungsänderung bezweckt zunächst in erster Linie, sicherzustellen, dass die Deutschen Meisterschaften zur Ermittlung des besten deutschen Staatsangehörigen dienen.", begründet DLV-Präsident Clemens Prokop die Regeländerung und ergänzt: "So hat es in der Vergangenheit zahlreiche Beschwerden von Vereinen gegeben, bei denen das Alter von Athleten angezweifelt wurde, die aus dem Ausland kamen. Oder wo andere Vereine beschuldigt wurden, die nach dem alten Regelwerk notwendige einjährige Mitgliedschaft in einem Verein nicht korrekt abgewickelt zu haben, sondern aus dem Ausland Athleten kurzfristig hier eingeflogen zu haben, um schnell an Meistertitel zu kommen."
Hätte man das nicht auch mit einer weniger groben Änderung der DLO erreichen können?
GRR Standpunkt: Das ist das Gegenteil von Inklusion
Der Begriff Inklusion hat seine Wurzeln im Lateinischen. Es bedeutet als Verb („includere") „einlassen" und „einschließen", als Substantiv („inclusio") „Einschließung" und „Einbeziehung". „Als soziologischer Begriff beschreibt das Konzept der Inklusion eine Gesellschaft, in der jeder Mensch akzeptiert wird und gleichberechtigt und selbstbestimmt an dieser teilhaben kann – unabhängig von Geschlecht, Alter oder Herkunft, von Religionszugehörigkeit oder Bildung, von eventuellen Behinderungen oder sonstigen individuellen Merkmalen." (Andrea Schöb, Juli 2013)
Integration im Sport ist ein Teil der Inklusiven Gesellschaft
So auch im Sport. Sport basiert auf einem Ansatz, der im Wesentlichen auf der Wertschätzung der Vielfalt beruht. Sport treiben Menschen, egal welcher Herkunft und Kultur, gemeinsam. Auch Vereine und Laufveranstalter betätigen sich in diesem „ganzheitlichen Sinne" inklusiv.
Dabei werden Sportler mit geistigen oder körperlichen Behinderungen genau so „integriert" wie sozial Benachteiligte (Geflüchtete, benachteiligte Jugendliche, sozial Schwache u.s.w.).
Was wir von unserem Verband erwarten:
„Kein Startrecht mehr für ausländische Sportler aus deutschen Vereinen bei Deutschen Meisterschaften" – ist ein inklusionsschädlicher Beschluss. Das was der Verband erreichen wollte lässt sich mit weniger weitreichenden Beschlüssen umsetzen, ohne die gesamte Arbeit an der Basis so nachhaltig zu erschüttern.
Auch ein Blick in die Teamsportarten (Fussball, Handball, Eishockey u.s.w.), in denen ausländische Sportler selbstverstänlich Deutsche Meister werden können obwohl sie nicht für die Nationalmannschaft nominiert werden können, lässt erkennen, das der DLV über das eigentliche Ziel hinausgeschossen ist.
Sport ist ein Teil der unserer Werte und unserer Kultur. Der sportliche Wettkampf ist dabei Ausdruck dieser Werte unserer Gesellschaft. Wer diesen Zugang begrenzt handelt diesen Werten zuwider.
Was wir selber tun können
Eine erste Abfrage unter den GRR-Laufveranstaltern ergab, dass alle Veranstalter im o.a. Sinne sozial-inklusiv für die Gesellschaft tätig sind. So arbeitet beispielsweise der Karlsruhe Marathon mit einer Aufnahmestelle für Geflüchtete zusammen, stellt ein Freistartkontingent und Betreuung für die Teilnahme zur Verfügung. Gute Läufer werden dann an Vereine vermittelt.
In Leverkusen (ELV Halbmarathon) geht man noch einen Schritt weiter und vermittelt neben den Freistarts auch kostenlose Laufbekleidung und Laufschuhe. Und es gibt kostenfreie Kurse „In 20 Wochen zum Halbmarathon" für Sozialschwache aller Schichten und Herkunft.
Mustergültig ist die Arbeit des Kassel-Marathon. „Wir arbeiten schon seit über 20 Jahren mit Geflüchteten" kann Winfried Aufenanger berichten (GRR Artikel: „Der PSV lebt Integration in jeder Hinsicht vor"). Fluchtursachen seien Normalität – und keine Ausnahmeerscheinung und die Begleitung der geflüchteten Sportler in jeder Hinsicht eine anspruchsvolle Aufgabe. Begleitung bei den „langen Wegen" gehöre beim Ausdauersport wie bei den Wegen zum Ausländeramt dazu. Hinzu komme Antragshilfe und Hilfe bei Wohnungs- und Jobsuche.
Belohnung dafür sind die vielen Erfolgsgeschichten
Viele der vor Jahrzehnten begleiteten geflüchteten Sportler sind mittlerweile eingebürgert, haben Familien gegründet und begleiten nun ihrerseits Neuankömmlinge oder allein reisende jugendliche Asylbewerber. Das Laufen, z.B. die Marathonvorbereitung, bietet dafür ideale Voraussetzungen: Der Sportler wird nie isoliert, und findet in der Trainingsgruppe schnell soziale Kontakte.
Schnell treten jedoch ganz praktische Probleme in den Vordergrund. Schon der gemeinsame Besuch eines Trainingslagers im Ausland lässt sich nicht mit den Asyl-Regeln verbinden und macht lange Wege erforderlich bezüglich des Aufenthaltsstatus oder erforderlicher Anträge. Ist der Aufenthaltsstatus – ggfs. nach einem Gerichtsverfahren – erst einmal geklärt, folgen Anstrengungen zur Vermittlung von Praktika oder einer Ausbildung, und über allem steht das Erlernen der deutschen Sprache.
Etwas zurückgeben
Über allen diesen Engagements steht der Wunsch „etwas zurück zugeben". Wir leben in Frieden und Wohlstand – soziales Engagement ist somit eine Form von Dankbarkeit. Und gelebte Verantwortung für die Gesellschaft, die uns dieses Leben ermöglicht.
„Niemandem von uns tun Freistartkontingente für Geflüchtete weh, und alle profitieren von der Zuführung von Lauftalenten aus den Veranstaltungen in die Trainingsgruppen von Vereinen", könnte man zusammenfassen. Wir müssen diese Erfolgsgeschichten erlebbar machen.
Einen Anfang hat der PSV Kassel gemacht, und in einem beeindruckenden Statement („Der PSV lebt Integration in jeder Hinsicht") die Erfolgsgeschichten aus über 30 Jahren Inklusion und Integration aufgeschrieben.
Karsten Schölermann
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