2016 Olympic Games Rio De Janeiro, Brazil August 12-21, 2016 Photo: Victah Sailer@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-291-3409 www.photorun.NET
Diskus-Olympiasieger – Der kleine Harting siegt – und sorgt für Irritationen – Michael Reinsch, Rio de Janeiro in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Dem Triumph lässt Christoph Harting Schweigen folgen. Als er sich am Samstag im sechsten Durchgang des Diskuswerfens mit einem Wurf von 68,37 Meter die Goldmedaille gesichert hat und damit nicht nur seinem Bruder Robert als Olympiasieger nachgefolgt, sondern auch aus dessen Schatten getreten ist, geht er zwar grinsend, aber schweigend an allen Kameras und allen Reportern vorbei.
Den Journalisten in der Mixed Zone wirft er fröhlich eine Kusshand zu, bevor er verschwindet. Allein dem Hörfunk der ARD gewährte er einen kurzen Kommentar. „Ich bin kein Medienmensch, ich bin keine Kunstfigur“, sagte der Fünfundzwanzigjährige. „Ich bin Sportler und lasse meine Leistung sprechen.“
Ein paar Faxen während des Abspielens der Nationalhymne sorgten für weitere Irritationen auch bei Leichtathletik-Kollegen wie dem nicht für die Spiele qualifizierten Weitspringer Sebastian Bayer.
Sorry… https://fb.me/35s32lfd2
Seine Leistung allerdings war beredt.
Der eine Harting scheiterte am Freitag wegen einer Verletzung in der Qualifikation, der andere holt die Goldmedaille. Mit 66,34 Meter im zweiten Versuch hatte sich Harting II. in der prallen Sonne von Rio de Janeiro hinter dem ewigen Rivalen seine Bruders, Weltmeister Pjotr Malachowski, eingerichtet, der vom Start weg mit 67,32 Meter und dann mit 67,55 Meter führte.
Im sechsten und letzten Durchgang allerdings verdrängte ihn der Wattenscheider Daniel Jasinski mit einem Wurf von 67,05 Meter von Platz zwei und damit vom Silber-Rang. Da reagierte der rothaarige Riese von 2,07 Meter Länge, wie es eines Champions würdig ist. Mit dem sechsten Wurf erreichte er als einziger Teilnehmer eine Weite von mehr als 68 Meter.
Damit verdrängte er nun seinerseits Malachowski, in der Vergangenheit oft Harting I. unterlegen. Auch Jasinski rutschte einen Platz zurück und gewann die Bronzemedaille. „Ich fühle mich fehl am Platz“, sagte Christoph Harting in der offiziellen Pressekonferenz und beklagte, dass er mit Journalisten sprechen solle, statt mit seinen nach Rio gereisten Eltern zu feiern.
Feier mit dem Bruder?
Ob er mit seinem Bruder feiert, blieb eine offene Frage. Seit Anfang des Jahres schweigt der jüngere Harting gegenüber Journalisten. Man kann das als Konzentration aufs Wesentliche interpretieren.
Man kann auch vermuten, dass er sich und seine Umgebung vor den Folgen so mancher unbedachten Äußerung bewahren will.
Ein Harting Olympiasieger wie vor vier Jahren in London – und doch eine Riesenüberraschung! „Der Titel bleibt in der Familie“, konstatierte Trainer Torsten Lönnefors den einmaligen Vorgang trocken; seit seiner Heirat vor wenigen Wochen heißt er nicht mehr Schmidt.
Er trainiert in Berlin die beiden Hartings und erwartet nun ein Bruder-Duell. „Ich muss mir überlegen, wie ich das löse, dass es nicht schon im Training zu Konfrontationen kommt.“
Großes Talent, kleiner Bruder
Christoph Harting war immer das große Talent und der kleiner Bruder. Mit seinen 25 Jahren ist er sechs Jahre jünger als Robert, dafür mit 2,07 Meter fünf Zentimeter länger. Von den körperlichen Voraussetzungen her sei Christoph besser ausgestattet, sagt der große Bruder; im Vergleich wirke er selbst wie ein Saurier mit kurzen Armen. Bislang hatte Robert seinem Bruder Christoph allerdings den mentalen Punch voraus.
Wachablösung unter distanzierten Brüdern: Christoph Harting löst Bruder Robert ab
Christoph Harting ist wie Robert in Cottbus geboren und aufgewachsen. Er wählte nicht nur dieselbe Disziplin wie sein Bruder, er folgte ihm auch an die Eliteschule nach Berlin. Auch die Olympiateilnehmerin Julia Fischer, die Lebensgefährtin von Robert, gehört zur Trainingsgruppe.
Im vergangenen Jahr wurde Christoph Harting deutscher Meister, in diesem ist er mit 68,06 Meter der zweitbeste Werfer der Welt. Bei der deutschen Meisterschaft führte er bis zum letzten Durchgang – dann entriss Robert ihm den Titel.
Seit sich der jüngere, Bundespolizist in Berlin, Schweigen verordnet hat, kann er sich offenbar wirklich besser konzentrieren. Auch zwischen den beiden Brüdern herrscht Schweigen. Christoph mochte nicht auf die Rolle des Juniors gegenüber seinem eloquenten Bruder reduziert werden.
Robert ärgerte sich oft über Bemerkungen des Jüngeren. Den Eltern zuliebe, sagte er kürzlich, schweige er über seinen Bruder.
Als auf der Pressekonferenz ein Journalist Christoph Harting als Robert ansprach, nahm dieser das nicht als Versprecher, sondern als Beleidigung. „Jesus!“ rief er auf Englisch. „Sie können gehen.“
Motivation für Robert
Für Robert Harting dürfte der Olympiasieger in der eigenen Trainingsgruppe die ultimative Herausforderung sein – und wohl dafür sorgen, dass er seine Karriere bis Tokio 2020 fortsetzt. „Da meine letzten Olympischen Spiele so ausgegangen sind, frage ich mich natürlich, ob ich noch mal vier Jahre weitermache“, sagte er in einer Videobotschaft. „Denn so aufzuhören ist nicht mein Ding.“
Bisher hatte er geplant, seine Karriere mit der Europameisterschaft 2018 in seiner Heimatstadt Berlin zu beenden. Nun gilt es, den Olympiasieger zu besiegen, der ihn sein Leben lang herausgefordert hat.
Michael Reinsch, Rio de Janeiro in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonnabend, dem 13. August 2016