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17
02
2011

Nichts ist gefährlicher als zu glauben, dass man mit geringerem Aufwand trotzdem auf Dauer besser sein kann als andere.

Dieter Hogen: Zu geringer Aufwand und Drill – beides falsch bei der Arbeit mit Lauf-Talenten – Teil II.

By GRR 0

Dieter Hogen, der frühere Trainer von Uta Pippig und heutige Coach einer Reihe von kenianischen Topläufern, hat aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung heraus den folgenden Beitrag zum Thema Talente-Erkennung und -Förderung verfasst.

Hier lesen Sie den zweiten und letzten Teil:

Was sind die Anzeichen dafür, ob und in welchem Maße jemand talentiert ist? Man könnte natürlich ganz einfach sagen, Talente lernen schneller schnell zu laufen und sind am Ende die Schnellsten.

Die Gesamtheit der Bedingungen formt ein Talent und bringt die gegebene genetische Struktur zur vollen Entwicklung, oder eben nicht. Welche der Voraussetzungen in genau welchem Masse bereits genetisch vorgegeben sind, physisch, charakterlich, etc. und wie sehr sich jedes einzelne Merkmal, das ein Talent zum späteren ,Sieger’ macht, entwickeln lässt, kann ich nicht sagen. Ebenso ist es unmöglich, die Gesamtentwicklung eines Kindes oder Jugendlichen genau einzuschätzen, woraus die Notwendigkeit resultiert, in der Auswahl großzügig zu sein; je jünger die Sportler, umso großzügiger.

Dies ist außerdem der Grund, weshalb auch ein sehr junger Sportler, der hochgradig veranlagt zu sein scheint, mit altersgerecht hartem, diszipliniertem, systematischem Training konfrontiert werden muss, wobei das emotional positive und motivierende Erleben des Gesamtprozesses für den Sportler entscheidend ist für seine Perspektive. Disziplin ist auf keinen Fall mit Drill gleichzusetzen. Wer diesen Prozess nicht versteht, wird mit seinen Supertalenten scheitern.

Nichts ist gefährlicher als zu glauben, dass man mit geringerem Aufwand trotzdem auf Dauer besser sein kann als andere. Nichts ist gefährlicher, als in zu engem Rahmen zu denken, weil es einige in der Welt gibt, die genauso talentiert sind aber möglicherweise nicht nur besser trainiert sondern dadurch auch die notwendigen Charaktereigenschaften besser geformt haben und diese Athleten, nicht meiner, werden dann die internationale Szene bestimmen.

In den ersten zehn Jahren meiner Trainertätigkeit, von 1977 bis 1986, habe ich ausschließlich junge, erst 13- bis 15- und dann 16- bis 19-jährige männliche Mittel- und später Langstreckenläufer betreut. Der gesamte Prozess begann natürlich mit der Talentsichtung, eine der Hauptaufgaben für einen Jugendtrainer. Innerhalb von wenigen Jahren hatten die von mir ausgewählten Jugendlichen mehr als 50 Landesmeistertitel bei Hallen -, Cross- und Freiluftveranstaltungen sowie einige Medaillen bei internationalen Jugendwettkämpfen gewonnen.

Man kann also davon ausgehen, dass nicht nur das Trainingsprogramm sondern auch die Talente-Trefferquote nicht schlecht war. Im Laufe dieser Zeit hatte ich viele hundert Kinder und Jugendliche gesehen, die aus den Trainingszentren im Rahmen des Sichtungsprozesses bei den Sportklubs vorgestellt wurden – heutzutage ist dies nicht mehr als ein Traum.

Der Sichtungsprozess als auch die anschließende jahrelange Arbeit mit den Ausgesuchten haben mich folgende Erfahrungen gelehrt (ich beschränke mich in diesem Artikel auf Dinge, die am schnellsten und deutlichsten auffallen und gehe nicht in die Tiefe):

Talente erreichen bessere Leistungen als ihre Mitstreiter, im Jugendbereich sind sie besser als die meisten biologisch gleich entwickelten Athleten, ohne mehr Training dafür absolvieren zu müssen, oft im Gegenteil.

Sie erzielen schnell große Fortschritte und erreichen das nationale Niveau in zwei bis drei Jahren, gezieltes Training vorausgesetzt. In der Jugend ist absolutes Alterklassen-Spitzenniveau nicht unbedingt Voraussetzung für spätere Spitzenleistungen, da es viele Faktoren gibt – physisch, psychisch und charakterlich – die im Einzelfall mitunter relativ lange brauchen um entwickelt zu werden, am Ende aber, entsprechende Geduld vorausgesetzt, zum Durchbruch kommen.

Natürlich zeigen sich im jahrelangen Prozess immer positive Entwicklungen. Man sieht etwas in diesen Athleten, das man manchmal nicht so richtig oder nur mit Schwierigkeiten beschreiben kann – als Trainer hat man so ein gewisses Gefühl, entwickelt ein ,Auge’ für das Talent, was auch Ausdruck des Talentes des Trainers ist.

Talente sind oft in der Lage, vergleichbare Leistungen, wie zum Beispiel hohe Trainingsbelastungen in intensiven Bereichen, mit mehr Lockerheit und scheinbarer Leichtigkeit im Gesamtbewegungsablauf zu absolvieren als ihre Kontrahenten. Sie können während des Laufens in jedem einzelnen Schritt besser entspannen und sehen dadurch flüssiger aus, haben einen guten Laufrhythmus. Sie laufen bis ans Ende eines bestimmten Streckenabschnitts, zum Beispiel während eines Intervalltrainings, anstatt dahin sichtbar kämpfen zu müssen. Das hat nichts damit zu tun, dass man ab und zu an seine Leistungsgrenzen gehen muss, da es ja im Wettkampf nicht selten gefordert wird.

Talente entwickeln den natürlichen Drang sich ab und zu im Training mit ihren Partnern zu messen, haben Spaß daran, den Gewinner des letzten Streckenabschnitts zu ermitteln.

Es ist ganz wichtig zu beachten, dass falsche Inhalte und Zielsetzungen im Kinder- und Jugendtraining diese so dringend notwendige Eigenschaft des lockeren, entspannten Laufens, auch bei hohen Geschwindigkeiten, verhindern könnten.

Talente haben größere Reserven in dem was sie machen, neigen seltener zum Übertraining und können im Wettkampf besser mobilisieren. Das entsprechende Feingefühl für die Bewegung und darüber hinaus das individuelle Maß der Belastung, was auch bei den vorhergehenden Punkten eine Rolle spielt, hilft ihnen dabei.

Talente können sich gut auf ihre Aufgaben konzentrieren und sind in der Lage im entscheidenden Moment ,über sich hinaus zu wachsen’. Aus anatomischem Blickwinkel haben wir es im Lauf mit den verschiedensten ,Staturen’ zu tun, die alle erfolgreich sein können, größere, kleinere, mit Super – oder nicht so optimalen Hebelverhältnissen, dies vor allem auf längeren Strecken.

Was man nicht finden wird, sind Athleten, die zu schwer sind für ihre Körpergröße, weil gerade ein hervorragendes Last-Kraft-Verhältnis eine entscheidende Leistungsvoraussetzung ist. Ohne starkes Immunsystem und gute Binde- und Stützgewebsverträglichkeit wird kein Talent Erfolg haben.

race-news-service.com/Dieter Hogen
 

Weitere Trainings Informationen bei GRR von Dieter Hogen:

 

Dieter Hogen: „Auch Supertalente müssen super trainieren“ – Wer gewinnen will, muss manchmal noch ,zaubern’ können, vor allem in der Endphase eines Wettkampfes! Teil I.

 

White Men can’t run – Weiße können nicht laufen? Dieter Hogen über das Training in Kenia und zur Situation der Laufszene in Kenia und Deutschland – Teil I

 

White men can’t run? – Teil II – Trainer Dieter Hogen glaubt, dass auch heute noch deutsche Lauftalente die Weltspitze erreichen können.

 

White men can’t run? / Teil III – Trainer Dieter Hogen glaubt, dass auch heute noch deutsche Lauftalente die Weltspitze erreichen können.

 

White men can’t run? / Teil IV – Trainer Dieter Hogen glaubt, dass auch heute noch deutsche Lauftalente die Weltspitze erreichen können.

 

Mehr News/Informationen über/mit Dieter Hogen auf der GRR-Trainings-News: GRR-Training-News Site

author: GRR

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