Die Vorstellung der schönsten Schweizer Läufe aus dem Heft “Swiss Runners 2014” – Laufen für ein besseres Leben – Schweizer Frauenlauf am 15.06.2014
Für Andrea Blumer-Schwyter ist es ein bewegender Moment: Neben ihr steht ein älterer Mann und singt ein Lied. Es ist ein Singsang in Khmer, der Landessprache Kambodschas. Die 45 Jahre alte Physiotherapeutin aus Biel spürt sofort, dass dieser Mann nur für sie singt. Er will sich mit seinem Gesang bedanken. Die Seeländerin hat mit ihm gerade Gangschulung durchgeführt.
Der Mann aus Kambodscha trägt eine neue Prothese, ein künstliches Bein. Das richtige Bein riss ihm eine am Wegrand verborgene Mine weg.
IKRK als Bindeglied
Andrea Blumer-Schwyter will sich ein Bild davon machen, wie den Minenopfern mit Spendengeldern aus dem gemeinsamen Engagement des Rotary Clubs Bern Rosengarten und des Schweizer Frauenlaufs geholfen wird. Blumer-Schwyter ist Mine-ex-Delegierte des Rotary Clubs Biel/Bienne. Die Rotarierin hat in Kambodscha einen Mitarbeiter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) zur Seite. Das IKRK fungiert als wichtiges Bindeglied zwischen Mine-ex und den Hilfsprojekten vor Ort. Und das IKRK garantiert, dass die Spendengelder zweckgebunden eingesetzt werden. Die Stiftung Mine-ex unterstützt im kriegsversehrten Land eine Prothesenwerkstatt in der Hauptstadt Phnom Penh, zwei Rehabilitationszentren sowie eine Schule, die Prothesenfachleute ausbildet.
Exkursion in die Dörfer
Der Ausflug mit dem Geländewagen in die Region Pailin gehört zu den emotionalen Höhepunkten der Reise. Viele dieser Beinamputierten sind Bauern und Kriegsopfer aus der Zeit der Roten Khmer. Sie warten schon vor einer Pagode. Zur Gruppe der Bernerin, die als Physiotherapeutin Patienten begutachtet, gehören auch drei Techniker, ein Orthopädist, ein Büroarbeiter und ein Chauffeur. Bei der Ankunft wird eine grosse Blache ausgebreitet.Die Werkbank wird am Fahrzeug befestigt. Seife, Flipflops und Einführhilfen für den Stumpf erhalten die Bedürftigen kostenlos. «Jeder Patient wird mit seiner Prothese registriert. Die Crew bietet einen kompletten Service an», erzählt Blumer-Schwyter. Prothesentechniker tauschen künstliche Füsse aus, reparieren Prothesen, Schienen und Rollstühle. «Eine defekte Prothese bedeutet für die Menschen den Verlust der Arbeitsfähigkeit», sagt Blumer-Schwyter. Die meisten verlassen die Servicestation erleichtert und mit der Gewissheit, wieder gehfähig zu sein. Das müssen sie sein, um auf den Reisfeldern arbeiten zu können. Und das müssen sie sein, um auf Leitern zu steigen, denn ihre Häuser sind auf Stelzen gebaut.
Learning by doing
Während Andrea Blumer-Schwyter im Rehabilitationszentrum therapiert, wird sie von Patienten und anderen Physiotherapeuten neugierig umringt. «Es gibt Anschauungsunterricht. Der Beruf der Physiotherapeuten ist verhältnismässig jung, es fehlt die Fachliteratur in Khmer. Englisch spricht nur ein kleiner Teil der Oberschicht», sagt die Bielerin. «Glücklicherweise half die nonverbale Kommunikation. Bewegungen konnten über die Hände geführt oder auch vorgezeigt werden. Daumen hoch oder runter verstehen die Menschen überall auf der Welt.» Trotz diesem grossen Leid erlebt Blumer-Schwyter auch lustige Momente: «Einige Patienten sprachen weiter in Khmer und wunderten sich, dass ich nichts verstand.» Andrea Blumer-Schwyter hat in Kambodscha festgestellt, dass «unsere Spendengelder sinnvoll eingesetzt werden und nicht versickern. Über 36 000 Amputierte haben Zugang zu Prothesen, einem unabdingbaren Hilfsmittel zur Selbstversorgung».
Alt Bundesrätin als Vorbild
Der Schweizer Frauenlauf wird auch in diesem Jahr die Stiftung Mine-ex mit einem 1-Franken-Beitrag pro Teilnehmerin unterstützen. Jede Läuferin kann zudem eigene Sponsoren für ihren Wettkampf akquirieren. An der Solidaritätsaktion für die Minenopfer beteiligt sich nebst diversen Parlamentarierinnen auch alt Bundesrätin Ruth Metzler-Arnold. «Mine-ex ist ein einzigartiges Projekt von Rotary International. Ich bin bereits als aktive Bundesrätin für Mine-ex rund ums Bundeshaus gelaufen», sagt die ehemalige Magistratin. «Ich kann nicht wie Ärzte oder Physiotherapeuten meinen Beruf direkt in den Dienst von Mine-ex stellen, hingegen kann ich andere motivieren, bei dieser Initiative mitzumachen.»
Die Organisatoren des Schweizer Frauenlaufs konnten im vergangenen Jahr, zusammen mit Rotary, der Stiftung Mine-ex insgesamt 62 502 Franken überweisen.
Thomas Wälti
Mehr zum Schweizer Frauenlauf unter www.ryffelrunning.ch
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