Symbolphoto - TV - Foto: Horst Milde
Die Versportlichung des Fernsehens – Sport-nachgedacht.de – Prof. Dr. Helmut Digel
Seit den Anfängen des Fernsehens nimmt der Sport eine prominente Rolle ein, wenn es gilt, die Zuschauer des Fernsehens zu informieren, zu unterhalten und zu bilden. Die Bildungsfunktion von Sportsendungen ist dabei wohl nur als äußerst gering einzuschätzen, doch dessen Unterhaltungswert ist nach wie vor unbestritten.
Mit Live Übertragungen von internationalen Sportereignissen wie zum Beispiel von der Fußball Weltmeisterschaft oder von Olympischen Spielen lassen sich höchste Einschaltquoten erzielen. Übertragungen von Spielen der deutschen Fußballnationalmannschaft bei Welt – und Europameisterschaften führen bereits seit Jahrzehnten Jahr für Jahr die Ranglisten jener Fernsehereignisse an, die von den Zuschauern am häufigsten eingeschaltet wurden.
Der Sport war es auch, der dem Fernsehen immer wieder die Möglichkeit für die Präsentation technologischer Innovationen gab. Zu den ersten schwarz-weiß Sendungen gehörte die Übertragung der Olympischen Spiele 1936 in Berlin sowie des Fußballländerspiels Deutschland – Italien 1939. Erste weltumspannende Hi – Vision Übertragungen per Satellit gab es bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul. 1992 fanden in Albertville bei den Winterspielen zum ersten Mal HDTV – Übertragungen von Teilen der Winterspiele statt.
Das digitale Fernsehen fand 2004 seine Erprobung bei den Spielen von Athen und 2009 konnten bei den Übertragungen von der Leichtathletikweltmeisterschaft in Berlin neue HDTV – Qualitätsstandards gesetzt werden. 2012 bei den Olympischen Spielen in London kam zum ersten Mal das japanische Super High Vision System (8K Technik) bei den Übertragungen durch den japanischen Sender NHK zur Anwendung. 2022 gab es bei den Winterspielen in Peking zum ersten Mal vierfach auflösende Fernsehübertragungen. Mittlerweile gibt es durch den Einsatz von Drohnen bei der Übertragung von Freiluftveranstaltungen des Sports völlig neue „Perspektiven“ für den Zuschauer.
Der Sport in allen seinen Varianten ist mittlerweile fester Bestandteil des modernen Fernsehens geworden.
Mit Sportübertragungen werden die höchsten Einschaltquoten erreicht, Fußball ist für alle Zuschauer, ganz gleich ob jung oder alt, Mann oder Frau, In- oder Ausländer, dabei der beliebteste Fernsehinhalt. Liveübertragungen des Sports gelingt es, die Nachrichtensendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens von ihren angestammten Sendeplätzen zu verdrängen, und wenn die Verletzung des Kapitäns der Deutschen Nationalmannschafts als Nachricht mitzuteilen ist, so wird mit ihr die Tagesschau eröffnet und der Fußball erhält eine Sondersendung.
Der Tod eines ohne Zweifel herausragenden Fußballnationalspielers, der gleichzeitig erfolgreicher Nationaltrainer gewesen ist, der jedoch als FIFA-Funktionär in äußerst fragwürdige und vermutlich auch strafbare Finanztransaktionen bei der Vergabe der Fußball WM 2006 eingebunden war, hatte über einen Zeitraum von mehr als einer Woche mehr Sendezeit und Meldungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zufolge als dies in der Geschichte der Bundesrepublik bei keiner anderen verstorbenen Persönlichkeit der Fall war. Der Vorwurf einer „heuchlerischen Heiligenverehrung“ wurde in diesem Zusammenhang nicht ganz zu Unrecht erhoben. Der Programmanteil der Sportberichterstattung ist äußerst hoch. Der Sport ist es mittlerweile auch wert geworden, dass man ihn in eigenen Spartenkanälen seinem Publikum unterbreitet.
So konkurriert in Deutschland der Spartenkanal „Eurosport“ mit dem Sender „Sport 1“(der allerdings kaum noch den Namen Sportsender verdient) und das öffentlich-rechtliche Fernsehen weist Sportsendungen in allen seinen Programmen auf. Gleiches gilt für die privaten Anbieter, wenngleich der Sportanteil bei den privaten Anbietern vergleichsweise gering ist. In jüngster Zeit konnte auch der DOSB mit seinem eigenen Streaming-Kanal „Sportdeutschland TV“ eine gewisse Aufmerksamkeit erreichen. Grundsätzlich ist bei den Streaming- Diensten über große Sportveranstaltungen ein rapides Wachstum zu beobachten. Betrachtet man die Sendezeiten aller Fernsehsender in Deutschland und die dabei verwendeten Stunden und Minuten für die Sportsendungen, so kann man durchaus von einem beispiellosen Wachstum in den vergangenen fünfzig Jahren sprechen.
Hinzukommt dass sämtliche Fernsehsender sich auch des Sports in ihren verschiedensten Internet- Plattformen bedienen und dem Sport auch einen äußerst erfolgreichen Weg in die sozialen Medien eröffnet haben. Der Begriff der „Versportlichung des Fernsehens“ ist dabei naheliegend. Dieser Prozess der Versportlichung ist offensichtlich, er findet unter dem Namen des Sports statt und der Spitzensport bietet dabei den Inhalt für das äußerst beliebte Sportprogramm des Fernsehens. Aktuell sind 820 Sender per Satellit empfangbar.¹
Daneben gibt es jedoch einen weit weniger offensichtlichen Prozess der Versportlichung des Fernsehens.
Dessen Quantität und Qualität erschließt sich uns nicht auf den ersten Blick. Dessen Bedeutung könnte für die weitere Entwicklung des Fernsehens jedoch kritikwürdig sein. Bei dieser Art von Versportlichung findet der Sport mit seiner Idee des Wettkampfs Einzug in das allgemeine Fernsehprogramm. Der Sport wird dabei zum „Fernsehsport“, ohne dass dabei die klassischen Merkmale von Schweiß und Anstrengung, von Training und Wettkampf zur Anwendung kommen müssen. Am offensichtlichsten wird diese Form der Versportlichung in Sendeformaten, die den sportlichen Wettkampf in ihrem Titel zum Ausdruck bringen.
Titel wie „Schlag den Star“ oder „Schlag den Raab“ bedeuten, dass sich ein Star oder ein Moderator in einem Wettkampf seiner Konkurrenz stellt. Bei „Schlag den Raab“ wurde jedoch nicht ein beliebiger Wettkampf durchgeführt, so wie er bei Rateshows („Wer wird Millionär“) und den vielfältigen weiteren Showvarianten mit den verschiedensten Rateteams zum Tragen kommt. Raab holte den Sport selbst in einer verkürzten Form in das Studio herein und inszenierte ihn als Wettkampf auf eine neue Weise. Gelegentlich werden auch „Abarten“ davon, wie z.B. die „Wok-Rennen“, in denen im Eiskanal sogar „Wok-Weltmeister“ ermittelt werden, neu erfunden. Derartige Formate werden heute im internationalen Fernsehmarkt immer häufiger angeboten und finden ihre Rezipienten in den unterschiedlichsten Fernsehprogrammen. „The big break“ ist ein Golf Reality Television Programm. Jede Episode dauert eine Stunde, das Saisonfinale etwas länger, „Jacques V. S.“ ist eine Reality-TV Show von ABC, bei der amerikanische Basketballstar Shaquille O’Neill im Mittelpunkt steht. Er nimmt für sich in Anspruch, der größte Athlet der Welt zu sein und lässt sich in verschiedenen Sportarten herausfordern. Die Idee stammt von Steve Nash, der als Exekutive Producer mitwirkt. „Beat the Star“ liefert die übergeordnete Idee, die auf vielfältige Weise in verschiedenen amerikanischen Kanälen imitiert wird. Wie es für solche US-amerikanische Kreationen üblich ist, werden sie mittlerweile weltweit imitiert und abgespielt, so lange man mit ihnen noch Geld verdienen kann.
Hierbei wird meist eine klassische Sportart in ihren Grundelementen für einen Wettkampf genutzt, um über einen Spannungsbogen, den der Wettkampf uns liefert, ergänzt durch die Funktion von Prominenz und Stars, die Zuschauer an sich zu binden. Der Sport findet dabei in gewisser Weise in einer „kastrierten“ Form statt.
Diese Art der schleichenden Versportlichung des Fernsehprogramms hatte schon sehr viel früher begonnen.
Städtewettkämpfe, wie sie bereits im schwarz-weiß Fernsehen ihren Programmplatz fanden und die sich durch eine Ansammlung lustiger Wettbewerbe auszeichneten, bedienten sich dabei nicht selten Elemente einzelner Sportarten. Im Mittelpunkt stand dabei ein Bewertungssystem, durch das die Sieger und Besiegten definiert werden konnten. Diese Produktionsmuster haben sich seitdem immer häufiger in die Unterhaltungsformate eingeschlichen und dort ihren festen Platz erhalten. Dieser intellektuell meist sehr bescheidene Unterhaltungsinhalt hat mittlerweile im internationalen Fernsehmarkt Hochkonjunktur. Das malaysische Fernsehen offeriert islamische Koranrezitationswettkämpfe, bei denen junge Männer sich in ihren Rezitationskünsten zu überbieten versuchen.
„Deutschland sucht den Superstar“ bei RTL, der Eurovision Songtest findet im öffentlich-rechtlichen Fernsehen statt, Familienduelle werden mittlerweile in jedem Sender ausgetragen. „Das will ich wissen“ hieß ein Wettbewerb bei ZDF und die ARD bot eine Quizshow an. „Fünf gegen Jauch“ stand „Schlag den Star“ bei Pro 7 gegenüber. Unaufhörlich kommen „neue“ Reality Shows mit Wettbewerbsstrukturen zur Ausstrahlung. „Are You the One?“ (RTL Plus), “Sing on. Germany” (Netflix), “Temptation Island” (RTL Plus), “Ex on the Beach” (RTL Plus), “Reality Shore” (joyn), “Promis unter Palmen” (SAT.1), “Kampf der Reality Stars” (RTL 2), “Star Mania” (ORF), “Härtetest” (VOX), “Trucker Babes” (Kabel 1), “2 Minuten 2 Millionen – die Puls 4 Start up Show” (Plus 4), “Stihl Timber Sports” (Sport 1). Auch “Tower Running” muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Hinzu kommen die vielen Dating – Formate wie „Bachelor“(RTL), „Love Island“(RTL2), „Love is King“(Pro 7), „Take me out“ (RTL), „Match Faktor“ (Pro7) in denen ebenfalls nicht selten mit Wettbewerbsstrukturen gearbeitet wird. Ob „Big Brother“ oder „Dschungel Camp“, ob Gladiatorshow oder Comedy, immer bedient man sich der Wettbewerbsidee des Sports, nützt die Prominenz sportlicher Akteure, verwendet einige Prinzipien des sportlichen Systems, unterscheidet Vorrunden und Finale, bedient sich der Zeitmessung oder benützt den Sport lediglich als Dekoration.
Selbst die Kochprogramme werden als Wettkämpfe inszeniert. Der Wettkampf ist dabei längst zur Fernsehideologie geworden. Sie reicht vom Song-Contest über das Familienduell, den Wissenswettbewerb bis hin zum körperlichen und/oder geistigen Leistungsvergleich wie bei „Klein gegen Groß“ in der ARD. Immer wird dabei der eigentlich bedeutsame kulturelle Inhalt des Sports trivialisiert. Das Banale und das Triviale gehen bei dieser Art von Unterhaltung eine erfolgreiche Symbiose ein. Öffentlich-rechtliches Fernsehen unterscheidet sich dabei vom privaten so gut wie gar nicht.
Ein entzauberter Sport wird zum Spiegel einer Fernsehkultur, die sich nur noch an Einschaltquoten orientiert. Das was Musik, Kunst, Literatur, Sport, Bildung und Wissen für eine Gesellschaft bedeuten könnte, hat ganz offensichtlich in einem Fernsehen, das durch die bevorzugten „Wettbewerbs-Formate zum „Fernsehsport“ verkommt, immer seltener und in manchen Fernsehsendern bereits gar keinen Platz mehr.
Letzte Bearbeitung: 12.1. 2024
Prof. Dr. Helmut Digel
Eberhard Karls Universität Tübingen
Institut für Sportwissenschaft
Wilhelmstr. 124 – 72074 Tübingen – Germany
Mobil: +49 162 2903512
………………………………………………………Das Internetmagazin von Prof. Dr. Helmut Digel:
https://sport-nachgedacht.de/https://germanroadraces.de/?p=226936