Ulrike, seit einem Jahr pensionierte Kriminalkommissarin. ©Dr. Susanne Mahlstedt
Die Kommissarin, die Männer zum Laufen bringt – Dr. Susanne Mahlstedt
Polizistin zu werden, das wollte sie schon mit 12 Jahren. Das war 1966 keineswegs ein normaler Berufswunsch für ein Mädchen. Sie sagt: „Meine Familie war entsetzt! Dabei habe ich damals gar nicht überschaut, was dieser Beruf wirklich bedeutet.“
Aber was sich Ulrike vornimmt, das verwirklicht sie. Damals wie heute. Auch im Sport. Als Jugendliche und junge Frau hat sie Volleyball gespielt. „Damals waren wir auf uns gestellt, heute bekommen die Sportlerinnen Unterstützung und Hilfe.“ Regionalliga hat sie gespielt. Gewinnen wollte sie. „Wettkampf war für mich immer das Wichtigste.“
So ist das für sie auch beim Laufen. Sie setzt sich Ziele, kämpft, will etwas erreichen. Ihre Erfahrung als Frau im Laufsport: Es ist schwierig, meist unmöglich, Partnerinnen zu finden, die ähnlich ambitioniert sind, die ähnlich schnell sind, die ähnliche Ziele beim Laufen verfolgen.
Ulrike: „Damals in Celle bin ich mit den Männern der Frauen im Verein gelaufen!“
Diese Erfahrung macht sie immer wieder. Bis heute ist ein ehemaliger Polizeikollege ein Laufpartner für sie, und mit Thomas ist sie regelmäßig unterwegs ist. Morgens um 6.30 Uhr beenden sie ihr Training meistens schon im noch dunklen Oldenburg. Dann sind die Anwohner aber wach, weil sich die beiden lautstark während des Laufens über Gott, die Welt und das Laufen austauschen.
Im Kollegenkreis war bekannt, dass sie läuft, und im Lauf der Zeit kamen auch andere darauf, zusammen mit ihr zu laufen. Immer wieder Männer. Ulrike nahm das Interesse wahr, organisierte gemeinsame Teilnahmen an Laufveranstaltungen. Öfters auch im Rahmen von Läufen der Bundeswehr, so dass der Laufsport ein wenig dienstlichen Anstrich hatte.
Und so war das auch mit dem mehr als 60 Kilometer langen Lauf, den sie absolvierte, bevor sie sich an den ersten Marathon traute. Das war eine Bundeswehrveranstaltung. Klar, wieder männerdominiert.
Der Weg einer jungen Polizistin war ein hartes Brot in den sechziger Jahren in Niedersachsen. Als sie mit 16 mit der Schule fertig war, gab es diesen Beruf für Frauen noch gar nicht. Sie musste einen „sozialen“ Beruf lernen, wurde Erzieherin. Aber dann war sie dabei: Im zweiten Polizei-Lehrgang überhaupt, den es für Frauen gab. Auf den ersten Dienststellen war sie bei manchen der männlichen Kollegen gar nicht beliebt. Im Gegenteil: mit der jungen, neuen Kollegin spielten sie Spielchen, zeigten ganz offen, dass sie ihr nichts zutrauten.
Flüchtige Täter ohne Chance
„Eins war aber auch bald klar: Ich war schneller als die Männer, wenn es darum ging, den flüchtigen Täter doch noch zu erwischen“, erzählt sie. Die Kollegen hätten viel eher aufgegeben als sie: „Aber sie wussten dann rasch, dass sie mir zu Hilfe kommen mussten, wenn ich den Flüchtenden gestellte hatte. Ich war zwar schneller, aber bei der Festnahme hätte ich vielleicht Probleme bekommen.“
Mit 1,63 m hat Ulrike eigentlich eine ideale Läuferinnengröße, aber die athletische Frau mit dem langen blonden Zopf meint, dass sie figürlich nicht ganz so ideal für den Laufsport daherkommt. „Ich hatte nach meiner Knieverletzung vor ein paar Jahren eine Phase, da habe ich mich bei jedem Trainingslauf zwingen müssen. Jeder Lauf fiel richtig schwer. Aber dann ging es auf einmal wieder. Da ging es wieder ganz leicht und locker.“ Das sieht man ihr auch beim Laufen an, sie hat einen elastischen, federnden Laufstil und ist leichtfüßig unterwegs.
Probleme hatte Ulrike mit dem Ausleben ihrer Laufpassion auch mit der Gegend, in der sie lebt. Wind weht unentwegt, aber sonst ist Fehmarn eine herrliche, flache und grüne Ostsee-Insel. Aber wenn man Vollzeit als Kommissarin arbeitet und dann noch jeden Arbeitstag den zeitaufwändigen Anfahrtsweg bewältigen muss, dann bleibt nicht mehr viel Zeit zum Trainieren. Außerdem: „Auf der Insel ist es stockdunkel, wir haben keine beleuchteten Wege, wo man auch abends laufen kann.“
Trotzdem: Sie hat es geschafft, Marathon zu laufen. Und zwar in respektabler Zeit. 3:16 h ist sie bei Norddeutschen Meisterschaften gelaufen.
Es waren nur ca. 75 Läufer gemeldet, darunter wenige Frauen. Alle waren schneller als sie. Von Anfang an hatte sie mit dem Besenwagen zu kämpfen, der ihr am Ende eine neue persönliche Bestzeit bescherte.
Höhepunkte waren für sie die beiden Läufe in New York und in Berlin. „Manche haben mich für verrückt erklärt, weil ich das im Abstand von vier Wochen gemacht habe.“ Marathon, das war für sie eine Phase im Läuferleben. Gute fünf Jahre lang, von 1985 bis 1990. „Ich habe es dann einfach nicht mehr hinbekommen, genug Trainingszeit zu organisieren.“
Vom Laufen weggekommen, das ist sie trotzdem nicht. „Laufen um Gottes willen“ – das war das Motto, unter dem der rührige Pastor von Fehmarn für die Konfirmanden einen Lauftreff anbot.
Er wollte, dass die jungen Leute bei den Läufen starten, die im Juni auf der Insel stattfinden, und der Pastor wollte sich gemeinsam mit anderen auf seinen Marathon beim großen Fehmaraner Laufevent vorbereiten. Der Treff war offen für alle, Ulrike war selbstverständlich dabei, nicht nur ihr Sohn. Zwei hat Ulrike. Anfang 40 wurde sie erst Mutter. Heute ist der 18-Jährige in Ausbildung, der 16-Jährige ist noch auf dem Gymnasium. Den Lauftreff gibst es immer noch jedes Frühjahr vorm Insel-Marathon.
Und jetzt im Ruhestand? Mehr freie Zeit? Kommt Marathon noch mal in Frage? „Die großen Veranstaltungen sind mir zu voll. In den 80er Jahren hatte man bei Läufen wie in Berlin noch Platz.“
Ulrike hat als topfite Pensionärin (immer noch) nicht genug Zeit zum Marathontraining. Denn ankommen und weiter nichts, das wäre für sie nichts. Wie gesagt, die zehn Kilometer in 50 Minuten, das wäre noch mal was. Ja, mit dem Laufen tut sie etwas für Grundschnelligkeit und Gesundheit.
Aber sonst sind ja da noch so viele Dinge, die ihr wichtig sind – neben Söhnen und Mann: „Ich habe mir einen Lebenstraum erfüllt und mir ein Pferd gekauft. Dem widme ich jeden Tag drei Stunden.“ Beim Tennis ist sie erst zufrieden, wenn ihr Trainer den Pullover auszieht, weil er schwitzt. Downhill-Fahren im Harz ist eine weitere Leidenschaft von ihr, über Stock und Stein in Höllentempo bergab.
Und ihr Sohn ist nicht nur wegen des Laufens in Kontakt mit dem Pastor, auch wegen der Musik. Seitdem der Junge Klavierunterricht hat, steht zu Hause eins. Und jetzt nimmt Mama selber Klavierstunden. Noten lesen, rechte und linke Hand koordinieren – wer dafür nicht begabt ist, der muss daran hart arbeiten. Aber wenn Ulrike sich ein Ziel setzt – dann erreicht sie das auch. Wie damals beim ersten Marathon.
Ihre Männer laufen immer noch Marathon, Thomas und Volker zuletzt mit neuer Bestzeit in Berlin 2015.
Dr. phil. Susanne Mahlstedt in LAUFZEIT&CONDITION – 12/2015
Heilpraktikerin für Psychotherapie
Kreatives und Biografisches Schreiben M.A.
Forstmeisterweg 64
23568 Lübeck
Tel.: 0451/5061631
www.schreibtherapie-und-coaching.de
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