Läufer vor dem Start: Die Erwartung macht`s! - Auch beim Laufen? ©Horst Milde
Die Erwartung macht`s! – Auch beim Laufen? Prof. Dr. Alexander Weber
Das Geschäft mit Nahrungsergänzungsmitteln boomt. Mit Eiweißpräparaten, Vitamintabletten, Mineral- und Mikronährstoffen in Pulvern, Pillen und Flüssigkeiten werden hierzulande Umsätze in Milliardenhöhe gemacht.
Jeder Vierte ist daran beteiligt. Und unter den Sportlern hat die Gruppe der Läufer einen großen Konsumanteil – nicht erst seit heute. Ob Läufer im Hochleistungsbereich oder „nur" Hobby-Läufer – alle erhoffen sich durch die Einnahme dieser Mittel eine Verbesserung in verschiedenen Bereichen: Leistung ganz allgemein, aber auch speziell bezüglich Ausdauer, Kraft, Regeneration, Verringerung der Verletzungsanfälligkeit, u. a.
Ist diese Hoffnung, diese Erwartung, dieser Glaube unter Läuferinnen und Läufern etwas ganz Neues?, ein Phänomen der jetzigen Läufergeneration?
Keineswegs! Bereits mit Beginn des Läuferbooms in den 60er und 70er Jahren waren die sogenannten Nahrungsergänzungsmittel eine stark nachgefragte Ware in der kontinuierlich wachsenden Läuferklientel.
In den Jahren 1989/90 erhielt ich den Zuschlag für ein Drittmittelprojekt. Der Arzneimittelhersteller XY beauftragte mich mit der Durchführung einer wissenschaftlichen Untersuchung.
Allgemeiner Zweck der Studie sollte sein: Erkundung wissenschaftlich gesicherter Zusammenhänge zwischen regelmäßigem Laufen und der regelmäßigen Einnahme eines Nahrungsmittelergänzungspräparats XYZ bezüglich einzelner Befindlichkeiten, die das Wohlbefinden insgesamt von Läufern tangieren.
Die Veränderung definierter Zustände, bzw. Befindlichkeiten (physiologische und psychologische Variablen, wie z. B. Ausdauerleistung, Leistungsbereitschaft), bewirkt durch die tägliche Einnahme des Präparats XYZ über einen Zeitraum von 6 Monaten, sollte, so mein Auftrag, empirisch-statistisch nachgewiesen werden.
Die Feldstudie führte ich mit einer bereinigten Stichprobe von insgesamt 61 freiwillig gemeldeten Läuferinnen und Läufern verschiedener Leistungsklassen durch. Ihr Durchschnittsalter betrug 46 ½ Jahre. Alle Berufsgruppen waren vertreten. Die Läufer/-innen wurden per Zufallsauswahl in je eine Versuchs- und Kontrollgruppe eingeteilt.
Die Versuchsgruppe A erhielt zu Untersuchungsbeginn das echte XYZ-Präparat, die Kontrollgruppe B das im Aussehen gleiche Präparat, jedoch ohne Inhaltsstoffe: Das Scheinpräparat oder Placebo.
Zu Beginn und am Ende der Untersuchung hatten beide Probandengruppen verschiedene Fragebögen auszufüllen.
Darüber hinaus sollten sie ihre Selbstbeobachtungen während der 6-monatigen Einnahme von XYZ schriftlich aufzeichnen. Die quantitativ erhobenen Daten wurden mit varianzanalytischen Verfahren (mehrfaktorielle Varianzanalysen mit wiederholten Messungen) bearbeitet und statistisch zufallskritisch gesichert. – Die Stichprobe mittlerer Größe, als Random-Sample konzipiert, liefert Befunde, die generalisiert werden können.
Diese „Before-and-after-Study" liegt nun gut ein Vierteljahrhundert zurück.
Ich habe bis zum jetzigen Zeitpunkt mit der Veröffentlichung der Befunde gezögert. Warum? Als ich das Drittmittelprojekt mit dem Pharma-Hersteller vereinbarte, gab ich mich einverstanden mit der Auflage des Auftraggebers, dass er in erster Linie entscheide, ob die Studie nur internen Zwecken dient oder auch veröffentlicht werden kann. Nach so langer Zeit, denke ich, darf man ein paar allgemeine Erkenntnisse, die die Befunde von damals liefern, publizieren.
Aus der Befundreihe mit quantitativ erhobenen Daten greife ich zwei Variablen heraus: „Erschöpfung" und „Erholfähigkeit". Das Ergebnis der 2-faktoriellen Varianzanalyse mit wiederholten Messungen besagt, dass beide Laufgruppen, also sowohl die Versuchsgruppe (mit echtem Präparat XYZ) als auch die Kontrollgruppe (mit Scheinpräparat XYZ), sich in punkto „Erschöpfung nach dem Lauftraining" sehr signifikant verbessern.
Das heißt, sie fühlen sich beide seit Einnahme des Präparats gleichermaßen sehr deutlich weniger erschöpft. Kein statistisch nachweisbarer Unterschied zwischen den zwei Läufergruppen.
In etwa der gleiche Befund bezüglich der Variablen „Erholfähigkeit," bzw. Regeneration (nach anstrengenden Läufen). Beide Gruppen profitieren von der Einnahme von XYZ, und zwar unabhängig davon, ob das echte Präparat oder das Placebo eingenommen wird.
Zwei typische Aussagen für Veränderungen durch die Einnahme von XYZ, aus beiden Gruppen je eine:
– Kontrollgruppe (Placebo): „Früher hatte ich beim Laufen schon nach kurzer Zeit schwere und müde Beine. Nach ungefähr 6 Wochen mit XYZ nach einer Stunde keine schweren Beine mehr" (47jährige Läuferin, ca. 40 Laufkilometer pro Woche).
– Versuchsgruppe (mit echtem XYZ): „Die Regenerationsphase nach anstrengenden Läufen war kürzer als vorher. – Mein Gesamturteil: XYZ würde ich mir dennoch nicht kaufen" (45jähriger Sparkassenangestellter; 3mal Laufen pro Woche).
Fazit:
Die Ergebnisse der experimentellen Studie zeigen, dass die Einnahme des Nahrungsmittelergänzungspräparat XYZ bei der Mehrheit der Probanden, der Läuferinnen und Läufer also, die gewünschten Wirkungen, wie raschere Regeneration, geringere Ermüdung, u.a. erzielt.
Jedoch: bei der Einnahme des Placebos werden ähnlich gute Ergebnisse erreicht. Der relativ geringe Unterschied zwischen dem echten Präparat und dem Placebo ist statistisch nicht signifikant.
Wie ist zu erklären, dass ein inhaltlich materielles Nichts, das Placebo, fast die gleiche Wirkung erzeugt wie das echte, mit sogenannten Wirkstoffen gefüllte Präparat?
Hauptauslöser für die Veränderung ist hier offenbar die Erwartung.
Der Glaube daran, dass auch ein Etwas wirkt, was nicht an eine materielle Substanz gebunden ist. – An dieser Stelle, denke ich, zeigt sich beispielhaft in eindrucksvoller Weise die Interaktion von Körper, Geist und Seele.
Das eine ist mit dem anderen in hoch komplexer Weise verbunden. Wir Menschen sind eine Einheit aus Geist, Körper und Seele.
Prof. Dr. Alexander Weber
DEUTSCHES LAUFTHERAPIEZENTRUM – DLZ
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