©Lothar Pöhlitz
Die 10 % Lauf-Leistungsdifferenz zwischen Frauen- und Männer-Weltrekorden hat vielfältige Gründe – Lothar Pöhlitz
Immer wieder wird mit spektakulären Prognosen suggeriert das Frauen eines Tages so schnell laufen könnten wie Männer oder sogar schneller. Ursache sind Schlüsse die nicht selten aus Siegen von starken Frauen über schwache Männer oder solchen Weltrekorden wie den der Paula Radcliffe im Marathon 2003 mit 2:15:25 gelang, gezogen werden.
Die „wenigen“ Frauen die im Vergleich zu den Männern Hochleistungssport betreiben haben ein kleineres Herz mit einem geringeren Herzschlagvolumen. Ein Teil davon hat aber auch Herzfrequenzen jenseits der 200 Schl./min während andere im fortgeschrittenen Alter mir ihre obere Grenze ausdauertrainingsbedingt unter 170 Schl./min. präsentierten.
Läuferinnen sind in der Regel kleiner, haben kürzere Beine und weniger Muskelmasse als Männer, eine geringere Schnellkraft und vor allem Langstrecklerinnen weniger Schnelligkeitsfähigkeiten. Ursache dafür ist auch dass über viele Jahre ein gezieltes Hantel-Krafttraining als wohl „nichtfrauenlike“ negiert wurde.
Dafür sind Frauen oft psychisch zäher, psychophysisch höher belastungsbereit und verlässlicher was die Erledigung notwendiger leistungsbegleitender Aufgaben wie Physiotherapie, Ernährung und Schlaf betrifft. Oft können sie sich auch besser organisieren und erledigen ihre Trainingsaufgaben gewissenhafter.
Hat sich eine Frau einmal für eine Aufgabe entschlossen fühlt sie sich über längere Zeit auch diesen Zielen verpflichtet, das ist zumindest meine Erfahrung. Die Trainer wissen es zu würdigen. Gehören junge Mädchen aber mit 16 / 17 Jahren nicht zu den Guten lassen sie die Trainer auf den Leichtathletikanlagen oft sehr schnell allein.
Der Leistungsabstand in der Praxis liegt um 10 % – „nicht immer sauber“
Der sich aus der Trainingspraxis herauskristallisierte Abstand der Frauenleistungen von denen der Männer um die 10 % (siehe Grafik) ist nicht immer konstitutions-, trainings- oder talentbedingt sondern wird aktuell weltweit auch von der Wirksamkeit und Beherrschtheit des Einsatzes „unterstützender Mitteln“ (Dopingkombinationen) im Training beeinflusst.
Dabei ist es schwer, nein unmöglich, die derzeitige Praxis von wohl 5-7 in aller Welt (zumindest wurden von Armstrong so viele genannt) eingesetzten unterschiedlich kombinierten und vielleicht auch sich gegenseitig verstärkenden Dopingpräparaten in ihrer Differenziertheit zwischen Männern und Frauen zu beurteilen. Es ist deshalb aus der Sicht trainingspraktischer Erfahrungen im Hochleistungstraining zu bezweifeln das alle derzeitigen Weltrekorde sowie in vielen Laufdisziplinen auch die Leistungsdichte in den Weltbestenllsten bei diesen erzielten Top-Leistungen „sauber“ erzielt wurden.
(siehe Abbildung 1): WELTREKORDE und die % Differenz zwischen Männer und Frauenleistungen 2004 (Lothar Pöhlitz 2004)
Um in dieser Beziehung zu keinen falschen Schlüssen zu kommen: die oft zitierte einstige Doping-Ära ist weltweit so aktuell, wirksam und streng geheim wie nie vorher!
Vor Jahren machte man sich mit der Schlagzeile interessant, dass sich Paul Tergat bei seinem Marathon-Weltrekord in 2:04:55 von Berlin bereits um schlappe 49 Sekunden dem Ende der Fahnenstange auf dieser Strecke angenähert hätte. Gleichzeitig behauptete man, dass Frauen die bisherige Bestzeit von 2:15:25 von Paula Radcliffe noch um ~ 9 Minuten (= 540 Sekunden) verbessern könnten. Damit wäre es in Zukunft denkbar, dass beim gemeinsamen Marathonlauf der weltbesten Männer und Frauen, am Start noch nicht klar sei, ob eine Frau oder ein Mann am Ende als Erster durchs Ziel läuft.
Forscher aus Texas spekulierten einmal das sogar 1:57:48 Stunden im Männer-Marathon möglich wären, dabei äußert sich vorsichtshalber keiner ob „mit oder ohne“! Inzwischen steht der Weltrekord der Männer bei 2:02:57 Stunden, aufgestellt von Dennis Kimetto (KEN) in Berlin am 28.9.2014.
Die 2:15:25 von Paula sind inzwischen bereits 12 Jahre alt und keine Frau konnte sich ihr nähern! Derzeit scheinen solche Träume unerfüllbar.
Beste Talente & beste Trainer & beste Bedingungen & beste Sportmedizin
Alles Spekulationen weil niemand weiß welches „Supertalent“ bei Männern oder Frauen in welcher Top-Umgebung und Höhenlage eines Tages welches Training verträgt, von welchen Sponsor für das Training über mehrere Jahre „freigestellt“, von einem Top-Ärzte-Team psychophysisch überwacht und gesund gehalten und von welchen „Goldschmiedeteam“ trainingsmethodisch optimal geführt am Tag X bei Superbedingungen für die jeweilige Disziplin den Super-Weltrekord erzielen wird !
Damit aber keine Mißverständnisse in deutsche Trainingsgruppen transportiert werden, möchte ich unterstreichen, da? sich auch heute noch Läuferinnen und Läufer mit dem notwendigen Talent bei optimalen Training (d.h. etwa 30 Stunden Training pro Woche + 5 Std. sportmedizinisch-physiotherapeutischer Begleitung) ohne Doping (!) – ohne „UM“ dem Weltniveau annähern und bei WM oder OS die Finals erreichen könnten.
Es gibt viele Gründe dass das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist
Das sich die Leichtathletik-Weltrekorde noch weiterentwickeln werden ist vorauszusehen.
Wie schnell und in welchen „Leistungssprüngen“ hängt von vielen äußeren und inneren Einflussfaktoren, von den prädestinierten Talenten aus dem Laufbereich, von neuen trainingsmethodischen Überlegungen, von Umfang und Geschwindigkeit, von Kraft und Lauftechnik, von einer optimalen Nutzung des Höhentrainings, von klimatischen und streckentechnischen Bedingungen beim Wettkampf und auch von der künftigen Praxis des Dopingkontrollsystems (auch von noch nicht bekannten pharmakologischen Mitteln und Methoden sowie deren ganzjährigen Kontrollen im Training und bei Wettkämpfen in allen Kontinenten und Ländern dieser Erde!) ab.
Wenn das Dopingkontrollsystem weltweit perfekt funktionieren würde gäbe es vielleicht gar keine neuen Weltrekorde mehr, ausgenommen im Hindernislauf.
Auch die unterschiedliche Wirksamkeit derzeitiger oder neuer Medizin bei Frauen und Männern darf bei allen Überlegungen nicht außer Acht gelassen werden. Es ist deshalb sehr zu bezweifeln, dass die zukünftigen biologischen Leistungsgrenzen mit mathematischen Verfahren vorauszusagen sind, auch weil Mathematiker nicht über die Kenntnisse von Trainern oder Sportmedizinern in Dopinglaboren verfügen.
Mit der Abbildung sollen nicht noch weitere Spekulationen zu den Weltrekord-Entwicklungen angefügt werden, sondern am Stand von 2004 – die sich bis heute nicht spektakulär weiterentwickelt haben – die Abstände von Männer- und Frauen-Weltrekordleistungen in den olympischen Laufdisziplinen noch einmal dokumentiert werden (siehe auch Pöhlitz/Valentin Trainingspraxis Laufen 2015).
Die Übersicht dokumentiert den in der Regel im Hochleistungssport bekannten Abstand von Männer zu Frauenleistungen um ~ 10 %. Abweichungen davon lassen sowohl die Schlussfolgerung zu, das 2004 die Disziplinen wie z.B. 5000 m und 3000 m Hindernislauf bei Männern und Frauen noch Entwicklungspotential hatten, als auch die Tatsache, das im Marathonlauf und auch im Gehen entweder die Männer oder die Frauen Talent- oder dopingabhängig zeitweilig einen gewissen Entwicklungsvorsprung haben können ohne dabei zu übersehen, dass im Gehen außerdem noch einer sauber gezeigten Technik und deren Beurteilung (Rolle der Kampfrichter) bei Weltrekorden eine außerordentliche Bedeutung zukommt.
Sowohl im Hindernislauf der Männer, besonders aber auch in der noch „jungen Disziplin“ Hindernislauf der Frauen macht die Grafik deutlich, dass sich die Weltrekorde in den nächsten Jahren noch deutlich dem Trend der anderen Disziplinen annähern werden, vorausgesetzt es wenden sich Läufer bzw. Läuferinnen dieser Strecke zu, die sowohl über 5000 m als auch über 1500 m über außerordentliche weltrekordnahe Fähigkeiten verfügen.
Daran hat sich bis heute nichts verändert.
Lothar Pöhlitz
Leichtathletik Coaching-Academy
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